Hoch bepackt waren drei Privatautos der Marke Overland im Oktober 1914, als sie sich von Euskirchen aus Richtung Frankreich aufmachten. Mit Brustwärmern, Strümpfen, Jacken, Kerzen, Feuerzeugen, Schokolade, Wurst, Zigaretten und etlichen Kisten Zigarren. Letztere dienten auch als Schmiermittel, um allzu kritische Streckenposten zu überzeugen, dass die Liebesgaben und ihre Fahrer Richtung Front fahren dürfen. Das Zusammentragen der Geschenke für die Soldaten war bei dieser Mission wohl die geringste Anstrengung.
Viel aufreibender waren die Organisation von Benzin unterwegs und die erbärmlichen Straßenverhältnisse. Zerstört von Truppentransporten fand sich zum Beispiel auf der Straße ein Schlagloch, dem "ein Kind ertrinken könnte", schrieb einer der Fahrer, Thomas Eßer. Er war Stadtverordneter in Euskirchen und wurde später in Berlin als Mitglied des Reichstages dessen Vizepräsident. Die Aufzeichnungen von Eßer dienen dem LVR-Freilichtmuseum Kommern heute als wichtige Quelle, um die Liebesgaben-Fahrt zu rekonstruieren. "Man ist da schon recht blauäugig losgefahren", fasst Museumsleiter Josef Mangold die Abenteuerfahrt zusammen.
Liebesgaben aus ganz Deutschland
Die Liebesgaben-Fahrt war keineswegs eine Eifeler Erfindung. Aus ganz Deutschland gingen derartige Konvois an die Front. So trafen die Euskirchener im Oktober 1914 zum Beispiel unterwegs "ein gewaltiges Lastauto aus Stuttgart mit Liebesgaben für die Württemberger" und "eine Wagengruppe, welche die Liebesgaben des Kreises Waldbröl ins Feld bringen sollte", wie den Erinnerungen von Thomas Eßer zu entnehmen ist. Auch aus Euskirchen ging noch im Oktober 1914 eine weitere Fahrt an die Front. Danach wurde das Verteilen der Liebesgaben dem Roten Kreuz überlassen.
"Das ist der männermordende Krieg!"
Der Erste Weltkrieg war erst wenige Wochen alt, als die Eifeler ihre beiden Fahrten nach Frankreich unternahmen. Doch der Krieg zeigte sich bereits in seiner ganzen Härte und Brutalität: Die Euskirchener fuhren vorbei an Verwundetentransporten, hörten die Schmerzensschreie der Soldaten und sahen zugeschüttete Schützengräben, die zu Massengräbern geworden waren. Besonders eindringlich sind die Schilderungen des Chronisten Eßer als die Eifeler auf ihrer zweiten Reise durch das belgische Ethe kommen. "Es ist furchtbar!", schreibt Eßer, als er erfährt, dass 7.000 Tote rund um Ethe begraben sind. "Das ist der männermordende Krieg!" Sie sahen auch ein Massengrab mit 387 Zivilisten. Wegen angeblich "hinterlistiger Hülfe für die Feinde der Deutschen" waren sie standrechtlich erschossen worden. Die Häuser waren zerstört, doch in den Kellern lebten immer noch Witwen mit ihren Kindern. Als die Fahrer in einem Kellerloch eine Mutter mit drei Kindern sehen, steigt es ihnen "faustdick zum Halse herauf, und wir müssen ein Gefühl des Kriegsekels herunterwürgen."
Wiederholung der Fahrt 100 Jahre später
Doch diese Erlebnisse führten keineswegs zu einer Ablehnung des Krieges durch den Euskirchener Politiker Eßer. Ganz im Gegenteil: Die Liebesgaben-Fahrer 1914 waren getragen von einer blinden Vaterlandsliebe und der festen Überzeugung, dass Deutschland im Recht sei. Eßer verurteilte die Haltung Belgiens, "das sich zu seinem eigenen Schaden gegen das mächtige deutsche Reich gestellt hat." Angesichts der Kriegsgräuel durch deutsche Soldaten an belgischen Zivilisten im August 1914 (Massaker von Dinant, Massaker von Tamines) liest man dies heute mit Schaudern. Gut, dass am Mittwoch (01.10.2014) eine weitere Liebesgaben-Fahrt in Euskirchen startet, deren Ziel die Versöhnung ist: "Es soll eine Fahrt gegen das Vergessen des Ersten Weltkriegs werden", fasst Museumsleiter Josef Mangold den Sinn der Reise zusammen. "Und zugleich soll es eine Fahrt der versöhnlichen Begegnung sein mit den Menschen, über deren Orte einst die Katastrophe hereinbrach und die selbst Angehörige verloren haben."