Experte zur Digitalisierung von Analogaufnahmen

Wenn aus Filmen Bits werden

Stand: 26.11.2012, 13:00 Uhr

Die neue WDR-Plattform "Digit" präsentiert online Fotos und Videos aus der Analog-Ära. Neben vielen Privatleuten hat auch das Kölner Stadtarchiv dafür Material zur Verfügung gestellt. Warum, erklärt Archivar Andreas Berger, der dort für die Digitalisierung der Bestände zuständig ist.

WDR.de: "Digit" ist als "Archiv des analogen Alltags" konzipiert, bei dem jeder User seine Bilder und Filme hochladen kann. Was halten Sie davon, wenn Ihre Arbeit von Amateuren übernommen wird?

Andreas Berger: Prinzipiell finde ich das gut. Private Archive gibt es ja schon länger, meistens mit einem genealogischen Hintergrund. Dort werden Informationen zur Ahnen- und Familiengeschichte in einer bestimmten Region gesammelt und aufbereitet. Daraus kann man als Stadtarchiv durchaus seinen Nutzen ziehen, wenn das Archiv gut aufbereitet ist. Und auch ein Projekt wie "Digit" ist interessant für uns, weil wir über die städtische Überlieferung nicht die gesamte Lebenswirklichkeit der Stadt Köln abbilden können. Und ich glaube, viele der dort hochgeladenen Fotos und Filme sind wichtige Zeitzeugnisse.

WDR.de: Bei "Digit" gibt es zunächst keine inhaltliche Einschränkung, was das Material angeht. Das sieht beim Stadtarchiv anders aus: Sie wählen sehr genau aus, was archiviert wird und was nicht. Nach welchen Kriterien?

Andreas Berger | Bildquelle: WDR/Neumayer

Berger: Zum einen sind wir auf den Raum beschränkt. Wir sind das Kölner Stadtarchiv, also archivieren wir auch nur Material, das mit der Stadt Köln zu tun hat. Dann sind noch die Rechte entscheidend: Wem gehört das Material? Dürfen wir das Material überhaupt nutzen? Und schlussendlich sind natürlich auch die Inhalte wichtig: Wenn wir diese für interessant halten, weil wir in dem Bereich noch nichts haben, oder wenn sie einen Bereich sinnvoll ergänzen, werden sie in den Bestand übernommen.

WDR.de: Das heißt: Fotos vom Rosenmontagszug 1961 übernehmen Sie nicht, wenn Sie schon welche haben?

Berger: Nicht, wenn darauf nahezu dasselbe zu sehen ist wie auf den Bildern, die wir schon haben. Wenn es aber den Bestand gut ergänzt, etwa andere Wagen aus anderen Perspektiven zeigt, sagen wir Ja. Man darf bei der Diskussion nicht vergessen: Ein Bild, eine Akte oder ein Buch zu archivieren, kostet dauerhaft Geld. Fotos etwa müssen auf eine bestimmte Art präpariert und gelagert werden, um die chemischen Zersetzungsprozesse zu verlangsamen. Deshalb muss man immer abwägen und gut überlegen, was dauerhaft archviert werden soll und was nicht.

WDR.de: Ein Teil der Bestände des Stadtarchivs ist auch über "Digit" einsehbar: Fotos aus Restaurants, Kneipen und Modegeschäften in den 1950er und 1960er Jahren. Warum haben Sie sich zu der Zusammenarbeit entschlossen?

Berger: Wir hoffen, dass das Projekt ein Erfolg wird. Und vielleicht können unsere Bestände als Teaser dazu beitragen, zumindest in der Anlaufphase die nötige Aufmerksamkeit zu erzeugen und auch qualitativ hochwertiges Material zu liefern. Außerdem wollen wir die Zugangsschwellen zu unseren Archivgütern möglichst niedrig halten. Da geht es auch darum, mögliche Ängste und Bedenken abzubauen. Früher war der Besuch eines Archivs mit viel Aufwand verbunden: Man musste sich auf den Weg machen, anmelden, ausweisen - das hat nur eine ganz bestimmte Personengruppe gemacht, die noch dazu nicht besonders groß war. Wir wollen aber, dass unser Archiv für jedermann zugänglich ist. Unsere Daseinsberechtigung besteht schließlich darin, dass so viele Menschen wie möglich unser Archiv nutzen. Und deshalb stellen wir unser Material auf möglichst vielen Kanälen online. Gerade bei den Alltagsszenen, die bei "Digit" zu sehen sein werden, kann ich mir vorstellen, dass es ein großes Interesse gibt.

