Bericht: Georg Restle
Macron oder Corbyn: Quo vadis SPD?
Monitor. 15.06.2017. 06:51 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste.
Georg Restle: „Erstmal aber zu einem Mann, in dessen Haut man gerade nicht unbedingt stecken will - Martin Schulz. Während seine Machtperspektive zunehmend schwindet, zeigen zwei andere europäische Politiker gerade, wie das so funktioniert mit Wahlerfolgen. Emmanuel Macron in Frankreich und Jeremy Corbyn in Großbritannien. Für Schulz gelten beide als Parteifreunde, dabei liegen politisch Welten zwischen den beiden. Besser könnte man das eigentliche Dilemma der SPD kaum beschreiben: dass sie irgendwie gerne beides sein will, Macron und Corbyn zugleich. Dass sie sich aber entscheiden muss. Jedenfalls dann, wenn sie Wahlen gewinnen will.“
So sehen Sieger aus: Emmanuel Macron, frisch gewählter Präsident. Der neue, starke Mann Frankreichs. Ein Sieger auch gegen seine alte sozialistische Partei. Auch so sieht Wahlerfolg aus: Jeremy Corbyn, der britische Labour-Chef. 40 Prozent holte er bei der Parlamentswahl, ein Sensationsergebnis gegen alle Vorhersagen.
Von solchen Bildern können deutsche Sozialdemokraten zurzeit nur träumen. Die SPD im Jammertal nach drei verlorenen Landtagswahlen. Da wächst die Sehnsucht nach Erfolgen, wie sie Parteifreunde im Ausland erleben. Per Twitter gratulierte Schulz erst Corbyn für seine sensationelle Aufholjagd mit Labour. Und kurz darauf auch Macron für das gute Ergebnis, als Mutmacher für die SPD bei der Bundestagswahl. Macron und Corbyn als Vorbilder: Wie soll das gehen?
Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: „Meines Erachtens wird sich Martin Schulz entscheiden müssen, ob es der Corbyn-Weg ist oder der Macron-Weg, den er präferiert. Die Idee von Martin Schulz, dass er sowohl Corbyn-Mann sein könne und Macron-Mann, geht eigentlich letztlich an der zentralen Frage vorbei, wie die SPD sich positionieren muss.“
Jeremy Corbyn hat sich in Großbritannien positioniert - mit einem eindeutig linken Programm. Für
die Vielen statt für die wenigen Privilegierten. Heißt: Höhere Unternehmenssteuern und gegen die Privatisierung von Staatsbetrieben. Damit schaffte er Aufbruchsstimmung in einem sozial tief gespaltenen Land.
Prof. Ulrike Guérot, Donau-Universität Krems: „Corbyn steht für gesellschaftliche Utopien und das ist natürlich notwendig. Ja, wir haben uns ja auch verlaufen in einen Diskurs, dass alles alternativlos ist. Nichts ist alternativlos, Politik ist immer, bessere Alternativen für Menschen zu finden. Und Corbyn gilt ja in gewisser Hinsicht als Sozialist. Und das ist alles vermeintlich inakzeptabel. Aber man sieht ja sowohl bei Corbyn wie auch bei Bernie Sanders, dass die gerade unter jungen Leuten eine wahnsinnige Energie haben und Anklang finden.“
Und Macron? Auch er dient Schulz als Vorbild. Dabei hat er mit Sozialdemokratie eher weniger zu tun. Sein Wirtschaftsprogramm: Weniger Steuern für Unternehmen, längere Arbeitszeiten. Klarer Kurs gegen die Gewerkschaften im Land. Ein Modell für die SPD?
Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: „Macron ist ein klassischer Liberaler, der zunächst einmal aus einem wirtschaftsliberalen Hintergrund kommt, den er natürlich sozial abfedert. Man kann ihn in gutem Wunsch und Willen als Sozialliberalen bezeichnen. Aber zunächst einmal ist er ein Marktreformer. Das heißt, er steht eher für eine Schröder-Linie als für das, was Schulz am Anfang verkörpert hat, nämlich ein Zurück zu mehr Gerechtigkeit.“
Mehr soziale Gerechtigkeit und Abstand zu den Hartz4-Reformen Schröders. Mit diesem Versprechen schaffte Schulz Aufbruchsstimmung, in seiner Partei und bei den Wählern. Es klang nach Corbyn und nicht nach Macron, mit einem entscheidenden Unterschied: Corbyn war von Anfang an gegen die Politik Tony Blairs und damit gegen die Führung seiner Partei angetreten. Dadurch gewann er Glaubwürdigkeit. Als Kämpfer gegen Sozialabbau und britische Kriegsbeteiligungen.
