MONITOR vom 12.05.2022

Ukraine-Krieg: Ist der Pazifismus am Ende?

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Bericht: Georg Restle, Luisa Meyer

Ukraine-Krieg: Ist der Pazifismus am Ende?

Monitor 12.05.2022 06:08 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Georg Restle, Luisa Meyer

Georg Restle: "Aber erstmal zu einer Debatte, die das Land – mal wieder – spaltet. Je länger der Krieg in der Ukraine andauert, umso tiefer scheinen die Gräben in diesem Land zu werden, wenn es um die Frage geht, wie Deutschland der Ukraine helfen sollte. Weiter schwere Waffen für die Ukraine? Ja oder nein? Für viele Menschen führt diese Frage geradezu in eine innere Zerreißprobe. Vor allem für diejenigen, die wie ich mit der Friedensbewegung groß geworden sind. Taugen die alten Parolen jetzt noch von "Frieden schaffen ohne Waffen" oder "Schwertern zu Pflugscharen"? Anders gefragt, welche Antworten kann der Pazifismus überhaupt noch geben angesichts der grauenhaften Kriegsverbrechen in der Ukraine?"

78 Tage Krieg – ein Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat, ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung. Ein andauerndes Kriegsverbrechen. Verantwortlich dafür: der russische Staat und sein oberster Repräsentant. Gibt es eine pazifistische Antwort auf diese Aggression oder hat der Pazifismus angesichts solcher Bilder ausgedient?

Margot Käßmann, Evangelische Theologin: "Das Ende des Pazifismus wurde schon oft beschrieben angesichts all der Kriege in dieser Welt, die stattfinden und angesichts derer immer wieder gesagt wird, jetzt muss die Waffe in die Hand genommen werden. Und ich bin dankbar, dass es noch Menschen gibt, die das durchhalten und sagen, trotz all dieser entsetzlichen Gräuel bleibe ich dabei, dass ich Waffen nicht als Lösung sehe."

Also Frieden schaffen ohne Waffen? Radikal? Ausnahmslos?

Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof ev. Kirche in Bayern: "Frieden kann nicht mit Waffen geschaffen werden. Das alles bleibt richtig, es muss nur ergänzt werden durch eine Komponente, die sagt, in bestimmten Situationen kann es notwendig sein, als ultima ratio auch militärische Gewalt anzuwenden, um Menschen zu schützen."

Also ein wehrhafter Pazifismus? Einer, der Ja sagt zu militärischer Gewalt und Waffenlieferungen? Um wehrlose Opfer zu schützen vor einem übermächtigen Aggressor? Könnte das eine pazifistische Antwort sein auf diesen verbrecherischen Krieg?

Ljudmyla Melnyk, Institut für Europäische Politik: "Das ist sehr schwierig, ich glaube, aus der deutschen Perspektive das zu verstehen. Wie können Waffen zu einer friedlichen Lösung beitragen? Aber in diesem Fall haben wir gar keine andere Wahl. Entweder haben wir die Möglichkeit, jetzt wirklich die Ukraine zu unterstützen, oder dann haben wir die Möglichkeit, dass so ein Diktat-Frieden herrschen würde und dass die Ukraine sukzessiv einfach vernichtet wird."

Die pazifistische Antwort lautet oft Diplomatie, Verhandlungen. Aber geht das mit einem Diktator, der gar nicht verhandeln will? Der einen Frieden nach seinem Willen diktieren will aus militärischer Überlegenheit? Mit wem also reden?

Margot Käßmann, Evangelische Theologin: "Es sollte alles getan werden, um die diplomatischen Bemühungen zu erhöhen. Ich finde es völlig falsch, wenn Universitäten jetzt ihre Beziehungen zu Russland abbrechen. Wir brauchen Gesprächskanäle mit der russischen Zivilgesellschaft. Wir müssen ermutigen, dass sich in Russland Widerstand gegen diesen Angriffskrieg tatsächlich formiert."

Die Stärkung der Zivilgesellschaft. Wird das ausreichen? Und ansonsten Putin gewähren lassen? Mit der Gefahr, dass er nach der Ukraine auch in Moldau oder in den baltischen Staaten einmarschiert? Und weiter Unruhe stiftet in ganz Osteuropa? Wäre das eine friedlichere Welt?

Marina Weisband, deutsch-ukrainische Publizistin: "Alle Regierungen gucken ganz genau hin, wie die Weltgemeinschaft reagiert, wenn man in ein Land einmarschiert und dort Territorien besetzt. Sollte Putin irgendeinen Erfolg haben, dann ist das die Lehre für alle anderen. Es lohnt sich, Angriffskriege lohnen sich. Und das mindert ganz aktiv den Frieden in der Welt."

Wer also hat Recht? Diejenigen, die einen Sieg Putins für die größte Gefahr halten oder diejenigen, die vor einer Eskalation warnen, wenn der Westen sich immer tiefer hineinziehen lässt in einen Krieg, der am Ende ein atomarer werden könnte? Und wie schaffen wir es, hier in Deutschland darüber zu diskutieren, ohne uns dabei die Köpfe einzuschlagen? Müssen beide Seiten dazulernen?

Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof ev. Kirche in Bayern: "Eine Lernerfahrung für diejenigen, die militärischer Gewalt alles zutrauen, wird sein, dass wir sehr genau wissen, dass militärische Gewalt immer die Gefahr der Eskalation in sich birgt und dass sie deswegen so weit wie irgend möglich begrenzt werden muss. Lernerfahrung auf der anderen Seite der grundsätzlichen Ablehnung jeder Gewalt wird sein, dass keine - in diesem Fall keine - wirklich wirksamen Wege erscheinen, die Menschen, die direkt von Gewalt bedroht sind, wirksam zu schützen."

Vor allem aber: Was kommt nach diesem Krieg? Immer weitere Aufrüstung statt Abrüstung und Rüstungskontrolle? Siegen am Ende die Falken endgültig über die Tauben? Schaffen wir dadurch langfristig mehr Frieden in einer Welt, die vor so viel größeren, gemeinsamen Herausforderungen steht?

Prof. Ursula Schröder, Friedensforscherin: "Wir haben die Klimakrise, wir haben vielfältige Gewaltkonflikte auch hoher Intensität in der gesamten Welt. Wir haben die Pandemie und wir müssen sehen, dass in all diesen Konflikten das Militär nicht die Währung sein wird, die zum Frieden führt."

Es ist eine schwierige Debatte. Aber eine, die wir führen müssen - langfristig. Für eine friedlichere Welt, über diesen Krieg hinaus.

Georg Restle: "Wo immer man in dieser Debatte stehen mag, man sollte jedenfalls genau hinschauen, wer da gerade alles vom Frieden redet und dabei doch nur neue Kriege im Sinn hat."

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Stand: 12.05.2022, 22:15 Uhr

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190 Kommentare

  • 190 Monika 03.06.2022, 09:18 Uhr

    Die Russen sind der Aggressor ! Die Sozen stützen sie durch ihre Kuschelpolitik und bewirken besonders durch die weiterhin bestehenden Energiepreisz ...weiterlesen

  • 183 Hubert Staller 02.06.2022, 10:26 Uhr

    Der Krieg in der Ukraine muss sofort ohne weitere Tote, ohne Umweltzerstörung beendet werden. Da ihn die russische Regierung nicht beendet (bei dene ...weiterlesen

  • 33 Hufschmied 13.05.2022, 11:29 Uhr

    Wann wird endlich dieser schreckliche Krieg beendet? Die ersten Generationen werden die überwiegend muttersprachliche russisch sprechenden Ostukrain ...weiterlesen