WDR.de: Reicht denn den Benutzern eine digitale Kopie aus?

Berger: Das kommt darauf an, zu welchem Zweck man uns aufsucht. Die digitale Kopie kann ausreichen, wenn es nur um die Inhalte geht. Aber manche Benutzer wollen das Wasserzeichen untersuchen, das Siegel genau unter die Lupe nehmen. Die müssen dann natürlich die mittelalterliche Urkunde im Original in der Hand halten. Und es gibt Leute, die Archive wie unseres schon seit Jahren und Jahrzehnten nutzen und zunächst einmal große Vorbehalte haben, wenn wir versuchen, sie davon zu überzeugen, dass in vielen Fällen eine digitale Kopie auch ausreicht. Die sind dann aber oft positiv überrascht, wenn sie das digitale Material sichten.

WDR.de: Es geht Ihnen neben dem leichteren Zugang sicher auch darum, die teils sehr wertvollen Originale zu schützen?

Berger: Natürlich, das ist ein großes Problem. Ein Archivstück muss man ausheben, es wird genutzt, danach wird es reponiert - bei diesem Vorgang kann immer etwas passieren. Und auch, wenn alle Beteiligten mit größter Sorgfalt vorgehen, entstehen mit der Zeit Schäden durch die Nutzung. Wenn ein Amtsbuch fünfhundertmal durchgeblättert wurde, dann sieht man das einfach. Insofern hilft die Digitalisierung, die Lebensdauer der Archivalien zu verlängern.

WDR.de: Das Stadtarchiv besteht aus über dreißig Regalkilometern. Wie viele dieser Bestände sollen digitalisiert werden?

Berger: Das kann man nicht in Prozentzahlen fassen. Aber die Kriterien für die Digitalisierung sind klar: Es macht keinen Sinn, ein Stück zu digitalisieren, bei dem wir davon ausgehen, dass die Nutzungshäufigkeit sehr gering sein wird.

WDR.de: Was wäre das?

Berger: Zum Beispiel Sozialhilfeakten aus den 1960er Jahren. Weiter digitalisieren wir kein Material, auf dem noch Sperr- und Schutzfristen liegen. Dazu gehören etwa personenbezogene Akten der 1980er und 1990er Jahre. Die darf im Zweifelsfall niemand innerhalb der nächsten 90 Jahre sehen, und dann müssen wir sie auch nicht jetzt digitalisieren. Der Hauptaugenmerk der Digitalisierung liegt bei uns auf Archivgut, das beim Einsturz des Stadtarchivs beschädigt wurde, das aber so weit restauriert werden konnte, um es dauerhaft lagern zu können. Um diese Stücke im Original nutzen zu können, müsste man sie allerdings noch weiter bearbeiten, was ein sehr großer zusätzlicher Aufwand wäre. Man müsste beispielsweise Unmengen an Rissen schließen, was nicht nötig ist, wenn man die Stücke digitalisiert.

WDR.de: Inwieweit können User das Material des digitalen Stadtarchivs nutzen und weiterverwenden?

Berger: Die Stücke, die wir übers Internet zur Verfügung stellen, sind alle gemeinfrei, das heißt, sie unterliegen keinem Urheberrecht und dürfen frei verwendet werden. Wir arbeiten in diesem Bereich überhaupt nicht mehr mit Nutzungslizenzen. 90 bis 95 Prozent unserer Bestände sind ohnehin gemeinfrei, und beim Rest hat sich herausgestellt, dass der Aufwand mit den Lizenzen viel größer ist, als letztendlich an Entgelten hereinkommt. Also haben wir einen Schlussstrich gezogen und alles gemeinfrei gestellt. Unsere Stücke stehen alle ohne Sicherung im Internet. Jeder, der will, kann diese runterladen, in sein Blog einbinden, bearbeiten - was auch immer. Selbst die kommerzielle Nutzung ist möglich. Wir drängen nur darauf, dass die Quelle angegeben wird. Aber selbst das kann man ja nicht kontrollieren.

Das Interview führte Ingo Neumayer