MONITOR vom 14.03.2019

Pfarrer im Visier der Justiz: Ende des Kirchenasyls?

Bericht: Lara Straatmann, Shafagh Laghai

Pfarrer im Visier der Justiz: Ende des Kirchenasyls? Monitor 14.03.2019 06:34 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lara Straatmann, Shafagh Laghai

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Georg Restle: „Es ist ein bisher einmaliger Vorgang: Hausdurchsuchungen in vier Kirchengemeinden im Hunsrück. Polizisten dringen in Privat- und Kirchenräume vor, beschlagnahmt werden hochsensible Daten auch aus dem seelsorgerischen Bereich. Der Staat macht mobil gegen Kirchen. Guten Abend und willkommen bei MONITOR. Es ist ein beispielloser Angriff auf das sogenannte Kirchenasyl, der zeigt, mit welcher Härte der Staat mittlerweile selbst gegen Kirchen vorgeht, wenn es nur darum geht, Flüchtlinge aus dem Land zu schaffen. Schon im letzten August wurden die Regeln für das Kirchenasyl verschärft, seitdem ist die Zahl der Fälle deutlich zurückgegangen. Und jetzt greift auch die Justiz durch - aufgrund von Anzeigen, die ausgerechnet ein Landrat gestellt hat, dessen Partei das Christentum im Namen trägt. Lara Straatmann und Shafagh Laghai.“

Rheinböllen im Hunsrück, ein 4.000-Seelen-Dorf. Mitten im Dorf nahe dem Marktplatz steht die evangelische Kirche. Wolfgang Jöst ist hier seit fünf Jahren Pfarrer. Probleme mit der Polizei hatte er bisher nie. Doch Ende Januar stehen morgens plötzlich fünf Beamte von Polizei und Staatsanwaltschaft vor seiner Tür - mit einem offiziellen Durchsuchungsbeschluss. Die Staatsanwaltschaft fordert Ordner und Dateien mit höchst vertraulichen Dokumenten.

Pfarrer Wolfgang Jöst, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Rheinböllen: „Im ersten Moment habe ich gedacht, was ist jetzt? Werde ich gleich festgenommen? Also ich hatte schon das Gefühl, dass ich einer kriminellen Vereinigung angehöre. Das war ja eine Razzia, zeitgleich, so als ob wir Drogen vertickt hätten.“

Und nicht nur bei Pfarrer Jöst wird durchsucht. Zeitgleich finden auch bei drei weiteren evangelischen Gemeinden im Hunsrück Hausdurchsuchungen statt. Die Beamten beschlagnahmen aus kirchlichen und privaten Räumen ein Handy, Dokumente, sogar seelsorgerische Daten.

Pfarrer Wolfgang Jöst, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Rheinböllen: „Problematisch war in der Tat, dass sie von unserem PC ganze Dateiensammlungen gezogen haben, Also, da waren auch seelsorgerisch vertrauliche Dinge dabei. Das ist sicherlich ein Eingriff gewesen.“

Was war passiert? Im März vergangenen Jahres lernte Pfarrer Jöst Magdi kennen - ein Christ aus dem Sudan. Magdi war über Italien nach Deutschland gekommen, deshalb sollte er dorthin zurück. Das wäre lebensgefährlich gewesen, meint Jöst, denn damals war Magdi schwer krank, sagt er.

Pfarrer Wolfgang Jöst, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Rheinböllen: „Es hätte keine medizinische Versorgung gegeben. Er hatte Magenbluten, das war ziemlich dramatisch in den ersten 14 Tagen hier im Kirchenasyl. Und der wäre wahrscheinlich auf der Straße verblutet.“

Für den Pfarrer ein Härtefall. Ein ärztliches Attest lag vor, für die Behörden kein Grund, die Rückführung zu stoppen. Was mit Flüchtlingen passiert, die nach Italien zurückgeführt werden, haben Hunsrücker Gemeindemitglieder selber dokumentiert. Die Menschen landen auf der Straße. Immer wieder würden italienische Beamte Zeltlager räumen, das Hab und Gut der Menschen verbrennen. Davor wollte Pfarrer Jöst Magdi bewahren, mit Hilfe des Kirchenasyls. Für ihn sei das eine Gewissensentscheidung. Nie zuvor hatte er so etwas gemacht. Das Kirchenasyl ist kein festgeschriebenes Recht. Eher eine Art Abmachung zwischen Staat und Kirchen. Bisher respektierte der Staat diese besondere Regelung mit den Kirchen. Doch damit ist jetzt offenbar Schluss. Gegen fünf Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem Hunsrück ermittelt nun die Staatsanwaltschaft. Ihnen wird vorgeworfen, aufenthaltsbeendende Maßnahmen behindert zu haben. Außerdem hätten sie angeforderte Unterlagen nicht eingereicht. Die Pfarrer widersprechen. Sie hätten sich an alle Regeln gehalten. Das Vorgehen der Staatsanwaltschaft - für sie völlig unverhältnismäßig.

