MONITOR vom 10.11.2016

Phänomen Trump: Was lehrt uns die US-Wahl?

Bericht: Georg Restle, Stephan Stuchlik

Phänomen Trump: Was lehrt uns die US-Wahl? Monitor 10.11.2016 07:37 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Jubel bei den Anhängern von Donald Trump - und wütende Proteste gegen den künftigen US-Präsidenten. Gestern Nacht auf den Straßen von New York. Die USA, ein gespaltenes Land. Aber was bedeutet die Wahl Trumps für Deutschland? Guten Abend und willkommen bei Monitor. Ja, das war ein Schock für die Eliten in Deutschland. Mit diesem Präsidenten hatten die meisten nicht gerechnet. Eine offensichtliche Fehleinschätzung, und die zweite folgt sogleich: Ein Populist wie Trump hätte in Deutschland keine Chance. Von wegen! Bei allen Unterschieden, die USA und Deutschland haben viel mehr gemein, als manche hier glauben mögen. Auch dieses Land gerät immer stärker in eine soziale Schieflage. Auch hier gibt es berechtigte Zukunftsängste. Auch hier können immer weniger Menschen von ihrem Einkommen leben. Genau der Humus, auf dem Populismus gedeiht - ob die Heilsbringer nun Donald Trump oder AfD heißen.“

Applaus für den Überraschungssieger, für den Mann, den vor einem Jahr noch kaum einer auf der Rechnung hatte. Jubel in Amerika - Entsetzen in Deutschland.

Aber nicht bei allen. Für die AfD war Trumps Erfolg eine Nacht, die alles verändert habe. Für ihren NRW-Landeschef Marcus Pretzell beginnt damit eine „neue Epoche der Weltgeschichte“. Beatrix von Storch schreibt: „Herzlichen Glückwunsch, Mr. Trump!“ Und Frauke Petri spricht von einer „historischen Chance“.

Trump und die AfD - und die Gemeinsamkeiten. Einig im Hass aufs Establishment und auf die Zuwanderer im Land. America first, Deutschland zuerst!

Donald Trump (Übersetzung Monitor): „Ich will, dass das ganze korrupte Establishment in Washington das hört: Wir werden den Sumpf trockenlegen!“

Björn Höcke, AfD: „Diese  vaterlandslosen Gesellen dort, die lösen unser liebes Deutschland auf wie ein Stück Seife unter einem Wasserstrahl. Aber wir, liebe Freunde, wir werden diesen Wasserstrahl jetzt abdrehen.“

Donald Trump (Übersetzung Monitor): „Ich fordere ein vollständiges Einreiseverbot für Muslime in die USA!“

Björn Höcke, AfD: „Die drei großen M‘s haben eine Grenze. Mohammed, Muezzin und Minarett, für die ist grundsätzlich am Bosporus Schluss.“

Donald Trump (Übersetzung Monitor): „Wir machen Amerika wieder groß!“

Markus Frohnmaier, AfD „Wenn wir kommen, dann wird ausgeräumt, dann wird ausgemistet. Dann wird wieder Politik für das Volk, und zwar nur für das Volk gemacht!“

Hauptsache laut, Hauptsache provokant - das gilt auch für die Anhänger der Populisten - hier wie dort.

Prof. Gesine Schwan, Politikwissenschaftlerin: „Es ist ein lauter Schrei, möchte ich sagen, der auch vulgär oft daherkommt, der sagt, anders geht’s jetzt nicht mehr. Alle die, die bisher Politik gemacht haben, haben uns, diese Gruppe, die wir hier sind, nicht beachtet. Und da ist ja auch ein bisschen was dran.“

Und es sind dieselben Menschen, die sich nicht beachtet fühlen, bei Trump in den USA und bei der AfD in Deutschland. Es ist dasselbe Milieu, das hier aufbegehrt.