Prof. Ulrike Guérot, Donau-Universität Krems: „Ich glaube, Schulz kann den Corbyn nicht. Er kann tatsächlich diesen Anti-Establishmant-Impuls, den ja Bernie Sanders und Corbyn und auf seine Art Macron hat eben auch hat, nicht machen. Gerade weil er einerseits Establishment ist. Das heißt, er war Präsident des Europäischen Parlamentes. Er hat große Teile der sogenannten Sparpolitik mit Merkel als Schulterschluss mitgemacht, mitgetragen. Er kann sich sozusagen nicht gegen seine eigenen Leute stellen. Und er kann sich - und das ist ja fast noch viel schlimmer - eigentlich nicht gegen seinen Vorgänger stellen.“
Der lange Schatten Gerhard Schröders und seiner Agenda-Politik - Schulz wird ihn nicht los: Und offenbar will er das auch gar nicht. Beispiel: Sein Rentenkonzept. Als es darum ging, endlich konkret zu werden bei einem womöglich wahlentscheidenden Thema.
Martin Schulz: „Die SPD will, dass sich alle auf die Rente verlassen können.“
Und dann doch kein großer Wurf. Ein bisschen weniger Senkung des Renten-Niveaus. Aber keine Rede mehr von einer Einheitsrente, in die auch Beamte und alle Selbständige einzahlen müssen. Ein überzeugendes Konzept gegen Altersarmut sei das nicht. Sagt einer der es wissen müsste. Rudolf Dressler, langjähriger Rentenexperte der SPD.
Rudolf Dreßler (SPD), Ehem. Parlamentarischer Staatssekretär: „Ich habe vor zehn Jahren bei den Debatten um die Rente, habe ich erklärt, die werden zu Hunderttausenden vor den Sozialämtern stehen. Und sie werden fragen, wer hat diese Altersarmut verschuldet? Wer hat nichts dagegen gemacht? Wer hat nicht hinreichend Politik betrieben? Und dann wird sehr schnell herauskommen, dass es nicht die Konservativen alleine waren, sondern zu einem großen, inakzeptablen Teil die SPD.
Reporter: „Und wird das jetzt geändert mit dem Rentenkonzept?“
Rudolf Dreßler (SPD), Ehem. Parlamentarischer Staatssekretär: „Nein, es wird mit dem Rentenkonzept überhaupt nicht geändert. Und deshalb wird auch die Altersarmut durch dieses Modell nicht bekämpft.“
Emmanuel Macron hat die Wahlen gewonnen, weil er glaubwürdig gegen seine alte Partei angetreten ist. Das gilt auch für Jeremy Corbyn, der seinen linken Kurs gegen das alte Labour-Establishment verteidigte. Und Martin Schulz? Bleibt ein Mann der Schröder-SPD, die offenbar immer noch an einem alten Dogma festhält.
Albrecht von Lucke, Blätter für deutsche und internationale Politik: „Jeremy Corbyn hat meines Erachtens den klaren Beweis dafür erbracht, dass die alte Devise Gerhard Schröders, Wahlen können nur in der Mitte gewonnen werden, völlig falsch ist. Corbyn hat links gewonnen. Er hat ja - und das muss man sich bewusst machen - fast die Mehrheit der Stimmen gewonnen. Theresa May lag nur knapp darüber. Das heißt, Martin Schulz müsste seinen Gerechtigkeitsweg weiter beibehalten, und er muss ihn für die Zukunftsthemen öffnen. Dann, meine ich, hat er eine Chance die Wahl, wenn nicht zu gewinnen, dann doch zumindest den Abstand zur Union deutlich zu verringern.“
Ein klares linkes, sozialdemokratisches Profil, auch gegen Widerstände in der eigenen Partei. Das wäre ein Erfolgsrezept. Aber wahrscheinlich ist Martin Schulz dafür einfach der falsche Mann.
Georg Restle: „Natürlich gibt es große Unterschiede zwischen Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Aber Mut, Glaubwürdigkeit und Durchstehvermögen sind universelle Tugenden. Vor allem für Politiker, die Wahlen gewinnen wollen.“
Stand: 13.06.2017, 14:17 Uhr
6 Kommentare
Kommentar 6: Marina Heckmann schreibt am 23.06.2017, 03:59 Uhr :
Herr Macron steht für Frankreich. In der momentanen Lage Frankreichs mag die Einführung einer sog. Agenda 2010 vielleicht richtig sein..... Herr Schulz steht für Deutschland. Er hat für Gerechtigkeit plädiert. Er muss seine Statements beibehalten. En marche!!! Leider haben ihn die Talk-Shows, Medien, Presse als Messias, Heilsbringer, Robin Hood etc. etc. sofort sehr unfair nieder gemacht... Was ist mit Frau Merkel/Herr Seehofer? Sie haben ihren Zwist einfach auf Eis gelegt!!! Die PKW-Maut, Autobahnprivatisierung etc. etc. etc. ... Herr Macron für Frankreich, Herr Schulz für Deutschland; zusammen für eine starke EU... zu Zeiten eines Brexit, Herrn Putin, Herrn Trump, Herrn Erdo"wahn".
