Bericht: Nikolaus Steiner, Julia Regis
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Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister: „Stellen schaffen ist das eine, Stellen finanzieren ist das eine. Jetzt muss man sie auch besetzen mit entsprechenden Fachkräften. Und der Arbeitsmarkt ist in vielen Bereichen sehr leergefegt. Und auch die Frage in den Blick zu nehmen - das will ich ausdrücklich nochmal sagen - auch im Ausland Fachkräfte anzuwerben.“
Georg Restle: „Das Irrsinnige daran: Während ausländische Pflegekräfte angeworben werden sollen, werden gleichzeitig Pflegekräfte ins Ausland abgeschoben. Als vor drei Wochen 69 Flüchtlinge in diesem Flugzeug von München nach Afghanistan abgeschoben wurden, befand sich unter ihnen auch Abdul Sultani, ein 23-jähriger junger Mann, der gerade seine Ausbildung zum Altenpflegehelfer antreten wollte. Seinen Ausbildungsvertrag hatte er schon unterschrieben, in diesem Pflegeheim in Oberschwaben hätte es also losgehen können. Aber statt als Pflegehelfer in Deutschland zu arbeiten - droht ihm jetzt ein Leben als Obdachloser in Afghanistan.
Und Abdul Sultani ist kein Einzelfall. Auch ausgebildete Pflegekräfte, die in ihren Einrichtungen dringend gebraucht werden, müssen damit rechnen, jederzeit in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden. Auch in Länder, aus denen sie dann wieder angeworben werden sollen. Schwer zu begreifen das alles. Nikolaus Steiner und Julia Regis haben Menschen besucht, die an einer solchen Politik verzweifeln - und dafür jeden Grund haben.“
Geschafft, ein Zeugnis für zwei Jahre harte Arbeit. Schüler an der Geschwister-Scholl-Schule in Leutkirch bekommen ihre Abschlüsse überreicht. Darunter Flüchtlinge aus Mali, Gambia, Nigeria, die nun ausgebildete Altenpflegehelfer sind. Pflegekräfte, die Deutschland dringend braucht. Aber, ob sie auch in Deutschland bleiben dürfen, ist unklar. Bei einigen wurden die Asylanträge schon abgelehnt, die Anerkennungsquoten für Flüchtlinge aus diesen Staaten sind vergleichsweise niedrig. Am Ende droht die Abschiebung. Für den Klassenlehrer Bernhard Thomiczek absolut unverständlich.
Bernhard Thomiczek, Studiendirektor, GSS Leutkirch: „Wir brauchen Pflegekräfte händeringend. Hier sind Pflegekräfte, die mit ausgestreckten Händen sagen, hier, wir sind da, wir sind gut ausgebildet. Wir sind gut angekommen in Deutschland, wir sind integriert, nehmt unsere Hilfe an. Wir helfen ja auch - auch Deutschland - in Bezug auf den Pflegenotstand.“
Fachkräfte wie er werden gebraucht: Tete Yacinthus aus Togo, Westafrika. Gerade hat er seine dreijährige Ausbildung zum Altenpfleger im Haus St. Konrad am Bodensee absolviert. Für ihn ein Traumjob.
Tete Yacinthus, Altenpfleger: „Also was ich in meinem Beruf mag, ist diese Zufriedenheit der Bewohner, dass ich so wie eine Ergänzung zu ihm komme, ihn zufrieden und glücklich mache. Und ich glaube, dieser Beruf ist jetzt für mich eine Berufung.“
Yacinthus ist bei den Kollegen und Bewohnern außerordentlich beliebt.
Barbara Schleif: „Er ist aufmerksam und er ist nicht schnell. Dass man sich nicht gehetzt fühlt. Immer behutsam. Es ist einfach gut, wenn er da ist.“
Aber ob er auch in Deutschland bleiben darf, weiß er nicht. Yacinthus kam als Flüchtling, sein Asylantrag wurde abgelehnt. Es droht ihm die Abschiebung.