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Der typische Trump-Wähler ist sicherlich jemand in der Mittelschicht, weiß, männlich, mittleren Alters, der Sorgen hat um die Zukunft. Der nicht weiß, wie es weitergeht, der vielleicht seinen Job verloren hat oder zumindest einen Job hat, den er Sorge hat zu verlieren, der das Gefühl hat, seine Kinder werden es nicht besser haben als sie als Eltern. Das ist der typische Trump-Wähler und zeigt natürlich auch viele Parallelen zu dem auf, was wir in Deutschland mit dem AfD-Wähler haben.“

Es ist die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg, der sie verbindet. In den USA beklagen 62 Prozent der Trump-Anhänger, ihre finanzielle Situation habe sich nicht verbessert, gegenüber 39 Prozent der anderen Befragten. In Deutschland haben 67 Prozent der AfD-Anhänger das Gefühl, die finanzielle Situation verschlechtere sich, gegenüber 34 Prozent bei den Wählern anderer Parteien.

In Gegenden wie diesen ist die Angst besonders verbreitet, im Rust Belt etwa, dem sogenannten „Rostgürtel“ Amerikas. Hier feiert Trump Erfolge. Und zwar bei einer Mittelschicht, der immer stärker unter Druck gerät. Das PEW-Research-Center hat in den USA ein bedrohliches Schwinden des Mittelstandes festgestellt, von 59 Prozent 1981 auf grade mal 50 Prozent 2015.

In Deutschland fast das gleiche Bild. Mannheimer Norden, eine Stadt im Strukturwandel, AfD-Hochburg. Noch liegen die Einkommen hier im mittleren Bereich. Aber auch in Deutschland ist die Mittelschicht auf dem Rückzug. Das DIW hat in einer Untersuchung ein Schrumpfen des Mittelstands von 69 auf 61 Prozent festgestellt.

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Die Mittelschicht in Deutschland schrumpft, ähnlich wie das auch in den USA der Fall ist. Das bedeutet, die Mittelschicht ist ja das Rückgrat eigentlich einer jeden Gesellschaft, einer jeden Wirtschaft. Und die wird damit geschwächt. Und eine weniger starke Mittelschicht heißt auch ein Problem der Demokratie, dass politische Teilhabe geringer wird. Weniger Menschen bringen sich wirklich auch in den politischen Prozess ein, werden desillusioniert. Auch die polit-ökonomische Teilhabe, also Chancengleichheit nimmt damit ab. Die Menschen haben das Gefühl, nicht mehr wirklich mit der eigenen Hände Arbeit für sich sorgen zu können. Das schwächt also nicht nur die Wirtschaft, sondern es schwächt auch die Demokratie.“

Es ist ein Gefühl der Heimatlosigkeit in Zeiten der Globalisierung, in denen Arbeitsplätze weltweit verteilt werden. Die Digitalisierung, die menschliche Arbeit durch Roboter ersetzt, greift den Mittelstand an. Ein entfesselter Finanzmarkt-Kapitalismus entwertet sein Vermögen auf den Banken und gefährdet die Rentenversicherungen. Das Vertrauen in eine Politik, die Gerechtigkeit schafft, es schwindet.

Prof. Gesine Schwan, Politikwissenschaftlerin: „Ich denke, dass wir seit ungefähr 30 Jahren eine große Konzentration auf die Idee haben, dass in einer globalisierten Ökonomie Politik eigentlich sowieso nicht so viel sagen sollte, dass der Markt entscheiden sollte und dass traditionelle Fragen, zum Beispiel wie die nach Gerechtigkeit, nach einem gerechten Verhältnis von Arbeitnehmerlohn und Managergehalt und Verantwortlichkeit und so weiter, dass alle diese Fragen überflüssig sind, weil der Markt entscheidet.“

Eine Politik, die vor den Märkten kapituliert. Gerechtigkeitsversprechen, die nicht eingehalten werden - davon profitiert Trump, davon profitieren Populisten in Deutschland. Und immer wieder der Fremde als Feind - in den USA wie bei uns.