Christian Hartung, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Kirchberg-Kappel:„Unserer Überzeugung nach haben wir nichts Strafbares gemacht, denn das, was wir getan haben, ist ja immerhin auch von staatlicher Seite mit den Kirchen gemeinsam geregelt worden. Es gibt Vereinbarungen, an die haben wir uns punktgenau gehalten.“

Pfarrer Wolfgang Jöst, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Rheinböllen:„Man will das Kirchenasyl beenden, das soll es möglichst nicht mehr geben. Also unser Landrat hat ja auch deutlich gesagt, das gehört ins Mittelalter.“

Der Landrat hatte die Pfarrer angezeigt und damit die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Der Christdemokrat lehnt das Kirchenasyl ab - grundsätzlich.

Marlon Bröhr (CDU), Landrat Rhein-Hunsrück-Kreis: „Ein Kirchenasyl ist sogar deutlich aus einer Zeit vor dem Mittelalter. Es ist auf jeden Fall sehr weit vor der Zeit, wo wir in Deutschland das Glück haben, in einem Rechtstaat leben. Und ich glaube, dass das Instrument als solches in der heutigen Zeit nicht benötigt wird.“

Angriff aufs Kirchenasyl: Schon letztes Jahr hatten die Innenminister die Regeln deutlich verschärft. Seitdem gilt: Lehnt das BAMF den Härtefall ab, gelten Menschen im Kirchenasyl als flüchtig, also unauffindbar. Absurd, finden die Pfarrer.

Christian Hartung, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Kirchberg-Kappel:„Das Skurrilste war für uns, dass die Flüchtlinge hier in der Verbandsgemeinde angemeldet wurden, dass sie Müllgebührenbescheide bekamen, dass sie Bescheide bekamen für Rundfunk- und Fernsehgebühren, dass sie also ganz offiziell als hier angemeldete, ja, wie als Mieter eigentlich behandelt wurden.“

Die Folge der Verschärfung: Die Zahl der Kirchenasyle ging letztes Jahr rapide zurück. Von 1.180 Anträgen im ersten Halbjahr auf 341 nach August. Die Politik feiert das als Erfolg. Präses Manfred Rekowski von der Evangelischen Kirche im Rheinland kann die Aufregung nicht verstehen. Schon vor der Verschärfung seien die Zahlen gering gewesen.

Manfred Rekowski, Präses der evangelischen Kirche im Rheinland: „Kirchenasyl ist für uns deswegen wichtig, weil es um humanitäre Einzelfälle geht, aber es ist nicht ein Massenphänomen, was den Rechtsstaat gefährdet oder unsere Gesellschaft in irgendeiner Weise bedrohen könnte. Und ich finde, ich sage das auch mal sehr deutlich, wir sollten in unseren politischen Debatten, auch in der Debatte um Kirchenasyl, nicht dem Agenda-Setting von radikalen, politischen Parteien folgen.“

Auch für die Gemeinden und ihre Pfarrer ist der Umgang mit dem Kirchenasyl Ausdruck für eine getriebene Politik.

Wolfgang Jöst, Pfarrer, Evangelische Kirchengemeinde Rheinböllen: „Man braucht Abschiebezahlen, man gibt der Stimmung nach, die von rechter Seite ziemlich geschürt wird, und versucht die Leute, die Hilfe leisten, einzuschüchtern, natürlich. Aber ich denke, das lassen wir nicht - uns einschüchtern.“

Kommentare zum Thema

  • Andreas Rennhak 05.05.2019, 14:02 Uhr

    Ein weiterer Beleg für einen heuchlerisch gestalteten Namen dieser Partei. a Stimmenfang seit über 70 Jahrenm. Leider kein Einzelfall.

  • Barbara Kündiger 30.03.2019, 22:19 Uhr

    Das Rechtsverständnis der GO ist geprägt von der bitteren Erfahrung, dass Recht staatlich missbraucht werden kann. Deshalb hat sich die BRD ein Recht gegeben, das sich an den Menschenrechten misst. Wenn eine Behörde nun, geltendem Recht folgend, durch ihr Handeln diese übergeordneten Werte verletzt, ist jeder Bürger verpflichtet, Widerstand zu leisten, auch wenn er sich dadurch strafbar macht. Dies gilt erst recht in der Kirche, die nicht nur nach ihrem Selbstverständnis ein Wächteramt hat: vielmehr wurde ihr nach den Erfahrungen der NS-Zeit auch politisch die Rolle eines kritischen Gegenübers zum Staat zugedacht. Darauf beruhen die Vereinbarungen zum Kirchenasyl, die getroffen wurden im vollen Bewusstsein, dass sie dem geltenden Recht u.U. nicht entsprechen. Ein Bürger dieses Staates, der diesen Zusammenhang in seinem politischen Handeln nicht berücksichtigt, ist nicht geeignet für das Amt eines Landrates. Ein Staat, der sein Gesetz für absolut erklärt, ist kein Rechtsstaat mehr.

  • Squareman 24.03.2019, 13:07 Uhr

    Wo ist das Problem? Die Kirchen stehen nicht über dem Gesetz. Es ist überfällig das die Privilegien der Kirchen gestrichen werden. Im Grundgesetz steht was von Trennung von Kirche und Staat, die Realität sieht aber anders aus. Also, wieso setzt man sich hier derart vehement für eine kirchliche Paralleljustiz ein?