MONITOR vom 23.05.2019

Hilflos, obdachlos, chancenlos: Das Elend der Flüchtlinge in Italien

Bericht: Lara Straatmann, Lisa Seemann, Frank Konopatzki

Hilflos, obdachlos, chancenlos: Das Elend der Flüchtlinge in Italien Monitor 23.05.2019 08:07 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Lara Straatmann, Lisa Seemann, Frank Konopatzki

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenrechte, dafür will die Europäische Union vor allem stehen. Dabei hapert es beim Thema Menschenrechte erheblich, insbesondere wenn es um die Flüchtlingspolitik geht. Nach geltendem Recht müssen Flüchtlinge in das Land zurück, in dem sie erstmals registriert wurden. Deshalb schickt Deutschland die meisten so genannten Dublin-Flüchtlinge gerade nach Italien. Dort angekommen droht ihnen allerdings bitteres Elend. Viele landen auf der Straße, weil Italien ihnen das Nötigste zum Überleben verwehrt. Europa von seiner hässlichen Seite. Lara Straatmann, Lisa Seemann und Frank Konopatzki.“

Borgo Mezzanone im Süden Italiens - hier am Stadtrand sind etwa tausend Geflüchtete gestrandet, in diesem informellen Camp, das einige nur „den Slum“ nennen. Drehen ist hier nicht erwünscht. Es gibt keine Toiletten, kaum fließendes Wasser. Die Holzhütten hier haben sie sich selbst zusammengezimmert. Sie leben hier, um auf den Feldern Arbeit zu finden. Nicht weit vom Camp entfernt stoßen wir auf Noraini aus Ghana - er zeigt uns sein Obdach. Ein Zelt im Matsch - es regnet seit Tagen. Noraini hat im vergangenen Jahr noch in Baden-Württemberg gelebt. Im November musste er Deutschland verlassen, weil Italien nach europäischen Regeln für sein Asylverfahren zuständig sei. Hier lebe er von der Hand in den Mund, sagt er.

Noraini (Übersetzung Monitor): „Wir dachten, dass wir in Europa nicht das Leben leben wie wir es in Afrika leben, unter solchen Bedingungen, aber hier ist es am schlimmsten.“

Die italienischen Behörden seien schuld daran, dass er hier gelandet sei, erzählt er uns. Nachdem er die Flüchtlingsunterkunft für drei Wochen verlassen habe, um auf den Feldern Arbeit zu finden, hätten ihm die Behörden das Recht auf seine Unterkunft entzogen, obwohl alles abgesprochen gewesen sei.

Noraini (Übersetzung Monitor): „In meiner Unterkunft weiß ich, wenn man drei Tage nicht zurückkommt, wird man da rausgeschmissen.“

Reporter (Übersetzung Monitor): „Und viele haben das erlebt?“

Noraini (Übersetzung Monitor): „Ja, viele, viele Leute haben das erlebt. Aber diese Menschen können es nicht ertragen, unter diesen Bedingungen zu leben.“

Flüchtlinge, die auf die Straße gesetzt werden? Dublin-Rückkehrer, die keine Unterkunft erhalten? Kann das sein? Wir begeben uns in Italien auf die Suche. Unterwegs wird uns von deutschen Ehrenamtlichen ein Video von einem Flüchtling zugeschickt. Er sei gerade von Deutschland nach Italien zurückgeschickt worden. Amir aus dem Iran.

Amir: „Ich war seit elf Monaten in Deutschland, Oberfranken in Bamberg und jetzt wieder in Italien. Und jetzt Regen kommt und wir haben keinen Platz für Wohnen. Mein Bruder, mein Vater, meine Baggets, meine Sachen, alles.“

Wir wollen sehen, wie es Amir geht und fahren nach Bari. Vor wenigen Tagen hat die deutsche Polizei die Iraner dorthin zurückgeschickt, weil Italien für das Asylverfahren zuständig sei. Nächtelang haben sie unter dieser Straßenbahnbrücke geschlafen, erzählt Amir. Er habe sich in Deutschland wohlgefühlt, in der Schule habe er schnell Deutsch gelernt. Aus Angst vor Abschiebung habe er bereits versucht, sich umzubringen.

