MONITOR vom 19.09.2019

Pflegenotstand absurd: Wie Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden

Bericht: Lara Straatmann, Nikolaus Steiner

Pflegenotstand "absurd": Wie Flüchtlinge vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden Monitor 19.09.2019 07:11 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lara Straatmann, Nikolaus Steiner

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Georg Restle: „Der Gesundheitsminister im Einsatz gegen den Pflegenotstand. Jens Spahn auf Welttournee, um Pflegekräfte nach Deutschland zu holen. Hier im Kosovo, und heute schon in Mexiko. Kein Witz. Guten Abend und willkommen bei MONITOR. Kein Weg und kein Land scheinen dem Gesundheitsminister gerade zu weit, um den riesigen Bedarf an Pflegekräften zu decken. Unbürokratisch und ohne große Hürden soll das alles funktionieren, Hauptsache schnell. Dabei müsste sich Jens Spahn nur vor der eigenen Haustür umschauen. In Deutschland gibt es nämlich Menschen, die sofort mit der Pflege anfangen könnten – wenn man sie nur ließe. Aber hierzulande tun Ausländerbehörden gerade alles, um sie genau daran zu hindern. Lara Straatmann und Nikolaus Steiner über eine Politik, für die es eigentlich nur einen Begriff gibt – absurd.“

Zumindest die Schürze darf er schon mal anprobieren. Modou Niang ist ausgebildeter Altenpflegehelfer. Seit fünf Jahren ist der Senegalese schon in Deutschland, lernt die Sprache, gilt als gut integriert. Jetzt möchte er eine Ausbildung zum Altenpfleger in Bayern beginnen.

Modou Niang, Altenpflegehelfer: „Dieser Beruf, ich finde, das ist ein schöner Beruf. Viele Bewohner, wo die mir immer sagen, Modou, du bist Beste. Und das liegt immer bei mir im Herzen.”

Doch für Modou Niang ist erstmal Schluss. Er darf nicht arbeiten und auch keine Ausbildung machen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, er ist nur geduldet. Grundsätzlich dürfen auch Geduldete arbeiten und eine Ausbildung machen, aber die Ausländerbehörde erteilte ihm dafür keine Erlaubnis. Für die Heimleiterin Claudia Ruf-Hegele nicht nachvollziehbar, denn sie suchen hier händeringend Auszubildende – und er fehlt.

Claudia Ruf-Hegele, stellv. Leiterin, Haus der Senioren Gundelfingen: „Der sitzt zu Hause und kriegt keine Arbeitserlaubnis und ruft hier jeden Tag an. Und Sie wissen hier nicht, wie sollen Sie jetzt einen Dienstplan abdecken. Und er ist frustriert, weil er nicht arbeiten darf. Und Sie als Heim haben eigentlich jemand, der hier sofort einsatzfähig wäre, und der darf nicht kommen. Also das ist einfach frustrierend.“

Bundesweit herrscht massiver Fachkräftemangel in der Pflege. Im vergangenen Jahr waren durchschnittlich 39.600 Stellen in der Alten- und Krankenpflege nicht besetzt. In den kommenden 15 Jahren werden laut Bundeswirtschaftsministerium mindestens 100.000 Vollzeitpflegekräfte zusätzlich benötigt.

Michael Bammessel, Präsident Diakonie Bayern: „Wir haben zum Teil verzweifelte Anrufe, jetzt schon, bei unseren Stationsleitungen. Wo Angehörige sagen, ja, könnt ihr niemanden schicken? Und ich sage, tut uns leid, wir haben niemanden.“

Den Fachkräftemangel in der Pflege bekämpfen, das hat sich der Bundesgesundheitsminister zur Kernaufgabe gemacht. In den vergangenen Jahren bemühte sich die Bundesregierung in einer ganzen Reihe von Ländern um Pflegekräfte. Im Juli reiste Gesundheitsminister Spahn sogar persönlich in den Kosovo, um junge Pflegekräfte anzuwerben. Schnell und unbürokratisch soll es gehen.

Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister (15.07.2019): „Dass sie dann auch keine Steine in den Weg gelegt kriegen auf dem Weg nach Deutschland, um bei uns zu arbeiten, denn wir können jede Pflegekraft, die mit anpacken will, gut gebrauchen.“

Keine Steine in den Weg legen. Der Pflegehelfer Modou Niang aber darf nicht arbeiten. Zentrale Begründung: Er war ohne Ausweisdokumente nach Deutschland gekommen und habe nicht genug getan, um seine Identität zu klären. Im Aufenthaltsgesetz heißt es dazu:

Zitat: „… der Ausländer ist verpflichtet, an der Beschaffung des Identitätspapiers mitzuwirken.”

Und aus dem Bundesinnenministerium heißt es:

Zitat: „Wer seine Identität verschleiert und bewusst nicht klärt, soll keine Möglichkeit der Aufenthaltsverfestigung durch Arbeit erhalten.”

Unklare Identität? Modou Niang und sein ehrenamtlicher Helfer, der Bundeswehroberst Georg Schrenk können das nicht nachvollziehen. Dutzende Mails haben sie geschrieben, zweimal ist Niang sogar nach Italien gereist, zum senegalesischen Konsulat. Hat eine Geburtsurkunde besorgt und nach anderthalb Jahren sogar einen Pass. Doch das alles reichte der Ausländerbehörde nicht.

Georg Schrenk, Oberst a. D.: „Es ist dann frustrierend, wenn Sie zum Beispiel eine Geburtsurkunde vorlegen und dann kommt … na ja, die muss jetzt zuerst zur Überprüfung. Dann wird eine ID-Karte besorgt, besorgt er sich selbst. Und dann kommt die Aussage, aber jetzt musst du einen Pass besorgen. Jetzt hat er einen Pass, und man sagt ihm weiterhin, junger Freud, du hast das zwar, hast das zwar, aber es hat die Mängel und das Mängel, und so weiter, und so fort.”

Zuletzt argumentierte die Ausländerbehörde, dass das Datum auf dem Pass nicht mit vorherigen Angaben übereinstimme. Damit habe er nicht genug mitgewirkt bei der Identitätsklärung und dürfe nicht arbeiten.

Lea Rosenberg, Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen: „Also Mitwirkungspflichten haben ihren Sinne. Natürlich hat der Staat ein Interesse daran, zu wissen, wer in diesem Land ist, wie die Identität der Person ist, wo sie herkommt. Das ist erstmal grundsätzlich anzuerkennen. Aber viele Ausländerbehörden haben ein oft maßloses Verständnis davon, ab wann die Mitwirkungspflichten endlich erfüllt sind. Und so lange Menschen jede Form der Ausbildungs- und Arbeitsmarktintegration zu verweigern, das ist inakzeptabel.”

Auch die Äthiopierin Mulu Tessema in Nürnberg darf nicht mehr arbeiten, weil sie sich angeblich nicht genug darum bemüht habe, ihre Identität zu klären. Die Altenpflegehelferin hat bereits gearbeitet. Damit ist nun Schluss. Sie verliert ihr Zimmer im Pflegeheim und darf ihre Ausbildungsstelle zur Altenpflegerin nicht antreten.

Mulu Tessema, Altenpflegehelferin: „Jeden Tag war ich beim Ausländeramt und hab gesagt, bitte, können Sie mir Zeit geben? Darf ich in die Schule gehen? Hat sie gesagt, nein, du darfst nicht. 24 Stunden zu Hause bleiben, das ist für mich anstrengend, zu Hause zu bleiben.”

Sie hat eine Geburtsurkunde eingereicht, doch darauf fehle ein Passfoto. Die Identität sei unklar. Nun müsse sie weitere Dokumente aus Äthiopien vorlegen, argumentiert die Ausländerbehörde. Solange darf sie nicht arbeiten.

Michael Bammessel, Präsident Diakonie Bayern: „Man hat den Eindruck, das Wichtigste ist, die Leute wieder loszuwerden, und das finde ich sehr problematisch. Denn oft sind es junge Menschen, die seit Jahren hier sind, die Deutsch gelernt haben, die sich in der Schule angestrengt haben, die gerne eine Ausbildung machen würden in Berufen, die wir dringend brauchen.”

