Fast jeder New Yorker ist ein Held

Tag 7: "Lifesavers" für die Gefallenen

Stand: 20.09.2001, 17:00 Uhr

Die Helden. Jeder in New York hat in diesen Tagen einen. Oder kennt einen. Ist einer. Oder wäre gerne einer. Helden sind die Feuerwehrmänner, die Lebende aus den Trümmern gezogen und Tote geborgen haben. Polizisten, die im 24-Stunden-Einsatz den chaotischen Verkehr rund um "Ground Zero" regeln. Helden sind die Krankenwagenfahrer, die Blutspender, die freiwilligen Helfer.

Von Herbert Bopp

Selbst die mobilen Donutverkäufer rund um das World Trade Center, die ihre Backwaren noch rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, gelten in diesen heroischen Tagen als "our heroes". Aber Held ist nicht gleich Held. Die New Yorker Presse unterscheidet auf der Helden-Skala zwischen lebenden Helden ("living heroes"), wahrhaftigen Helden ("true heroes") und "fallen heroes". Den gefallenen Helden gebührt der größte Respekt.

Timmy Stackpoles Leben, 2. Teil

Fire-Captain Timmy Stackpole ist einer der gefallenen Helden. Der 42-jährige Vater von fünf Kindern hatte noch nach Überlebenden gesucht, als sich der Brand im World Trade Center bereits zum Inferno ausgebreitet hatte. Timmy Stackpole verbrannte vor den Augen seiner Kollegen. Dabei hatte Timmy Stackpole ohnehin schon eine Art Leben, 2. Teil, hinter sich. Schon einmal hätten ihn die Ärzte schon fast aufgegeben. Bei einer Rettungsaktion hatte er sich schwerste Verbrennungen zugezogen. Das war am 5. Oktober 1998. Damals rettete er einer schwangeren Frau das Leben. Sie war in einem brennenden Reihenhaus an der East Side gefangen.

"Stars and Stripes" auf der Bierdose

Ein "Budweiser" zum Abschied | Bildquelle: WDR/Bopp

Heldenverehrung vor dem Feuerwehrhaus des 9. Bataillons an der 48. Straße, Ecke 8th Avenue: Berge von Blumen versperren den Eingang zur Löschzentrale. Dazwischen Kerzen, Karten, Fotos und handgeschriebene Briefe an "our heroes". Und Bierdosen. Budweiser ist am häufigsten vertreten. Die Jungs von der Feuerwehr wissen, was gut ist. Auf einer Bierdose klebt das Foto eines "William Henry, Rescue 1". Auch er war ein Held. Jetzt wird William Henry mit einer kleinen amerikanischen Flagge auf der Budweiser-Dose vor dem Feuerwehrhaus geehrt.

"Lifesavers"-Bonbons für die gefallenen Helden

Auch John Tipping war ein Hero. Eine junge Frau weint an seinem Foto vor dem Helden-Altar am Löschhaus. Als sich ihr ein italienisches Fernsehteam nähert, schluchzt sie unkontrolliert weiter. "Madam", fragt der Reporter vor laufender Kamera, "was hat ihnen John Tipping bedeutet?" Die junge Frau: "He was my hero." Zwischen den Fotos, Blumensträußen, Kränzen, Kerzen, Postkarten und Flaggen liegen überall verstreut Lutschbonbons der Marke "Lifesavers".

Als ich vier Stunden später zufällig wieder am gleichen Feuerwehrhaus vorbeigehe, ist von der Art-Deco-Fassade der Löschhalle, zumindest im unteren Bereich, fast nichts mehr zu sehen. Das Gebäude des 9. Bataillons ist jetzt in Hunderte von DIN-A-4-Blättern drapiert. New Yorker Schulklassen hatten im Zeichenunterricht Bilder für "unsere gefallenen Helden" gemalt. Eines davon hat T-Shirt-Potenzial: Es zeigt die angesengten Türme des World Trade Centers als stehende Dropsrollen der Marke "Lifesavers".

Gelegentlich können New Yorker Helden noch gar nichts dafür, dass sie zu "heroes" gemacht werden. Zu dieser Sorte Helden gehört Reinaldo McFarlane. Reinaldo wurde kurz nach dem Einsturz der beiden WTC-Türme geboren. Seine Mutter Jacqueline hatte es gerade noch geschafft, sich aus dem 45. Stock des brennenden Gebäude in Sicherheit zu retten. Jetzt ist auch sie eine New Yorker Heldin.