Tete Yacinthus, Altenpfleger: „Das war echt ein Schock, weil ich schon dreieinhalb Jahre hier gelebt habe, eine neue Sprache gelernt und dann kommt so einen Bescheid, dass ich weggehen muss. Ja, also, ich, also … Meiner Meinung nach ich, ich gehöre schon hierher.“
Roland Hund, Einrichtungsleiter, Haus der Pflege St. Konrad: „Als dann im vergangenen Oktober sein Ablehnungsbescheid in seinem Asylverfahren kam, war das für uns als Einrichtung natürlich ein Riesenschock. Weil wir planen mit ihm, wir haben in ihn investiert und unsere Bewohner brauchen ihn schlichtweg und wir brauchen ihn, um im Team gute Arbeit machen zu können.“
Dass jemand wie er, der qualifiziert, beliebt und gut integriert ist, Deutschland vielleicht schon bald wieder verlassen muss, können die Bewohner des Haus St. Konrad nicht verstehen.
Barbara Schleif: „Ich finde es unglaublich, weil er alle Eigenschaften besitzt für einen guten Pfleger. Und dass man dann überhaupt in Erwägung zieht, ihn wegzuschicken, finde ich gar nicht gut.“
Yacinthus hat nun gegen den Ablehnungsbescheid Klage eingereicht und hofft, dass er vor Gericht Erfolg haben wird und dann bleiben darf. Für die Einrichtung wäre das ein großer Gewinn, denn sie finden so gut wie keine Fachkräfte mehr.
Roland Hund, Einrichtungsleiter, Haus der Pflege St. Konrad: „In den letzten zwei Jahren die Stellenausschreibungen, die wir sowohl in Print, aber auch in deutschlandweiten Onlinemedien gemacht haben, haben nahezu null Resonanz erzeugt. Nahezu null heißt, zum Teil keine einzige Bewerbung.“
Das Problem: Im Asylverfahren wird lediglich geprüft, ob jemand schutzbedürftig ist, zum Beispiel weil in seinem Heimatland Krieg herrscht. Die Behörden entscheiden dann im Einzelfall, ob ein Asylbewerber oder ein Flüchtling mit Duldung eine Ausbildung machen oder in einem Pflegeheim arbeiten darf. Das wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. Der Grundsatz aber bleibt: wer keinen Schutz bekommt, muss gehen - auch ausgebildete Pflegekräfte. Aber warum ist das so? Ein Interview mit dem Bundesgesundheitsminister bekommen wir dazu nicht. Zur drohenden Abschiebung von Pflegekräften gibt es vom Ministerium keine Antwort. Stattdessen ist von einer Anwerbeinitiative die Rede, von Pflegekräften, die sich regulär aus dem Ausland bewerben sollen.
Zitat: „Voraussetzung ist, dass die Qualifikationen stimmen und die Pflegekräfte aus dem Ausland über ausreichende Sprachkenntnisse verfügen.“
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, 03.07.2018: „Ich weiß, dass in einigen dieser Länder jedenfalls der Arbeitsmarkt sehr, sehr viele ausgebildete Pflegekräfte hat, die keine Chance bekommen, im eigenen Land eine Anstellung zu finden. Die aber eine Perspektive suchen.“
Um welche Länder es vor allem gehen soll, benennt der Gesundheitsminister im Zeitungsinterview:
Zitat (Bild am Sonntag, 01.07.2018): „Im Kosovo ist jeder Zweite unter 25 Jahre alt. In Albanien ist es ähnlich. Und dort ist die Pflegeausbildung häufig besser, als wir denken.“
Pflegekräfte aus Albanien holen? Rolanda Lamnica kommt aus Albanien. Sie lebt schon hier und soll jetzt gehen. Obwohl sie eine ausgebildete Hebamme ist und im Frühjahr eine Ausbildung zur Altenpflegerin angefangen hat, bei der Caritas in Düsseldorf. Aber die musste sie jetzt abbrechen, weil ihr Asylantrag nicht fristgerecht eingereicht worden sei. Jetzt soll sie Deutschland verlassen.
