MONITOR vom 14.01.2016

Flüchtlinge unerwünscht – der schmutzige Deal zwischen der EU und der Türkei

Bericht: Stephan Stuchlik, Esat Mogul, Jan Schmitt, David Zajonz

Flüchtlinge unerwünscht – der schmutzige Deal zwischen der EU und der Türkei Monitor 14.01.2016 08:54 Min. Verfügbar bis 14.01.2099 Das Erste

Georg Restle: „Bei der aufgeheizten Flüchtlingsdebatte geht unter, worum es eigentlich gehen sollte, nämlich um die Rettung von Menschenleben. Diese Bilder wurden letzte Woche aufgenommen. An einen türkischen Strand wurden die Leichen von über 30 Menschen angeschwemmt, darunter einige Kinder, junge Mädchen, die von einem besseren Leben in Europa träumten. Bilder, die auch zeigen, was wir billigend in Kauf zu nehmen bereit sind, wenn wir von Abschottung und einer Sicherung der EU-Außengrenzen sprechen. Die Europäische Union und die Bundesregierung haben den Schwarzen Peter jedenfalls weitergereicht an die Türkei. Dort sollen Flüchtlinge jetzt mithilfe der EU zurückgehalten werden; in Flüchtlingslagern, in denen die Menschenrechte - selbstverständlich - eingehalten werden. Im November 2015 hat die EU mit der türkischen Regierung einen gemeinsamen Aktionsplan beschlossen und der Türkei dafür drei Milliarden Euro zugesagt.

Angela Merkel: „Wir wollen diese drei Milliarden Euro einsetzen, um die Lebenssituation der Flüchtlinge in der Türkei zu verbessern und damit Fluchtursachen zu bekämpfen.“

Georg Restle: „Die Lebenssituation von Flüchtlingen verbessern - klingt gut. Stephan Stuchlik und Esat Mogul sind für uns in die Türkei gereist, um zu recherchieren, wie viel dem türkischen Staat die Menschenrechte von Flüchtlingen tatsächlich wert sind.“

Istanbul - hier beginnt unsere Spurensuche in einem Land, das die Flüchtlinge von Europa fernhalten soll. Im Stadtteil Kumkape - so hat man uns erzählt - habe man normale syrische Flüchtlinge willkürlich inhaftiert - in diesem Gefängnis. Wir schaffen es, mit Syrern hinterm Gitter zu sprechen.

Gefangener (Übersetzung Monitor): „Ich bin kein Illegaler, ich habe Pass und Personalausweis hier und trotzdem wurde ich hier inhaftiert.“

Warum ist er hier? Er weiß es nicht.

Gefangener (Übersetzung Monitor): „Ich habe vier Jahre hier gelebt. Jetzt bin ich drei Monate eingesperrt. Und jetzt soll ich hier weg.“

Und jetzt soll er zurück nach Syrien?

Gefangener (Übersetzung Monitor): „Die werden uns sicher nach Syrien zurückschicken, einfach so.“

Flüchtlinge nach Syrien zurückschicken? Haft ohne Angaben von Gründen? Wir können es nicht glauben, aber auch die Syrer vor dem Gefängnis erzählen von vielen solcher Fälle. Auch Amnesty International spricht von willkürlichen Inhaftierungen von Flüchtlingen.

Begüm Başdaş, Amnesty International (Übersetzung Monitor): „Diese Leute waren einfach zur falschen Zeit am falschen Ort, viele hat man getäuscht. Die Flüchtlinge wurden in Busse gepackt, mindestens tausend Kilometer von der jeweiligen Grenze weggefahren und in Gefängnisse gesteckt.“

Willkürliche Inhaftierung, Abschiebung, auch laut EU ein klarer Rechtsbruch. Menschenrechtsanwalt Ibrahim Ergin vertritt zig inhaftierte Syrer.

Ibrahim Ergin, Internationale Vereinigung für Flüchtlingsrechte (Übersetzung Monitor): „Die Flüchtlinge werden wie Verbrecher behandelt, obwohl sie sich nichts zuschulden haben kommen lassen. Wir bekommen Berichte, dass Insassen ohne Angabe von Gründen in Einzelzimmer gesteckt und mit Handschellen und Ketten an die Betten gefesselt werden.“

Es soll ein großes Lager im Osten der Türkei geben, in Erzurum, wir fliegen hin. Hier sollen nicht nur Menschen illegal festgehalten, sondern von dort sogar nach Syrien abgeschoben werden. Stimmt das, wäre das auch nach Ansicht der EU eine Verletzung der Menschenrechtskonvention. Nach einer Stunde Autofahrt erreichen wir das Zentrum, versteckt im Hinterland. Ein großer Komplex, modern, nagelneu, hinter Stacheldraht. Aus dem Nichts taucht die türkische Polizei auf. Eineinhalb Stunden kontrolliert sie unsere Personalien, bis wir endlich weiterarbeiten dürfen. Dann die Überraschung: Das Bauschild vor dem Zentrum sagt, es wäre mit EU-Mitteln errichtet worden. Als „Empfangs- und Rückführungszentrum“. Rückführung im Namen der EU? Amnesty International zumindest dokumentiert in einer Vielzahl von Fällen, dass Erzurum wirklich als „Rückführungszentrum“ fungierte.

