Von der Schafwolle zur Bettdecke
Stand: 29.05.2023, 11:43 Uhr
Während immer mehr Lebensmittel im Supermarkt aus der Region kommen, sind Produkte wie Bettdecken aus regionaler Schafwolle wegen der Kosten selten. Ein Projekt in Lippe zeigt, wie es doch funktionieren kann.
Von Philipp Blanke (Text) und Christine Etrich (Multimedia)
Die Schafe wollen erstmal überhaupt nicht in Richtung Stall laufen und biegen schnell wieder auf die grüne Wiese mit dem saftigen Gras ab. Sie ahnen, dass heute etwas im Busch ist und das ist den Fluchttieren überhaupt nicht geheuer. Deshalb muss Schäferin Karla Ebert ihre ausgebüxten Lieblinge erst mal wieder einfangen. Seit 1990 hat sie ihren Bauernhof in Lippe und weiß, dass das jetzt nur noch mit Lockfutter etwas wird. Im Stall wartet schon Karolin Bünting, die die Schafe heute von ihrer dicken Winterwolle befreien wird. Und noch einer ist da, Wollhändler Bernd Nagel-Held. Aus der heute geschorenen Wolle will er Bettdecken machen. Jetzt fehlen nur noch die Schafe.
Gutes aus der Region
Regionale Produkte liegen im Trend, das zeigt ein Blick in den Supermarkt. Dort gibt es Äpfel, die von einer Plantage im Rheinland kommen und Milch, die als Hofmilch aus dem Münsterland vermarktet wird. 75 Prozent der Menschen in NRW wünschen sich mehr solcher Lebensmittel im Einzelhandel, sagt eine repräsentative Befragung des NRW-Landwirtschaftsministeriums aus dem Jahr 2020. Während der Lebensmittelhandel einen regionalen Markt etabliert, sind Produkte wie Bettdecken aus regionaler Schafwolle selten. Denn die Herstellung solcher Produkte kostet vor Ort häufig viel mehr Geld, als in der Massenproduktion der Großindustrie. Trotzdem schaffen es manche regionale Projekte, ihre Nische zu finden.
Damit beim Scheren jeder Handgriff sitzt, hat Karolin Bünting lange geübt. So lange, dass sie 2022 deutsche Meisterin im Schafscheren mit der Hand geworden ist. Obwohl sie dabei ziemlich geschickt ist, vertraut sie heute auf die Schermaschine. Denn bei rund 80 Tieren würde es sonst zu lange dauern. Bünting steckt beim Scheren in einem Dilemma. Einerseits muss die Wolle runter, damit die Schafe nicht unter dem Gewicht und der Sommerhitze leiden. Andererseits haben die Tiere einen ausgeprägten Fluchtinstinkt, der es der Schererin schwer macht sie zu fassen. Dabei ist es wichtig, dass Bünting die Schafe gut festhält und mit der Schere vorsichtig schneidet, damit die Tiere nicht verletzt werden.
Als Profi weiß Bünting genau worauf es beim Scheren ankommt
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Während Bünting ein Tier nach dem anderen schert, freut sich Schäferin Karla Ebert über den heutigen Tag. "Wolle hat in Deutschland leider keinen Preis, schwarze Wolle schon gar nicht. Derzeit bekommt man für weiße Wolle ungefähr 20 Cent pro Kilogramm. Für die heute bekomme ich deutlich mehr", sagt sie in Richtung Wollhändler Nagel-Held. Ihre Herde Bentheimer Landschafe produziert Wolle, die lang und dick, allerdings auch ziemlich grob ist. Mit den feinen Wollfasern des Merinoschafs können ihre Tiere nicht mithalten. Deshalb ist es so schwierig, die deutsche Wolle zu verkaufen. Die Herde deshalb aufzugeben, kommt für sie aber nicht infrage. Die Tiere seien vom Aussterben bedroht, anspruchslos und sehr mütterlich. Das heißt, dass pro Mutterschaf ein bis zwei Lämmer im Jahr geboren werden. Durch das Weiden auf den Wiesen im Lipperland profitieren auch Insekten und Pflanzen. Denn der Schafdung enthält wertvolle Nährstoffe. Für Ebert ist ihre Herde daher auch ein Beitrag zum Artenschutz.
Hunderte Kilogramm frisch geschorene Schafwolle landen in solchen Jutesäcken
Egal ob weiße oder schwarze Schafwolle, für Wollhändler Bernd Nagel-Held ist der Tag heute ein guter für sein Geschäft. Die frisch geschorene Wolle nimmt er heute mit und lässt sie reinigen. Danach wird sie die Füllung für neue Bettdecken. Für Nagel-Held ist das Projekt in Lippe ein Beispiel für eine regionale Wirtschaft ohne Massenproduktion. Der Unternehmer ist von seinem Produkt überzeugt.
Wollhändler Nagel-Held ist zufrieden mit der Schafwolle aus Lippe
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Viele von Nagel-Helds Kunden wollten den Schäfern eine Art Taschengeld zahlen, erzählt der Firmeninhaber. Daraufhin hat er ein eigenes Produkt entwickelt: Urlaubsgeld für Schäfer. Kunden können das bei ihm kaufen und der Erlös geht direkt an Schäfer wie Karla Ebert. Dadurch sollen die Schäfer, anders als es im Großhandel der Fall sei, als Partner behandelt werden, sagt Nagel-Held. Die regionale Wirtschaft funktioniere nur, wenn am Ende alle profitieren.
Über dieses Thema berichteten wir auch im WDR-Fernsehen am 03.05.2023: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.