Ein dünner Mann steht vor dem Spiegel. Sein Spiegelbild ist durchtrainiert.

Eine Definitionsfrage

Können Schwächen auch Stärken sein?

Stand: 26.07.2023, 16:30 Von Stefanie Uhrig Glücksfunken

Von Stefanie Uhrig

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Viele Menschen würden gerne etwas an sich ändern – nicht nur an ihrem Aussehen, sondern oft auch an ihrem Charakter. Übersehen sie dabei das positive Potenzial, das in ihren vermeintlichen Schwächen steckt?

Zu unüberlegt? Zu still? Zu chaotisch? Zu festgefahren in der Routine? Sind wir nicht alle ein bisschen "zu irgendwas"? Dieses Gefühl scheinen vor allem viele junge Menschen zu haben. Eine weltweite Befragung unter Studierenden ergab: Rund 60 Prozent würden gerne etwas an sich ändern. Bei Studierenden aus Deutschland liegt der Wert bei 62 Prozent.

Lieber anders sein

"Viele wären beispielsweise gerne extravertierter", sagt Erik Müller. Er ist Professor für Persönlichkeitspsychologie an der Philipps-Universität Marburg.  Extravertierte Personen sind gesellig und gegenüber anderen oft gesprächig und aufgeschlossen. Ein Verhalten, das in unserer Gesellschaft gut ankommt.

Eine Person sitzt auf einer pinken Kugel und ist umgeben von dem Big 5 Modell der Persönlichkeit.

Die "Big Five" in der Psychologie: Neurotizismus, Verträglichkeit, Offenheit, Gewissenhaftigkeit und Extraversion.

Natürlich hat der Charakter jeder Person viele Facetten. Zur besseren Übersicht haben Forschende aber fünf wichtige Eigenschaften herausgearbeitet, die einen Menschen möglichst umfassend beschreiben sollen: die "Big Five". Neben Extraversion gehören dazu Neurotizismus (emotionale Instabilität), Offenheit für neue Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit.

Kontext und Interpretation

"Welche Eigenschaften erwünscht sind, hängt stark mit der Kultur zusammen, oder auch mit der Gruppe, in der wir uns bewegen", erklärt Erik Müller. Ein Beispiel: Teamarbeit erfordert eine gewisse Verträglichkeit, die einzelnen Personen sollten möglichst gut miteinander klarkommen. Wer sich wiederum im Job gegen Konkurrenz durchsetzen muss, sollte auch mal Biss zeigen können.

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So gesehen kann jeder Aspekt der Big Five je nach Kontext eher positiv oder negativ wirken. Introvertierte Menschen etwa kamen besser mit der sozialen Isolation in der Corona-Pandemie zurecht, während extravertierte es in dieser Zeit besonders schwer hatten. Offenheit für neue Erfahrungen kann sowohl privat als auch im Beruf voranbringen, aber gleichzeitig gefährlich sein, wenn man bei der Suche nach neuen Erlebnissen Risiken ignoriert.

Das Positive erkennen

Was in einer Situation von Nachteil ist, kann in einer anderen eine Stärke sein. "Für das eigene Wohlbefinden ist es wichtig, die Vorteile unserer Eigenschaften zu kennen", sagt Erik Müller.

"Wir sollten nicht glauben, dass extravertierte oder mutige Menschen besser sind als introvertierte oder ängstliche — denn beide Seiten haben ihre Daseinsberechtigung." Erik Müller, Professor für Psychologie an der Philipps-Universität Marburg

Im Umkehrschluss sind nicht alle Eigenschaften immer positiv. Sie einfach "nur" umzudenken und als Talent statt als Hürde zu sehen, wäre zu kurz gedacht. Überspitzt formuliert: Ein besonders introvertierter Mensch hätte als Autoverkäufer:in vermutlich ebenso wenig Freude wie eine wenig gewissenhafte Person als Steuerfachanwält:in.

Umfeld ändern, nicht die Persönlichkeit?

Nur nach den eigenen Stärken zu leben, funktioniert nicht immer: In die Schule gehen muss beispielsweise jede:r. Besonders gut geht es dort denjenigen, die gerne lernen – das lässt sich wohl kaum ändern. Doch selbst innerhalb einer solchen, oft recht starren Struktur bleibt die Möglichkeit der Selbstentfaltung. Der berüchtigte "Klassenclown" bringt vielleicht nicht die besten Noten nach Hause, aber kann immerhin mit Humor überzeugen und ein Talent als Anführer:in zeigen.

Wer seine Persönlichkeit ändern möchte, kann überlegen, ob es auch die äußeren Umstände sind, die nicht passen. Zumal es sehr schwierig sein kann, die Eigenschaften an die Erwartungen von außen anzupassen: In einer Untersuchung, in der Teilnehmende genau das versuchen sollten, ging es tüchtig nach hinten los.

Wer extravertierter, verträglicher oder gewissenhafter werden wollte, erreichte innerhalb eines Jahres eher das Gegenteil. Oft reicht vielleicht die Frage, warum und für wen man sich eigentlich verändern möchte. Außerdem gibt Erik Müller zu bedenken: "Was erwünscht ist und was nicht, kann sich über die Zeit verändern."

Weiterführende Informationen

Big 5 Persönlichkeitstest (Universität Leipzig)

„Wer bin ich? Was kann ich?“ odysso – Wissen im SWR

„Persönlichkeitstests – Schubladen für das Ich“ SWR2 Wissen

Kommentare zum Thema

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1 Kommentar

  • 1 Patrick Rüdiger 11.08.2023, 01:09 Uhr

    Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, das Schwächen oft Stärken hervorrufen und Stärken oft Schwächen. Beispiel: Ich selbst hatte mit einem Knochenbaurückstand von 3 JAhren zu kämpfen als ich in der 1. Klasse war. Schreiben lernen war so hart. Ich konnte selbst nicht lesen was ich schrieb. Und meine Schrift blieb lange im Wesentlichen unlesbar. Ich leite dinge aber besonders effizient im Kopf her. Mit verhältnismäßig wenig informationen bin ich besser in der lage mit die fehlenden Puzzlestücke zusammenzureimen als die meisten anderen. In Physik und Mathe war ich bei Herleitungen etc Spitze. Das eine bedingt das andere. Wer nicht lesen kann was er schreibt, ist mehr darauf angewiesen dinge im Kopf zu erledigen. Die hierfür notwendigen Fähigkeiten werden daher verstärkt trainiert, was dann in dem Bereich zu einem Vorteil führt. Sprich: Wenn man eine Schwäche hat, sollte man drüber nachdenken, welche sachen man beim Umgang mit der Schwäche besonders trainiert.