Währenddessen fliegt der Bundesgesundheitsminister um die Welt, um möglichst viele ausländische Pflegekräfte nach Deutschland zu holen.

Lea Rosenberg, Paritätischer Wohlfahrtsverband Hessen: „Wir haben hier viele Menschen, die könnten hier ausgebildet werden, die wollen hier arbeiten, die wollen sich einbringen. Und dann gleichzeitig diesen Menschen das Arbeiten zu verbieten, um im Ausland Menschen anzuwerben – das entzieht sich jeder Logik.”

Eine Logik, die auch der geduldete Altenpfleghelfer Moudou Niang nicht versteht. Gegen ihn seien nun aufenthaltsbeendende Maßnahmen eingeleitet worden, so die Ausländerbehörde. Eine Pflegekraft weniger in Deutschland – obwohl sie dringend gebraucht wird.

Georg Restle: „Nach den neuesten Gesetzesverschärfungen droht Flüchtlingen wie Modou Niang jetzt sogar Haft. Geht es nach der Ausländerbehörde, soll er Deutschland so schnell wie möglich verlassen. Vielleicht hat er dann ja Glück und der Gesundheitsminister schaut mal vorbei, um ihn dann wieder anzuwerben.“

Kommentare zum Thema

  • Jochen 06.07.2020, 09:32 Uhr

    Eine Pflegekraft hat eine Berufsausbildung durchlaufen und den Beruf aus freien Stuecken gewaehlt. Sie ist sofort einesetzbar. Es ist sehr gut, dass wir endlich aufhoeren. Aepfel mit Birnen zu verwechseln. Logisch ist es auch, dass wir leiber ausgebildete Fachkraefte aus Namiba anwerben, als wie jemandem ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung einen Job in der Pflege konstruieren. Wenn ein anerkannter Fluechtling eine Pflegeausbildung hat, bzw. diese absolvieren will, dann ist das ja toll und er soll den Job bekommen und die Ausbildung beginnen, wenn er die Voraussetzungen erfuellt, aber dies schafft keine Entlastung, was den Notstand angeht.

  • Kathi 26.01.2020, 07:27 Uhr

    Blödsinn!! Alles gut und schön und egal welche Nationalität, aber bezahlt uns doch erstmal ordentlich!! Ihr habt UNS Deutsche KAPUTT gespielt und jetzt sucht ihr Ersatz, weil die Kacke am dampfen ist...!! Pflegt „das“, was da ist und ihr werdet sehen, wie schnell das Personal wieder wächst. Ich sitze auch noch zu Hause. Über 20 Jahre Pflege, plötzlich Krebs..., jetzt geheilt, darf aber nicht mehr in die aktive Pflege... Pech gehabt 🤷🏼‍♀️ Fehlanzeige.... bist du NICHTS mehr wert... !!!

  • Ulrike 04.10.2019, 09:55 Uhr

    Dieser Beitrag scheint nicht die ganze Wahrheit zu erzählen? Zum einen hat der Senegalese 5 Jahre Zeit gehabt seine Papiere zu besorgen ! Das sollte in 5 Jahren doch zu schaffen sein und wenn im Pass die Zahlen vermutlich das Geburtsdatum nicht stimmen,hat der junge Mann betrogen ? Es gilt bei geduldeten Flüchtlingen schon länger die Regel 3+2 ! Nach 3 Jahren Lehre kann man 2 Jahre auch arbeiten.Ansonsten gilt die neue Regel, wie der Innenminister von Bayern in diesen Sommer sagte"Wer gut integriert ist,Arbeit hat und gut deutsch spricht darf bleiben". Das gilt auch im Bezug zu geduldeten Flüchtlingen ! Wenn von 600 überprüften unbegleiteten minderjährigen Jugendlichen 400 älter sind als angegeben ,haben 400 betrogen. Falsche Namen und ein falsches Geburtsdatum sind Betrug und müssen auch hart betraft werden.In der Regel mit Ausweisung ! Das finde ich auch so richtig inkl. Schadenersatz.