Zitat: „Die Abschiebungen aus dem Abschiebelager in Erzurum nach Syrien begannen am 17. November und hielten an bis zum 20. November. Insgesamt wurden 130 Menschen abgeschoben.“

Als Beleg präsentiert Amnesty Ausreisestempel wie diesen in syrischen Pässen.

Begüm Başdaş, Amnesty International (Übersetzung Monitor): „Seit September mit dem Beginn des gemeinsamen Aktionsplans von EU und Türkei und den Verhandlungen im November zur Flüchtlingspolitik zwischen der EU und der Türkei, hat dieses gesamte Wegsperr- und Abschiebungssystem von Flüchtlingen Fahrt aufgenommen, das fällt zeitlich zusammen.“

Noch einmal: Abschiebung aus einem EU-finanzierten Zentrum? Wird das von der EU geduldet? Ist es gar Teil des Milliarden-Deals mit der Türkei? In Berlin teilt man auf eine parlamentarische Anfrage mit:

Zitat: „Die Bundesregierung geht davon aus, dass die türkische Regierung weiterhin zu Ihrer Zusicherung steht, wonach keine syrischen Flüchtlinge nach Syrien abgeschoben werden.“

Wir wollen es genau wissen, fahren nach Antakya, direkt an der türkisch-syrischen Grenze. Wenn die Vorwürfe stimmen, müssten Leute hier davon erzählen können. Wir fragen am sogenannten Arbeiterstrich, hier bieten Flüchtlinge Billigstarbeit an. Es braucht lange Überzeugungsarbeit, alle Syrer haben große Angst vor der türkischen Polizei. Danach aber beginnen die Flüchtlinge zu erzählen.

1. Syrer (Übersetzung Monitor): „Wir sind über Harbed el Jouz abgeschoben worden. Die Polizei hat uns festgenommen, die Frau neben uns haben sie geschlagen. Das Mädchen in unserer Gruppe haben sie an der Wange gezogen. Sie haben uns aus der Türkei weggeschickt.“

2. Syrer (Übersetzung Monitor): „Ich komme aus Ariha. Ich bin zweimal abgeschoben worden, das erste Mal haben uns Schlepper über die Berge ins Land gebracht, wir wurden direkt an der Grenze festgenommen, das zweite Mal haben sie uns vom Flüchtlingslager „Almokhaim“ abgeholt.“

Dann treffen wir Mahmud, der ehemalige syrische Schuldirektor arbeitet mittlerweile für Human Rights Watch, hat fünfzig Fälle von Abschiebungen dokumentiert. Er selbst wurde im Oktober festgenommen, verprügelt und von hier aus abgeschoben. Hinter diesen Bergen liegt Syrien, man hört aus der Ferne Schüsse.

Mahmud Mosa (Übersetzung Monitor): „Die Soldaten hörten nicht auf mich zu schlagen, bis ich auf dem Boden lag. Morgens so gegen zehn wurden unsere Namen registriert, wir wurden noch mal zusammengetrieben, Männer, Frauen, Kinder, dann wurden wir zur Grenze getrieben.“

Reporter: „Wie viele Leute waren das?“

Mahmud Mosa: „Ich denke, das werden um die 2.000 Leute gewesen sein.“

Mahmud, der es danach wieder in die Türkei zurückgeschafft hat, zeigt uns Videos vom Abschiebetag. Er sagt, er habe diese Bilder auf der syrischen Seite aufgenommen, es zeige Hunderte von Landsleuten, die man gezwungen habe, zurückzukehren, im Hintergrund sehe man die türkischen Grenzanlagen. Die automatische Ortsangabe auf seinem Handy scheint seine Aussage zu bestätigen, aber wirklich überprüfen lässt sich der genaue Aufnahmeort der Bilder nicht. Human Rights Watch hält die Angaben für glaubhaft, sie entsprächen auch eigenen Erkenntnissen der Menschenrechtsorganisation.

