MONITOR vom 21.02.2019

Abzug aus dem Mittelmeer: Bundeswehr stoppt Seenotrettung

Bericht: Shafagh Laghai

Abzug aus dem Mittelmeer: Bundeswehr stoppt Seenotrettung Monitor 21.02.2019 04:20 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Shafagh Laghai

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Fast vier Jahre lang rettete die Bundeswehr Flüchtlinge, die im Mittelmeer in Seenot gerieten. Doch damit ist es jetzt erstmal vorbei. Am Freitag lief das letzte deutsche Schiff der europäischen Mission Sophia in seinem Heimathafen in Wilhelmshaven ein. Wie wichtig die Bundeswehr für die Rettung von Menschenleben war, zeigt sich aber nicht nur in der Zahl der Geretteten, sondern auch in den Aussagen von Bundeswehrsoldaten, die jetzt in erstaunlicher Offenheit in einem Bundeswehrmagazin nachzulesen sind. Aussagen, die zeigen, dass es einen großen Unterschied macht, ob man die Lage im Mittelmeer vom sicheren Sofa aus oder unmittelbar vor Ort erlebt. Shafagh Laghai.“

Die „Augsburg“ kehrt zurück. Das letzte deutsche Marineschiff, das im Rahmen der Operation Sophia im Mittelmeer unterwegs war. Nach knapp vier Jahren schickt die Bundeswehr kein Schiff mehr für den Einsatz. Eigentlich war die Aufgabe der deutschen Soldaten vor allem eins: Schleuser aufspüren und bekämpfen. Die Praxis aber sah anders aus. Etwa 22.500 Flüchtlinge haben deutsche Soldaten nach Angaben der Bundeswehr in den letzten vier Jahren vor dem Ertrinken gerettet. In einem Bundeswehrmagazin bekommt man jetzt einen seltenen Einblick: Eindrücke von deutschen Soldaten, wie von Oberbootsmann Jan Hodam, die bei Rettungseinsätzen dabei waren.

Jan Hodam: „Das waren kriegsähnliche Szenen. Da waren Leute nackt im Wasser, die um ihr Leben kämpften, schrien, weil ihr Boot im Begriff war, zu sinken.“      

Sie hätten viel Leid gesehen. Aber auch viel Dankbarkeit erlebt.

Jan Hodam: „Als Operateur wusste ich, dass es primär darum ging, Schleusernetzwerke aufzuklären und zu stören. Dass die Hauptaufgabe faktisch dann darin bestand, Menschen zu retten, war für die Besatzung positiv, weil man das Gefühl bekam, etwas Gutes zu tun.“

Menschen, die ertrinken, nicht zu retten. Einfach vorbeizufahren, um andere von der Flucht abzuschrecken, sei für sie keine Option gewesen.

Jan Heckstein: „In der Marine sind wir nicht nur Soldaten, sondern auch Seefahrer. Und ein Seefahrer lässt niemanden im Wasser liegen, ganz gleich, woher er kommt. Da gab es keine Diskussion.“

Doch das, was viele Soldaten als sinnvoll und richtig empfanden - damit ist jetzt Schluss. Deutschland zieht sein Schiff aus der Operation Sophia ab. Warum? Schuld daran sei er: Italiens rechtspopulistischer Innenminister Salvini. Italien hat das Oberkommando über alle Schiffe der Operation Sophia und die Seenotrettung quasi lahmgelegt.

Ursula von der Leyen, Verteidigungsministerin, 23.01.2019: „Wir sind seit etwa einem dreiviertel Jahr vom italienischen Kommando in die entlegenste Ecke des Mittelmeers geschickt worden, wo es überhaupt keine Schmuggelrouten gibt, und wo es auch keine Flüchtlingswege gibt. Das heißt, die Soldatinnen und Soldaten, unsere Schiffe sind ohne eine sinnvolle Aufgabe seit Monaten.“

Italien blockiert die Seenotrettung der Bundeswehr und die Bundesregierung kann nichts dagegen tun?

Ruben Neugebauer, Rettungsorganisation „Sea Watch“: „Die Verteidigungsministerin macht es sich zu einfach, wenn sie sagt, na ja, Italien hat uns da irgendwie in entlegene Gebiete des Mittelmeers geschickt. Die Bundesregierung könnte mit einem Mandat des Bundestags völlig problemlos ein Schiff dorthin schicken für den Zweck, wo es dort gebraucht wird, nämlich die Rettung von Menschen aus Seenot.“

Eine eigene Seenotrettungsmission aber lehnt die Bundesregierung klar ab. Uns so geht das Sterben im Mittelmeer weiter. Zwar kommen mittlerweile weniger Flüchtlinge in Europa an, aber nach Angaben der UN war die Todesrate im Mittelmeer noch nie so hoch wie 2018. Für einige Bundeswehrsoldaten hat der Einsatz viel verändert. Ihr Bild von den Flüchtlingen - und von der politischen Verantwortung.

Jan Hodam: „Für mich ist das Bild, das wir in Deutschland von Flüchtlingen haben, falsch. Die Menschen, die wir gerettet haben, waren in einer akuten Notsituation. Wie sind sie da reingeraten? Dafür sind auch wir mit der europäischen Wirtschaftspolitik mitverantwortlich.“

Ein politischer Appell eines Bundeswehrsoldaten. Ein Appell, die Not der Flüchtlinge zu sehen - und dafür Verantwortung zu übernehmen.        

Georg Restle: „Schade nur, dass das Verteidigungsministerium den Soldaten keine Genehmigung zum Interview erteilte. Dabei gibt’s hier doch wirklich nichts zu verbergen.“

Kommentare zum Thema

  • Mayer 27.05.2022, 15:44 Uhr

    Es wird langsam Zeit den Deutschland kann nicht ganz Afrika aufnehmen.

  • Karsten 25.04.2019, 10:41 Uhr

    Wenn alle Seenotretter ihre „TAXI-Fahrten“ in die EU-Länder einstellen wird es kaum noch Menschen geben welche sich mit „Nussschalen“ ins Mittelmeer wagen. Überall gibt es populistische Propaganda, insbesonders stark in unserer sogenannten „Westliche Wertegemeinschaft“ (durch die sich selbsternannten „Guten Menschen“). Diese Propaganda müsste in arabische und afrikanische Länder umgeleitet werden. Den Menschen welche zu uns in das nach derer Augen Paradies des Lebens umsiedeln wollen muss klar gemacht werden dass das Mittelmeer der falsche Reiseweg ist, das die Reise über das Mittelmeer hochgradig lebensgefährlich ist weil niemand einen mehr rettet.

  • Spötter 11.04.2019, 10:59 Uhr

    Menschenretten ist ein europäischer Wert ? Kein afrikanischer ? Das ist ja schon rassistisch.