Prof. Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: „Menschen versuchen eine Erklärung, etwas Schuldiges zu finden für ihre eigene wirtschaftliche Lage, für ihre eigene Unsicherheit. Und dem muss die Politik in Deutschland, auch die Gesellschaft entschieden entgegentreten und sagen, nein, euer Problem hat nichts mit Vielfalt, mit Religion, mit Zuwanderern zu tun. Das Problem liegt häufig in der fehlenden Chancengleichheit, in den fehlenden Bildungschancen, in der fehlenden sozialen und gesellschaftlichen Durchlässigkeit. Darum geht es und das muss die Politik viel ernster nehmen.“

Donald Trumps Wahlsieg sollte nachdenklich machen. In einem Jahr ist wieder Wahl. Hier bei uns, in Deutschland.

Georg Restle: „Um eins klarzustellen, soziale Ungerechtigkeit ist ganz sicher eine Ursache für den Erfolg der Populisten. Was sie allerdings nie sein darf, eine Rechtfertigung für Rassismus und Fremdenhass.“

Kommentare zum Thema

  • Georg Lang 12.11.2016, 23:10 Uhr

    ...gratuliere zum schlechtesten Monitor-Beitrag in 25 Jahren. ...aber schreiben wir´s mal dem Schock zu. ...an den jedoch solltet Ihr Euch gewöhnen, denn es wird nicht der letzte sein. Das Märchen von den "angry white men" ist ebenso falsch wie gefährlich. Schade eigentlich, so´n paar alternde Holzköpfe, die die Welt nicht mehr verstehen und sich als Generalschuldige freiwillig melden, könnten wir jetzt gut brauchen. Nur die Fakten, die sprechen dagegen: Die Baby-Boomer Generation ist nicht mehr die größte Bevölkerungsgruppe. Sie sind zu grob zwei Dritteln "weiß", zu weniger als der Hälfte männlich und nicht alle von ihnen sind wirtschaftlich abgehängt. Das sind immer noch ziemlich viele Leute, aber die sind weit weg von der Mehrheit. Die Wahrheit ist: Trump hat viele junge Wähler begeistert, viele Frauen haben ihn gewählt -auch gebildete-, er hat unter Farbigen und selbst unter Latinos gepunktet, auch wenn er dort keine Mehrheiten gefunden haben mag. Das hochnäsige He ...

  • Biotechnologe26 11.11.2016, 18:41 Uhr

    Ich bin schon länger ein Fan von Monitor, aber viele der Kommentare dieses Themas gefallen mir gar nicht. Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung: "Die Menschen haben das Gefühl, nicht mehr wirklich mit der eigenen Hände Arbeit für sich sorgen zu können." Wie man an den Zahlen in diesem Beitrag erkennen kann sind, das eben nicht nur Gefühle und unbegründete Ängste. Zudem bin ich nicht sehr zufrieden mit Euren "Experten". Es ist nun schon seit Jahren bekannt, dass das Ifo-Institut alles andere als eine neutrale Wirtschaftsforschungseinrichtung ist. Kann man auch nicht erwarten, wenn der Präsident dieser Einrichtung gleichzeitig im Vorstand einer Bank sitzt (H.W.Sinn). Auch wenn Prof. Sinn diese Einrichtung nun nicht mehr leitet ,kann man vom Sprachrohr des Neoliberalismuses in Deutschland nicht erwarten Einblicke in die Sorgen der "normalen" Bürger zu haben. Prof. Gesine Schwan „Ich denke, dass wir seit ungefähr 30 Jahren eine große Konzentration au ...

  • Ich noch mal - jetzt aber mal wirklich TOLL und RICHTIG ! 10.11.2016, 22:44 Uhr

    Der Kommentar in den Tagesthemen 22:15 von Alois Theisen - das nenne ich eine perfekte Analyse der aktuellen Situation. DANKE - es besteht noch Hoffnung in den öffentlich rechtlichen Sendern. DANKE