Kommentar 5: Ralf Henske schreibt am 19.06.2017, 10:17 Uhr :
Martin Schulz: "Eine verlässliche Rente sei ein Kernversprechen einer solidarischen Gesellschaft". - Ja richtig. Aber in Zeiten von Riester & Co heißt es, sich dabei auf Versicherungen verlassen zu müssen, inclusive dem Risiko sich verlassen zu fühlen. Und was ist daran solidarisch, wenn Erwerbsninderungsrentner (EMR) ab 2018 50 Euro mehr im Monat bekommen, während Bestands-EMR davon ausgeschlossen werden? - Schulz: "Wenn wir zusammen anpacken, werden alle davon profitieren"". - Ja, auch richtig. Beispiel Österreich. - http://www.daserste.de/information/wirtschaft-boerse/plusminus/sendung/rente-oesterreich-vorbild-deutschland-100.html - "Den Lebensstandard sichern in der gesetzlichen Rente? Das ist tatsächlich machbar und gar nicht mal so schwer. Wenn – wie in Österreich – der politische Wille dazu vorhanden ist".
Kommentar 4: Gerhard Reiners schreibt am 17.06.2017, 22:10 Uhr :
Corbyn und Macron als Vorbilder für Martin Schulz? Corbyn hat die Wahl nicht gewonnen und könnte Frau May nur ablösen, wenn er alle anderen Parteien in einer Koalition gegen sie vereinigt. Macron ist zwar Wahlsieger, aber als Kandidat der bürgerlichen Mitte gegen den linken Melenchon und die rechte Le Pen. Macron soll ein Land reformieren, das dem Deutschland vor der Agenda2010 gleicht, und Corbyn will England in einen Zustand zurückführen, den sein Land schon vor dem Amtsantritt von Margaret Thatcher hatte. Besser als mit denen ist Martin Schulz mit dem Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß vergleichbar. Beide treten als Radikale gegen gemäßigte Politiker der Mitte (Schmidt und Merkel) an. Und wie bei Strauß ist auch bei Schulz die Chance auf Erfolg gering. Dagegen hat Frau Merkel wieder ihre alte Beliebtheit erlangt - als das kleinere Übel gegenüber den roten Plänen zur Umverteilung und der grünen Regulierwut.
Kommentar 3: Herr S. schreibt am 16.06.2017, 07:38 Uhr :
Die Aussage, dass Herr Corbyn die Wahl gewonnen habe ist einfach falsch! Er hat einfach nur deutlich weniger schlecht abgeschnitten als erwartet. Wäre er der Sieger, dann hätte Labour die meisten Stimmen und die meisten Sitze errungen. Beides ist nicht der Fall. Herr Corbyn ist eben NICHT der Wahlsieger und somit auch nicht sein stramm linkes Programm und dies nicht einmal unter dem Vorzeichen, dass viele Wähler einfach nur aus Protest (entweder gegen den Brexit und/oder der Politik von May als Innenministerin) mit die Tories gewählt haben.
Kommentar 2: Willy Mathias schreibt am 15.06.2017, 22:53 Uhr :
Die SPD wird leider bei ihrem Schlingerkurs bleiben und wie schon bei den zurückliegenden Landtagswahlen auch bei der Bundestagswahl im September eine krachende Niederlage erleben. Da es dann zu einer schwarz-gelben Koalition kommt, muß sich die SPD mit der Oppositionsrolle begnügen. Man darf gespannt sein, ob sie dann endlich zur Besinnung kommt und zu ihren alten Stärken zurückfindet.
Kommentar 1: Jürgen Poweleit schreibt am 15.06.2017, 21:26 Uhr :
Macron passt mehr zu Merkel und Schröder und zur GRKO, also keine Veränderung. Corbyn steht für Soziale Gerechtigkeit. Wenn Martin Schulz es ernst meint mit der Gerechtigkeit, dann sollte er bei Corbyn Anleihen nehmen. Ehrliche Politik für mehr Gerechtigkeit bedeutet einen klaren Kurswechsel anzustreben.