Lotte Leicht, Human Rights Watch (Übersetzung Monitor): „Ganz konkret bedeutet das, dass die Türkei in Hunderten von Fällen ihre internationalen Verpflichtungen verletzt hat und Menschen in ein Gebiet zurückgetrieben hat, wo sie Krieg und Verfolgung ausgesetzt sind. Nichts deutet darauf hin, dass die EU keine Ahnung davon hat, was in der Türkei vorgeht. Das heißt, wir reden nicht davon, dass die EU wegsieht, wir reden davon, dass sie das akzeptiert. Und den Preis müssen dann die Leute vor Ort bezahlen. Das heißt, Europa wird zum Teil des Problems und nicht zum Teil der Lösung.“

Auf unserer Heimfahrt treffen wir zufällig den Hilfsarbeiter Majid Subia. Er durfte in der Türkei bleiben, sein Bruder aber wurde abgeschoben. Jeden Tag versucht die Familie verzweifelt, Kontakt mit dem Bruder aufzunehmen, per Internet, per Telefon, manchmal kommt tagelang keine Nachricht aus dem Bürgerkriegsgebiet. Der Vater hier ist in relativer Sicherheit, der Sohn nicht, für alle eine unerträgliche Lage.

Abd el Karim Subia (Übersetzung Monitor): „Mein Sohn dort lebt von Hilfsgütern, die Situation dort ist übel. Was wir hören ist, dass täglich geschossen wird und jetzt bombardieren ja auch noch die Russen. Dort weißt du nie, wann der Tod auf dich wartet.“

Der Sohn ist zurück im Bürgerkrieg, zurück in Lebensgefahr. Sie hier fühlen sich allein gelassen, ungewollt von der Türkei, im Stich gelassen von der EU.

Georg Restle: „Die EU-Kommission hat uns heute mitgeteilt, dass sie den Vorwürfen nachgehen will. Allerdings fühle man sich für die Abschiebe-Lager in Erzurum und anderswo nicht zuständig. Dies sei allein Sache der Türkei.“

Kommentare zum Thema

  • Fr. Eckhoff 18.08.2016, 21:54 Uhr

    der B-Reg die Augen öffnen, ich finde Monitor mach es diesmal gut, die Bundesregierung schürt Misstrauen bei den Bürger/innen die Menschenrechte dürfen nicht missachtet werden, Die Menschrechtecharta ist kompromisslos anzuerkennen, ein Sodom &Gomorrah will niemand auch nicht an Europas Grenzen. Europa muss zusammenwachsen, oder es wird zersplittern.

  • Don.Corleone 16.01.2016, 15:57 Uhr

    Die Türkei macht Alles richtig : Abschiebung ! Wichtig : Auch in Syrien gibt es kriegsfreie Gebiete, in denen klar abgeschoben wewrden kann. merkel u. d. EU haben Nicht d. Eier, an ihren Grenzen ebenso zu verfahren ! Das ist d. schleichende Untergang d. Dt. Staates , v.d. Kosten ganz zu schweigen : f. 2016 = mind 50 MRD + X ! schäuble will einen Benzin-SOLI ! Lachhaft ! Wann steht d. Dt. Volk auf ? Wieviel will d. Dt. Volk noch abdrücken ? merkels TOTALE Inkompetenz schreit zum Himmel, 489 Mio Europäer u. auch d. USA schütteln nur d. Kopf über d. merkelsche Infantilität ! Dies4e Frau muß weg ! Möglichst schnell. Retter könnte d. AFD sein, die Alle Thesen vertritt , die auch Bayern vertritt ! Ich sage : Grenze DICHT , 4 Dt. Infanterie-divisionen z.Schutz d. Dt. Volkes vor Ausbeutung ! Vorbild ist Israel , die USA, Polen usw. ,WIR müssen d. Mauer NICHT NEU erfinden ! Gott rette D. !

  • H.Ewerth 15.01.2016, 18:27 Uhr

    Wer jetzt die Türkei als "Vorbild" sieht, sollte sich nicht irgend wann wundern, wenn der noch "Rechtsstaat" immer mehr eingestampft wird. Das allerdings könnte, dem Rechtsextremismus in Deutschland gefährlich werden. Noch haben wir Gewaltenteilung im Land, für Straftaten, gilt das noch immer das Strafgesetzbuch, Polizei ermittelt, Staatsanwaltschaft klagt an, und Gericht verurteilt wenn die Beweise ausreichen. Aber ein zwei Klassen Strafrecht kennt das Strafrecht nicht mehr. Aber vielleicht, sollte man angesichts von über 1800 Angriffen auf Flüchtlingsheime und Flüchtlingen, wo bisher nur zwei Tatverdächtige ermittelt wurden, dies ändern? Wie sagte schon Adorno vor einem halben Jahrhundert: "Ich habe keine Angst vor der Rückkehr der Faschisten, in der Maske der Faschisten,sondern vor der Rückkehr der Faschisten in der Maske der Demokraten." Wenn man sich die zu großen Teilen, menschenverachtenden Kommentare durchliest, kann ich mich dem Verdacht nicht entziehen, dass Deutschland z ...