Ein Bild von Leon M., als er noch lebte.

Tödliche Freundschaft: 19-Jähriger tötet seinen besten Freund

Paderborn | Verbrechen

Stand: 24.06.2024, 17:03 Uhr

Vor zehn Jahren wird eine Scheune im Kreis Paderborn zum Schauplatz eines unfassbaren Verbrechens. Zwei beste Freunde, 17 und 19 Jahre alt, geraten in einen Streit. Am Ende ist der Jüngere tot. Was ist zwischen ihnen vorgefallen?

Von Hamzi Ismail

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Beste Freunde

Die beiden Freunde heißen Leon M. (17) und Paul (19). Wobei Paul im echten Leben einen anderen Namen hat. Da er seine Strafe aber verbüßt hat und damals als Heranwachsender nach dem Jugendstrafrecht verurteilt wurde, hat er heute das Recht, nicht mehr mit der Tat in Verbindung gebracht zu werden. Deshalb nennen wir weder seinen echten Namen noch den Ort, wo sich die Tat ereignete.

Paul und Leon verbringen damals viel Zeit miteinander. Die Vorliebe zur Landwirtschaft verbindet sie. Paul arbeitet regelmäßig auf dem Hof von Leons Familie mit, er ist ein gern gesehener Gast. Er sei wie ein Familienmitglied, berichtet Leons Vater Bernd M.: "Ob an Weihnachten oder Ostern, Paul war immer dabei. Er saß bei uns mit am Tisch, er war immer präsent, oft auch zum Mittagessen. Er war mehr bei uns als zu Hause." Auch am Tatabend, am 24. Juni 2014, helfen die beiden jungen Männer Bernd M. auf dem Hof, verladen knapp 600 Ballen Stroh. Es ist der Abend, an dem Bernd M. seinen Sohn zum letzten Mal lebend zu Gesicht bekommt.

WDR-Autor Hamzi Ismail hat sich für unser Doku-Format "Lokalzeit MordOrte" intensiv mit dem Fall beschäftigt. Er hat zudem mit Leons Vater und mit der Staatsanwaltschaft Paderborn gesprochen. Die Doku dazu findet ihr auf unserem Youtube-Kanal.

"Leon war so ein Mensch, der für alle ein offenes Ohr hatte. Er war immer hilfsbereit. Wenn er abends nach der Landarbeit reinkam, fragte er seine Oma oft, was er noch Gutes für sie tun könne", beschreibt M. seinen Sohn. Auch Leons Freund Paul sei sehr hilfsbereit gewesen, das hätten beide Jungen gemeinsam gehabt.

Um kurz nach 20 Uhr lassen die Freunde den Feierabend zusammen ausklingen und fahren mit Pauls Auto in der Gegend herum. Sie wollten bei einem Schützenfest in der Umgebung vorbeischauen, erinnert sich Bernd M. Doch es kam anders, wie die Ermittlungsbehörden hinterher herausfinden werden.

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Es kommt zum Streit

Gegen 20.30 Uhr werden Leon und Paul von einer Überwachungskamera in einem Schnellrestaurant aufgezeichnet. Dort essen sie eine Kleinigkeit, bevor sie weiterfahren. Bis zu diesem Moment scheint ihr Abend ganz normal zu verlaufen. Alle Schilderungen ab diesem Zeitpunkt beruhen auf den späteren Aussagen Pauls, die er bei der Polizei machen wird, sowie auf gerichtlichen Feststellungen.

Irgendwann halten Leon und Paul an einer Scheune, die abgelegen auf einem Feld im Kreis Paderborn steht. Dort kommt niemand zufällig vorbei, sie müssen sie ganz bewusst angesteuert haben. Die zwei Freunde versuchen, das massive Schloss des Scheunentors aufzubrechen. Paul will sich die Landmaschine in der Scheune genauer anschauen. Dazu holt er eine anderthalb Meter lange Eisenstange aus seinem Auto. Plötzlich, sagt Paul später aus, gerät er mit Leon in einen Streit.

Zu sehen ist eine Scheune in der Mitte eines Feldes.

An dieser Scheune im Kreis Paderborn geraten die beiden Jugendlichen in Streit

Leon soll die ganze Zeit mit seinem Handy mit einem Mädchen gechattet haben. Paul ist von der Abwesenheit seines Freundes genervt. Er fordert ihn auf, das Handy wegzulegen. Das Mädchen würde sich ohnehin nicht wirklich für Leon interessieren und ihn nur verarschen. Leon entgegnet Paul, dass er ja der sei, der bei den Mädchen keine Chance hätte und sich keine für ihn interessieren würde. Daraufhin soll der Streit eskaliert sein.