Amir: „Ich hab gesagt, ja, ich will mein Leben tot machen, weil mein Leben ist schwarz. Mein Leben ist immer schwarz, ich habe immer keine Chance. Und wir sind jetzt auf dem Boden schlafen. Ich weiß nicht, was kann ich zeigen. Aber warum Polizei muss ja nicht ein Camp, ein Wohnung, ein Zimmer geben. Warum müssen wir in diese Wasser schlafen, in diese Wetter?“

Er vermisse seine Mutter, sagt Amir. Sie sei zurückgeblieben, im Krankenhaus in Deutschland. Die deutschen Behörden hätten die Trennung der Familie in Kauf genommen, um die drei Männer schneller zurückführen zu können.

Telefonat: „Ihr seid weit weg in Italien, mir geht es nicht gut.“ - „Mama wir beten, dass alles wieder gut wird.“ - „Ich vermisse dich.“

Die zuständige Behörde hat sie heute den dritten Tag in Folge weggeschickt - in die Obdachlosigkeit. Wir fahren weiter nach Mailand. Hier landen besonders viele Flüchtlinge, die aus anderen EU-Ländern zurückgeführt werden. Wir erfahren, die italienischen Behörden verweigern sehr vielen von ihnen die Unterkunft. Warum? Vor allem wegen dieser Regelung in einem italienischen Gesetz, das die Unterbringung von Geflüchteten regelt. Darin heißt es:

Zitat: „Der Regierungsbeamte (…) entzieht (…) das Recht auf Unterbringung, falls (…) der Asylbewerber die Sammelunterkunft ohne Angabe von Gründen verlässt.“

Eine Bestimmung, die regelmäßig angewendet werde, sagt Rechtsberaterin Nadia Bovino, die viele der obdachlosen Flüchtlinge betreut. Manchmal reiche nur eine einzige Nacht Abwesenheit, um das Recht auf einen Schlafplatz zu verlieren. Deshalb hätten auch viele Dublin-Rückkehrer, die Italien verlassen hatten, ihren Anspruch auf eine Unterkunft verloren.

Nadia Bovino, Rechtsberaterin Tageszentrum „Naga Har“ (Übersetzung Monitor): „Wenn jemand einige Zeit untergebracht war und dann das Land verlässt, verlässt er auch das Flüchtlingslager, und mit dem Lager verliert er die Unterkunft. Also wenn sie zurückgeschickt werden, werden sie nicht noch einmal eine Unterkunft bekommen, weil das Flüchtlingslager zu verlassen bedeutet das Recht auf Unterkunft zu verlieren.“

Dass Italien Flüchtlingen regelmäßig das Recht auf Unterbringung entzieht, bestätigt auch eine Recherche der italienischen Zeitschrift Altreconomia. Die Journalisten befragten alle italienischen Präfekturen nach dem Entzug der Unterbringung im Jahr 2016 und 2017 - die Hälfte schickte eine Antwort. Das Ergebnis, allein in diesen Präfekturen haben die Behörden 40.000 Flüchtlingen das Recht auf Unterkunft entzogen. Die Zahl für ganz Italien müsste deutlich höher sein. Der Sprecher von „Ärzte ohne Grenzen“ fordert Deutschland auf, diese Realität in Italien zur Kenntnis zu nehmen, in die Flüchtlinge zurückgeschickt werden.

Marco Bertotto, Ärzte ohne Grenzen, Italien (Übersetzung Monitor): „Ich denke, die deutschen Behörden haben die Verantwortung, bevor sie die Entscheidung treffen, sich darüber klar zu sein, wie die Bedingungen des Unterbringungssystems in Italien sind. Das ist ihr Teil der Verantwortung.“

Deutschland aber schickt jedes Jahr mehr Flüchtlinge nach Italien zurück. Die Zahl stieg auf 2.848 Flüchtlinge im vergangenen Jahr. Mehr als 30 Prozent aller Dublin-Überstellungen gingen also nach Italien. Dabei dürften Flüchtlinge gar nicht in ein Land zurückgeschickt werden, in dem keine menschenwürdige Versorgung garantiert ist. So urteilte der Europäische Gerichtshof im März 2019. Demnach müssen im Zielland die „elementarsten Bedürfnisse“ gewährleistet sein, wie etwa „sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden“. Für Europa-Rechtler Thomas Giegerich ist angesichts unserer Recherche klar, Italien bricht mit dem Entzug der Unterbringung europäisches Recht, und das habe Folgen - auch für Deutschland.