Rolanda Lamnica: „Ich frage mich jeden Tag, warum, wozu, was habe ich gemacht? Wo sind meine Fehler? Ich habe meine Sprache gelernt, deutsche Sprache gelernt? Warum soll ich zurück, wenn ich schon hier bin? Ich habe schon mein Arbeitsplatz bei der Caritas, warum soll ich zurück?“
Dass der Bundesgesundheitsminister jetzt Pflegekräfte aus Albanien anwerben will, während die Albanerin Lamnica abgeschoben werden soll, finden sie bei der Caritas absurd.
Henric Peeters, Vorstandsvorsitzender Caritasverband Düsseldorf: „Das ist natürlich total widersinnig, dass jemand, der sich gut integriert hat, der sich engagiert zeigt in der Arbeit, ausgerechnet jetzt ausreisen muss, weil bestimmte rechtliche Vorgaben nicht erfüllt sind. Das ist vollkommen widersinnig, und die Kolleginnen und Kollegen, die Bewohner, die Angehörigen verstehen das überhaupt nicht.“
Dass Flüchtlinge, die in der Pflege arbeiten, auch langfristig bleiben dürfen, könnte man im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes regeln. Das soll kommen, aber erst 2020 in Kraft treten. Wohlfahrtsverbänden dauert das viel zu lange, angesichts des massiven Pflegenotstands brauche es jetzt sofort gesetzliche Regelungen.
Michael Bammessel, Präsident Diakonie Bayern: „Ich finde es absurd, Menschen abzuschieben, die wir hier dringend brauchen und die hier auch etwas leisten können. Ich möchte, dass wir da einen Abschiebestopp bekommen, einen gesicherten Aufenthaltsstatus für Leute, die in der Pflege ausgebildet sind.“
Altenpfleger Tete Yacinthus möchte bleiben. Er hatte schon mehrere Jobangebote. Aber er will hier weiter arbeiten, im Haus St. Konrad am Bodensee. Sofern die Politik ihn lässt.
Kommentare zum Thema
Guten Tag Herr Restle, wieder einmal herzlichen Dank für Ihren gut recherierten Bericht über Pflegekräfte, die abgeschoben werden sollen. Was für ein Irrsinn!!! Ich betreue als Flüchtlingspate in Schleswig-Holstein junge Afghanen. Einer davon hat nach komplett abgelehntem Asylverfahren eine Pflegehelferausbildung absolviert und wird demnächst voraussichtlich einen gesicherten Aufenthaltsstatus (§ 25 AufenthG) bekommen. Die Praxis ist in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich. Es ist eine Schande, dass im grün regierten Baden-Württemberg überhaupt Afghanen abgeschoben werden!
Wir haben offiziell 2,3 Millionen Arbeitslose! Seit Jahren heißt es „Fordern und Fördern“. Aber ausser Forderungen gegen Arbeitslose und Harz4-Empfänger ist nichts passiert. Das man die Ausbildung zum Altenpfleger bezahlen muss (!?), soll erst nächstes Jahr abgeschafft werden. Eine bessere Bezahlung der Pflege steht dann aber immer noch in den Sternen. 2000€ netto schon in der Ausbildung. Nicht mehr als 6 Stunden pro Tag und 5 Tage pro Woche arbeiten. Und die Garantie, dass Pflegekräfte schon nach 30 Berufsjahren eine anständige Rente bekommen. Es wäre so einfach. Aber lieber denkt man über weitere Milliarden für die Bundeswehr nach und über Atomwaffen für Deutschland. Frau Merkel und der Rest ihrer Regierung muss weg! Ebenso die Parteivorstände der Regierungsparteien. Die planen wahrscheinlich schon den nächsten Krieg.
Die Abschieberegelung ohne individuelles Abwägen widerspricht jedem gesundem Menschenverstand. Menschen , die sich hier integrieren wollen und schon auf dem Weg dazu sind, abzuschieben in eine absolut ungewisse Zukunft, finde ich als Irrsinn.