Anlaufstelle für Geschädigte des Tagebaus

Schlichter für Bergschäden

Stand: 16.04.2010, 19:50 Uhr

Seit dem 16. April 2010 gibt es für Geschädigte des Braunkohle-Tagebaus eine Schlichtungsstelle. Wenn RWE die Risse in den Wänden, gebrochene Rohre und klemmende Türen nicht als Tagebau-Schäden anerkennt, kann das Gremium in Köln angerufen werden.

Von Stefan Michel

Der Braunkohlenausschuss bei der Bezirksregierung Köln gab am Freitag (16.04.2010) grünes Licht für die neue Schlichtungsstelle. Sie kann nun unverzüglich ihre Arbeit aufnehmen. Tagebau-Geschädigte können die Schlichtungsstelle anrufen, wenn zuvor eine Einigung mit dem Braunkohle-Unternehmen RWE Power gescheitert ist. Betroffene haben damit eine Alternative zu einem mit hohen Kostenrisiken verbundenen Gerichtsverfahren.

Die durchtrennte Schule

In Jülich gibt es eine riesige Zitadelle, und inmitten der spätmittelalterlichen Trutzburg steht ein Gymnasium. Quer unter der Zitadelle verläuft eine tektonische Störung, eine unterirdische Bruchlinie. Jahrhunderte lang war das kein Problem. Jetzt aber liegt Jülich zwischen den Braunkohle-Tagebauen Inden und Hambach. Der Grundwasserspiegel ist abgesenkt worden, und mit ihm hat sich die Erdoberfläche gesenkt. Vor allem entlang von tektonischen Störungen sinkt der Boden oft ungleichmäßig ab. Bergschäden sind die Folge: Risse in Wänden und Böden, Einsturz im schlimmsten Fall.

RWE Power, Alleinherrscher über das rheinische Braunkohle-Revier, hat sich die Schadensminderung in der Jülicher Zitadelle einiges kosten lassen: Der Stromkonzern ließ das Hauptgebäude des Gymnasiums der Höhe und Breite nach durchtrennen, so dass sich der eine Flügel des Baus gegenüber dem anderen um rund einen halben Meter absenken konnte. Und zwischen Fundamentplatte der Schule und unterirdisches Deckengewölbe der Zitadelle hat RWE hydraulische Stützen einbauen lassen. Wenn sich der Grund weiter absenkt, wird die Schule nun eben ein wenig angehoben.

Allein gegen den Konzern

So zahlungswillig zeigt sich der Konzern nicht bei allen Bergschäden. Zwei Kilometer Luftlinie von der Zitadelle entfernt liegt das Wohnhaus von Gerd Linneweber, ebenfalls auf einer tektonischen Störung. Auch hier setzt sich ein Gebäudeteil vom Rest des Hauses ab; der inzwischen Finger breite Riss geht vom Dach bis ins Fundament. Der Schaden ist RWE Power seit 18 Jahren bekannt. Als Bergschaden anerkannt hat ihn der Konzern bis heute nicht. Linnewebers Stimme wird schrill, wenn er aufzählt, welche Begründungen er dafür im Laufe der Jahre gehört hat: Sickerwasser und Bodenfrost seien schuld am Schaden, an dieser Stelle sei der Grundwasserspiegel gar nicht gesenkt worden, oder: Unter dem Haus gebe es gar keine tektonische Störung. Dabei seien, so Linneweber, in seiner Nachbarschaft "schon sieben Häuser wegen Bergschäden abgerissen worden!"

"Sorgsamer Umgang mit den Fällen"?

Gerd Linneweber ist kein Einzelfall. Zwischen Mönchengladbach und Euskirchen, zwischen Köln und Aachen gibt es in zahlreichen Orten solche Schäden. RWE Power werden nach eigenen Angaben 275 Fälle pro Jahr gemeldet, von denen im Schnitt 40 als Bergschäden anerkannt würden und zwei vor Gericht gingen. "Bislang ist nie gegen uns entschieden worden", erklärt Konzernsprecher Lothar Lambertz WDR.de, "was wir als Beleg für unseren sorgsamen Umgang mit den einzelnen Fällen werten." Man kann das auch anders interpretieren, so wie die auf Bergschäden spezialisierte Rechtsanwältin Doris Vorloeper: Der Konzern sei sehr darauf bedacht, keine Schlappe vor Gericht zu erleiden. "In den Verfahren, die gut für die Geschädigten laufen, werden Vergleiche abgeschlossen."

Dass RWE "vorweg gehen" würde, wie der Firmenslogan verspricht, ist beim Thema Bergbauschäden nicht zu erkennen. Da werden sogar Tatsachen bestritten, die kaum zu bestreiten sind. Zum Beispiel, dass eine zweite, massive Welle von Gebäudeschäden entsteht, wenn die Kohle abgebaut ist und die Pumpen abgestellt werden. Konzernsprecher Lambertz: "Durch den Grundwasseranstieg sind neue Bergschäden nicht zu erwarten." Dabei sind solche Schäden längst dokumentiert, etwa in Korschenbroich im Kreis Neuss. Der Kreis ließ 2002 ein Gutachten erstellen, um herauszufinden, wie sich die Schäden durch ansteigendes Grundwasser wenigstens mindern lassen.

Ungleichheit vor dem Gesetz

Ähnliche Schäden an Straßen und Gebäuden wie der Braunkohle-Tagebau verursacht auch der Steinkohle-Bergbau. Allerdings sind die Steinkohle-Geschädigten rechtlich besser gestellt: Wenn das beschädigte Haus über einer Steinkohlezeche liegt, gilt per se eine "Bergschadensvermutung". Wenn also die Bergbaufirma nicht zahlen will, dann muss sie nachweisen, dass der Schaden eine andere Ursache hat als den Bergbau. Für die Braunkohle-Geschädigten gilt dies nicht - sie müssen beweisen, dass der Tagebau Ursache des Schadens ist. Das vor einem Jahr fürs rheinische Braukohlerevier gegründete "Netzwerk Bergbaugeschädigter" fordert deshalb, das Bundesberggesetz zu ändern und allen Bergbaufirmen, auch denen des Braunkohle-Tagebaus, die Beweislast aufzuerlegen.

Eine andere Forderung des Netzwerkes ist jetzt erfüllt: Auch für Tagebau-Schäden gibt es jetzt eine Schlichtungsstelle, wie es sie schon seit einem Jahr für Schäden durch den Steinkohle-Abbau existiert. Die "Anrufungsstelle", wie sie offiziell heißt, besteht aus einem Berufs-Richter und je einem Beisitzer, den RWE Power und die Verbände der Bergbau-Geschädigten benennen. Das Schlichtungsverfahren ist für den Geschädigten kostenlos. Wenn der Richter ein Gutachten anfordert, muss RWE dies bezahlen. Zwar ist der Schlichtungs-Spruch rechtlich nicht bindend. Aber die Erfahrung mit der Steinkohle-Schlichtungsstelle in Essen hat gezeigt, dass er meist befolgt wird. Die Essener Schlichter sind seit April 2009 70 Mal angerufen worden. In mehr als drei Viertel der verhandelten Fälle einigten sich Bergbaukonzern und Geschädigter.