"Das macht man mit Herz, sonst ist man an der falschen Stelle"
Stand: 18.04.2024, 14:47 Uhr
Die Reisebegleitung von Johannes Bois ist groß. Sehr groß. Mit 600 Schafen überquert der Wanderschäfer den Rhein auf dem Weg von Bonn-Mehlem nach Königswinter. Eine Herausforderung für Mensch und Tier.
Von Anette Flentge
Noch bevor man sie zu Gesicht bekommt, riecht und hört man sie bereits. Lautes Blöken, ein intensiver Stall-Geruch. Dann taucht es auf, das Meer aus beigen, hellbraunen, oder fast schwarzen Körpern, das sich am Rheinufer entlang drängt. 600 Schafe, darunter 300 Lämmer. Sie alle werden an diesem Tag den Rhein überqueren, auf dem Weg zu ihrem Sommerquartier im Siebengebirge.
Er hat den Überblick über das Chaos. Johannes Bois, 32 Jahre alt, grauer Hut, warme Kleidung und ein Spazierstock. Die Tiere, sie sind sein Leben: "Ich bin mit Schafen groß geworden. Mein Herz hat immer dafür geschlagen und irgendwann hab ich beschlossen, mich damit selbstständig zu machen." Gelernt hat Bois eigentlich Maurer und Kfz-Mechatroniker. Seit zwei Jahren ist er als Schäfer unterwegs.
So sieht es aus, wenn hunderte Schafe in Bonn Fähre fahren
01:03 Min.. Verfügbar bis 18.04.2026.
Für die Zuschauer ist die Rhein-Überquerung ein echtes Spektakel. Dabei steigt seit einigen Jahren die Chance, beim Spaziergang im Grünen auf eine Schafherde zu treffen. Denn die Schafhaltung in NRW boomt. Laut Statistischem Landesamt gibt es 2024 rund 150.900 Tiere, fast 16 Prozent mehr als vor zehn Jahren.
"Jedes Schaf hat seinen eigenen Kopp"
Die meisten Schaulustigen sind diszipliniert und neugierig. Auch eine Gruppe der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung ist gekommen, um den Tierschutz zu begutachten. Zu beanstanden haben sie nichts. Nur über eine Radfahrerin ärgert sich Bois. Trotz Gespräch habe sie die Tiere mit ihrer Fahrt auseinander getrieben. "Wenn 300 nach oben laufen und 300 nach unten, dann wird das für die Hunde auch anstrengend." Drei Hunde halten die Herde in diesen Momenten zusammen, angeführt von Leithund Max.
Gemeinsam treiben die Hunde und Bois die Schafe zur Anlegestelle der Fähre, mit der sie eigentlich zeitnah übersetzen wollen. Doch die Schafe zögern. Mehrmals muss der Schäfer pfeifen und rufen. "Jedes Schaf hat seinen eigenen Kopp, wie wir Menschen auch", sagt Johannes Bois. "Vielleicht haben sie heute keinen guten Tag, oder ich habe die Fähre von der falschen Seite angelaufen." Wer kennt schon den Grund? Beim nächsten Mal will er zusehen, dass sie keine Kurve machen und nur geradeaus laufen müssen.
Schäfer Johannes Bois inmitten seiner Herde
Schließlich macht das Leitschaf, an dem sich die Herde orientiert, die ersten Schritte auf die Fähre, sieht sich vorsichtig um und blökt. Immer mehr Tiere trauen sich. Es braucht ein paar Minuten, bis alle an Bord sind. Dann geht es los.
Immer weniger junge Schäfer
Vom Ufer aus blickt Stefan Völl noch dem Schiff hinterher. Er ist von der Vereinigung Deutscher Landesschafzuchtverbände. So eine Rheinfahrt sei auch eine gute Werbung für den Beruf, meint er. Obwohl es immer mehr Tiere gibt, würden immer weniger junge Leute Schäfer werden wollen. Er könne es ihnen nicht einmal verdenken. Das Einkommen liege mit sechs bis acht Euro pro Stunde unter Mindestlohn. Es sei außerdem nicht einfach Flächen zu finden und immer öfter gebe es Probleme mit Wölfen.
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Während das Spektakel für die Zuschauer am Ufer endet, beginnt es für die Mannschaft der Rheinfähre Königswinter mit dem Auslaufen erst. Auf dem etwa 45 Meter langen und 20 Meter breiten Boot finden sonst bis zu 40 Autos Platz. "Aufregend", findet ein Mitglied der Mannschaft die Fahrt. Er erlebt sie zum ersten Mal. Kapitän Abdenbi Touhtouh hat die Schafe schon öfter übergesetzt und fährt besonders vorsichtig. Die Überfahrt dauert nur wenige Minuten.
Ohne ein Herz für die Tiere geht es nicht
Runter von der Fähre geht es einfacher und sehr diszipliniert. Während sich die letzten Schafe noch auf den Weg machen, beseitigen die Fährleute mit dem Wasserschlauch bereits die ersten Hinterlassenschaften. Auch Johannes Bois hat die Fähre inzwischen verlassen. In Niederdollendorf, einem Stadtteil von Königswinter, ist erst einmal Frühstückspause. Lämmchen trinken bei ihren Müttern, der Schäfer trinkt einen mitgebrachten Kaffee.
Die kleinen Lämmer brauchen erstmal eine Pause nach der Fährfahrt
"Auch wenn es ein stressiger Job ist, mit wenig Einkommen, würde ich nicht tauschen wollen. Reich wird kein Schäfer – das macht man mit Herz, sonst ist man falsch an der Stelle", sagt er und genießt die kurze Pause. Am Abend wird er einen Zaun um seine Herde spannen. Am nächsten Tag geht es dann weiter ins Siebengebirge, wo sie den Sommer verbringen werden.
Über dieses Thema haben wir auch am 17.04.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bonn, 19.30 Uhr.