Slowflower-Bewegung: Der Traum von nachhaltigen Schnittblumen
Stand: 04.08.2023, 16:59 Uhr
Mara Linnemann hat sich einen Traum erfüllt. Sie hat in Bonn nach den Richtlinien der "Slowflower-Bewegung" ein Blumenfeld unter freiem Himmel angepflanzt. Das ist Regional und nachhaltig - aber auch rentabel?
Von Arnd Güttgemanns
Bunte Blumen ragen aus dem Eimer in Mara Linnemanns Arm. Gelbe, weiße, purpurfarbene, dazwischen etwas grün. Die 36-Jährige steht inmitten einer schmalen Gasse aus blühenden Blumen und Sträuchern. Wie um das florale Orchester zu komplettieren trägt Linnemann ein schwarzes Kleid mit bunten Blumen. Was ein bisschen nach Kalenderfoto klingt, ist für Linnemann vielleicht ihre neue Lebensgrundlage. Und ein Versuch, den Markt für Blumen radikal umzukrempeln.
Slowflower-Bewegung: Vision einer neuen Blumenwelt
Linnemann hat viele Jahre off-grid, also ohne Anschluss an das öffentliche Stromnetz, auf einem alten Bauernhof gelebt. Früher war sie Bildungsreferentin für nachhaltige Landwirtschaft und hat auf der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 ihre Leidenschaft für klimafreundlichen Pflanzenanbau entdeckt. Als Quereinsteigerin in einem Online-Kurs bei einer österreichischen Bio-Bäuerin hat sie Ökolandbau gelernt.
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"Meine Blumen wachsen hier im Freiland. Sie werden nicht gespritzt oder mit künstlichem Dünger behandelt und brauchen kein Gewächshaus. Ich ernte immer nur, was gerade blüht." Sie nennt sich selbst "Flower-Farmerin" und baut ihre Blumen nach den Richtlinien der "Slowflower-Bewegung" an.
Was ist das Besondere an Mara Linnemanns Blumen?
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In der Slowflower-Bewegung e.V. haben sich mehr als 200 Gärtnerinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammengeschlossen. Sie wollen eine Alternative zu Großhandelsblumen anbieten. Regional liefern sie die Blumen frisch vom Feld direkt an den Verbraucher. 85 Prozent der im Verein angeschlossenen Betriebe arbeiten alleine oder zu zweit. Die meisten sind Autodidaktinnen in der Floristik und wollen den Klimaschutz voranbringen.
Kriterien der Slowflower-Bewegung:
- Wirtschaften im Kreislauf
- keine Pestizide
- Boden-Gesundheit
- organischer Dünger
- Insektenschutz
- kein Einmal-Plastik
- keine Steckmasse
- nachhaltige Verpackung
Blumen-Workshops und "Pflückkurse"
Linnemann verkauft nicht nur Blumen, sondern bietet auch Pflück-Kurse auf ihrem Feld an. Acht Frauen stehen mit festem Schuhwerk auf dem Acker und bekommen eine Gartenschere in die Hand gedrückt. "Hier schneidet man richtig ab, dann kann die Pflanze später wieder noch etwas nachwachsen!" erklärt Linnemann. Viele Teilnehmerinnen sind ökologisch interessiert und wollen wissen, ob es wie bei Obst und Gemüse auch bei Blumen so etwas wie Bio-Kriterien gibt.
Marianne Barnett nimmt am "Pflück-Kurs" teil. Warum macht sie mit?
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Gibt es "Bio" auch bei Blumen?
Nach Informationen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung stammen derzeit gut 80 Prozent der in Deutschland verkauften Schnittblumen vor allem aus Afrika und Südamerika. Nicht selten wachsen die Blumen in Monokulturen mit viel Chemie heran, da es für Pestizide in Schnittblumen keine Grenzwerte gibt. Immerhin: Tulpen gibt es auch von um die Ecke, zum Beispiel aus Neuss. In diesem Beitrag haben wir die Tulpen-Produktion vor Ort begleitet.
Die Alternative sind außerdem Bio-Blumen. Hier gelten ähnlich strenge Vorschriften wie bei Bio-Lebensmitteln. Erlaubt sind nur organische Dünger wie Kompost oder Schafwolle. Mineralische Dünger sind genauso verboten wie Herbizide oder chemische Pflanzenschutzmittel. Mittlerweile gibt es auch in NRW einige Gärtnereien, die ausschließlich Bio-Blumen anbauen. Was Blumen und Pflanzen übrigens mit Kolonialismus zu tun haben, liest du hier.
Im Sommer schon an den Winter denken
Die Saison zum Pflanzen und Ernten von Blumen in Deutschland ist ohne Gewächshaus auf die wärmeren Monate beschränkt. Deswegen muss Linnemann jetzt schon für den Winter planen und trocknet Pflanzen für Trockensträuße. Dafür reiche "alleine das Sonnenlicht, Chemie brauche ich keine."
Mara Linnemann über ihre Zukunftsaussichten
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Klimaschutz auf eigenes Risiko
Am Nachmittag macht sich Linnemann mit dem Lastenfahrrad auf den Weg durch die Bonner Altstadt. Sie liefert frische Sträuße an ein Kunstatelier. 15 Euro kostet ein bunter Strauß im Geschäft. Wenn sie ihre Arbeitszeit rechnet, müsste sie 25 nehmen, doch das will nicht jeder bezahlen. "Mann kann sich überlegen, was die Menschen bereit sind, für einen Blumenstrauß zu bezahlen und das mit der Arbeit vergleichen, die da drinsteckt. Vom Samenkorn bis zum Strauß, das ist ganz viel Handarbeit." Auf einem Bonner Wochen-Markt steht sie gerne, einfach um bekannter zu werden. Sie will alle Möglichkeiten der Vermarktung ausprobieren.
Frische Blumen sind eine verderbliche Ware und auf ihrem freien Feld hat sie in Saatgut investiert: Trockenheit, Sturm und Hagel können ein Blumenfeld von einem auf den anderen Tag zerstören und alle Mühen der Saison waren umsonst. Trotz der vielen Stunden, die sie täglich auf dem Acker steht: Erstmal ist alles ein Versuch, ob die alternativen Blumen auch angenommen werden. Am Ende des Jahres will sie Kassensturz machen, ob sie von ihrem Herzens-Projekt auch ihre Familie ernähren kann.
Über das Thema berichten wir am 12.07.2023 auch im WDR-Fernsehen: Lokalzeit aus Bonn, 19.30 Uhr.