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Paul beschließt: Leon muss sterben

Paul verpasst Leon einen Faustschlag ins Gesicht, der schubst Paul darauf so heftig, sodass der 19-Jährige nach hinten stolpert und die Eisenstange aus seiner Hand zu Boden fällt. Darüber ist der Auszubildende so wütend, dass er die Stange wieder aufnimmt und Leon mit der massiven Eisenstange auf den Kopf schlägt. Während Leon auf dem Boden liegt, schlägt ihm Paul zwei weitere Male mit der Eisenstange auf den Schädel. Ein medizinischer Sachverständiger wird später feststellen, dass jeder Einzelne dieser Schläge tödlich war.

Leon bleibt mit schwersten Kopfverletzungen vor der Scheune liegen. Paul verlässt den Tatort. In seinem Auto fährt er zurück zu dem Schnellrestaurant, wo er kurz zuvor mit Leon war. Die Überwachungskamera filmt Paul dabei, wie er sich ein Eis bestellt. Wie das Landgericht Paderborn später feststellen wird, kehrt Paul etwa 20 Minuten später zur Scheune zurück. Leon lebt zu diesem Zeitpunkt noch. Röchelnd liegt der 17-Jährige auf dem Boden. Vermutlich um seine Tat zu verdecken, beschließt Paul, dass sein bester Freund sterben muss.

Er schneidet Leon mit einem Messer den Hals auf, der 17-Jährige verblutet. "Ich werde in meinem ganzen Leben nicht mehr vergessen, was mir damals durch den Kopf gegangen ist: Paul hat Leon nicht getötet, er hat ihn notgeschlachtet", sagt Leons Vater Bernd M. später.

Nach der Tat alarmiert Paul die Polizei. Er sagt, er habe Leon auf dessen Wunsch hin an der Scheune abgesetzt. Leon habe sich dort mit einer ihm unbekannten Person treffen wollen. Als er ihn wieder abholen wollte, fand er Leon tot auf.

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"Eine gerechte Strafe gibt es nicht"

Die Ermittler glauben Paul nicht, zu widersprüchlich sind seine Erzählungen. Er wird festgenommen und wegen Leons Tod angeklagt. Im Oktober 2014 findet vor dem Landgericht Paderborn der erste Prozess statt.

Das Gericht unterteilt die Tat damals in zwei einzelne Handlungen und bewertet jede davon separat. Zum einen der Angriff mit der Eisenstange, zum anderen das Aufschneiden des Halses. Es glaubt Paul nicht, dass es vor den Schlägen mit der Eisenstange einen Streit zwischen den Freunden gegeben haben soll. Paul wird wegen schwerer Körperverletzung und versuchten Mordes sowie wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Gegen dieses Urteil gehen Paul, aber auch Leons Eltern, in Berufung. 2015 befasst sich der Bundesgerichtshof mit dem Fall. Er kommt zum Ergebnis, dass beide Handlungen nicht voneinander loszukoppeln, sondern als eine Tat zu bewerten sind. Außerdem habe sich Paul eines Heimtückemordes schuldig gemacht, demnach würde seine Strafe höher ausfallen.

Doch im zweiten Verfahren im Sommer 2016 am Landgericht Paderborn urteilen die Richter anders. Sie können, trotz BGH-Urteil, keine Heimtücke feststellen. Diesmal glaubt das Gericht Pauls Schilderungen eines vorausgegangenen Streits. "Wer weiß, dass er angegriffen wird, kann nicht heimtückisch ermordet werden", erklärt Paderborns Staatsanwalt Kai Uwe Waschkies das Urteil. Aufgrund der Rangelei vor der Tat sei das Mordmerkmal der Heimtücke nicht mehr erfüllt.

Paul wird am Ende wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Damit lag das Strafmaß unter dem aus der ersten Verhandlung.

Zu sehen ist ein Mann, der in einem Wohnzimmer sitzt und in die Kamera schaut.

Bernd M., der Vater von Leon, ist bestürzt über das neue Urteil

Leons Vater Bernd M. ist fassungslos: "Das hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Eine gerechte Strafe gibt es für das, was Paul gemacht hat, sowieso nicht. Aber, dass er am Ende nur noch sieben Jahre und neun Monate kriegt, noch weniger als beim ersten Urteil, das war ein Schlag ins Gesicht."