Prof. Thomas Giegerich, Universität des Saarlandes: „Wenn wir eine Gesetzeslage haben in Italien, die dazu führt, dass Hunderte oder Tausende Asylbewerber in die Obdachlosigkeit, ins menschenwürdewidrige Existieren geschickt werden, dann darf Deutschland solche Person nicht mehr nach Italien rückführen, bis die Lage in Italien sich ändert.“

Auf unsere Nachfrage erklärt das Bundesinnenministerium schriftlich, man sehe angesichts ausreichender Plätze in italienischen Unterkünften keine Notwendigkeit, von Rückführungen abzusehen und verweist auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in der EU. Fraglich, ob dieses Vertrauen gerechtfertigt ist, angesichts Tausender Obdachloser. Noraini bangt um seine Existenz.

Noraini (Übersetzung Monitor): „So leben wir. Jeder, der von einem guten Ort kommt und sieht, wie wir unter diesen Bedingungen leben. Wir leiden.“

Kommentare zum Thema

  • Iris 23.06.2021, 14:14 Uhr

    Und es wird bis jetzt nichts geändert warum mein freund ist obdachlos keine Anmeldung keine arbeit ,er hätte alles haben können hier in deutschland ,aber nein es ist nicht möglich warum er will nicht von euch leben er kann arbeiten und bei mir wohnen selbst ohne anmeldung kann mann net heiraten das ist ein Teufelskreis.

  • Harald 09.01.2020, 22:29 Uhr

    Alles richtig wer sich in Deutschland nicht integrieren will oder es versucht nur Spielchen spielt und dem Staat nur Geld zieht gehört abgeschoben. Es kann nicht sein das ein Afrikaner nach 1 Jahr in Deutschland sagt. No german I spek English. Dafür geldbündel wo mindestens 4 stetig sind in der Tasche hat und ja selbst gesehen.

    • Lena 01.05.2020, 16:19 Uhr

      Man kann doch nicht immer alles pauschalisieren. Klar es gibt sicherlich Flüchtlinge die das ausnutzen, aber es sind nicht alle so. In meiner Stadt ist eine Familie vor ca. 2 Jahren angekommen, die Kinder können perfekt deutsch und die Eltern lernen auch deutsch. Die ganze Familie integriert sich. Integration muss meiner Meinung nach von beiden Seiten kommen und nicht nur von der Seite der Migranten.

    • Julia wegen 04.12.2021, 04:21 Uhr

      Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er diskriminierend ist. (die Redaktion)

  • Renate Göttlich -Krenzer 06.09.2019, 16:30 Uhr

    Zum Glück deckt Monitor einiges auf.Über die Flüchtlingspolitik und Ilegale Müllhalde etc..Georg Restle ist ein mutiger Journalist.Bin so froh, dass diese Sendung so vieles auf den Tisch bringt. An das Monitorteam dank und bitte weiter so .Es sind oft so mutige Worte. Auch ich schäme mich oft für unsre Regierung. Was alles gefördert wird.Die Massentierhaltung.Das Verseuchen der Böden mit Pestizieden.Über die schlechte Bezahlung z.B.der Paketausträger oder der Reinigungskräfte und viele mehr...Dann die Armutsrenten jetzt und in der Zukunft noch mehr. Über die wenigen Pflegekräfte z.B.in Pflegeheimen und Krankenhäuser.Das Personal ist total überfordert.Wohin führt das ...Eventuell wird das Personal krank davon......Als 4 fache Oma habe ich Angst um die Zukunft meiner Kinder und Enkel....Nochmals danke ....Mit der Bitte um weiter so.....