Claudia Lausberg sitzt in der Hocke schaut in die Kamera und streichelt gleichzeitig einen ihrer Schafböcke

Vom Schreibtisch auf die Schafswiese

Städteregion Aachen | Landwirtschaft

Stand: 07.06.2023, 15:34 Uhr

Claudia Lausberg aus Würselen bei Aachen ist leidenschaftliche Schafzüchterin. Sie träumt davon, ihren Bürojob an den Nagel zu hängen und das Hobby zum Beruf zu machen. Doch das ist alles andere als einfach.

Von Katja Stephan

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Die Finanzbuchhalterin und ihr zweites Leben

Claudia Lausberg steigt über den roten Schafzaun, in der Hand trägt die 39-Jährige eine grüne Plastikschüssel mit Futter. Sofort stürmt eine Herde Schafe auf sie zu. Die drahtige Frau, schwarze Leggings, schwarzes T-Shirt, lacht. "Nicht so stürmisch", sagt sie, als eins der Schafe an ihr hochspringt, um an das Futter zu kommen. Zwischen den Schafen tummeln sich 13 Lämmer. Auf einer anderen Wiese, eine gute halbe Stunde mit dem Auto entfernt, steht eine weitere Herde. "Da muss ich gleich auch noch hinfahren."

Claudia Lausberg sitzt im hohen Gras einer Wiese, um sie herum grasen ihre Schafe

Wenn Claudia Lausberg nicht arbeitet ist sie da zu finden, wo ihre Schafe gerade grasen

Insgesamt rund 80 Tiere hat die Züchterin momentan. Lausberg gehört damit zu den laut Schafzuchtverband etwa 10.000 Schafhaltern in NRW. Das ganze Jahr über stehen ihre Schafe auf der Weide, haben volle Bewegungsfreiheit und bis auf die Wintermonate frischen grünen Rasen als Futter. Für Lausberg ist es auch eine bewusste Entscheidung für den Tier- und Artenschutz. Denn die Skudde-Rasse, die sie hält, ist eine uralte Landschafrasse und in ihrem Bestand gefährdet. Zu gern würde sie den ganzen Tag auf der Schafweide verbringen.

Stattdessen war sie am Morgen im Büro, so wie jeden Tag. Denn Lausberg arbeitet als Finanzbuchhalterin für eine Steuerberater-Kanzlei. 30 Stunden pro Woche sitzt sie am Rechner, telefoniert, trifft sich mit Mandanten. Hier trägt sie Lederstiefel statt Turnschuhe, Blazer statt T-Shirt: Ein echtes Kontrastprogramm zu ihrem Leben als Schafzüchterin. Das beginnt am frühen Nachmittag. "Wenn meine Kollegen mir nachmittags, wenn ich aus dem Büro gehe, einen schönen Feierabend wünschen, dann sage ich: Ja, das wünsche ich euch auch. Dann bin ich allerdings erst abends um 23 Uhr zu Hause." Denn kaum ist sie aus raus aus dem Büro, steigt sie je nach Wetter in Gummistiefel oder die besagten Turnschuhe - und rein in ihr zweites Leben. "Es ist schon ein krasser Unterschied zum Bürojob. Bei den Schafen bist du den ganzen Tag draußen, immer in Bewegung, sitzt eigentlich nie länger als eine Minute." Ihre komplette Freizeit verbringt sie so. Jeden Tag mehrere Stunden. Wasser bringen, Zäune setzen, Tiere scheren, Klauen schneiden.

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Ihre Liebe zu den Schafen begann vor sieben Jahren. Damals kaufte sie ihren ersten Hütehund, einen Australian Kelpie. Von Schafen war da noch keine Rede. Doch die Züchterin, von der sie den Hund kaufte, besaß eine Herde Schafe. "Sie hat mich zu sich eingeladen und mich an die Schafe heran geführt. Und so lernte ich die Tiere kennen und lieben." Zwei Jahre später schaffte sich Lausberg die ersten zehn Schafe an. Die Begeisterung für die ruhigen und sensiblen Tiere hat sie bis heute nicht mehr losgelassen. Inzwischen ist ihre Zahl gewachsen, für mehr als 80 Tiere fehle es allerdings an geeigneten und kostengünstigen Weideflächen.

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Zweifel und Existenzangst

Lausberg lebt allein. Sie macht alles selbst, bietet Workshops zur Schafhaltung an, Erlebnistage für Kindergärten, sie verkauft Wolle, regelmäßig auch Zuchttiere. Für 80 Euro im Jahr können Schafliebhaber eine Patenschaft für eines ihrer Tiere übernehmen. Um davon leben zu können, reicht das aber nicht. Das liegt an den hohen Ausgaben für Medikamente, Tierarzt und in manchen Jahren auch Heu, das sie zukaufen muss. Lausberg stellt ihre Schafe als natürliche Rasenmäher zur Verfügung; Geld bekommt sie dafür in der Regel keins. Oft muss sie für die Flächen stattdessen sogar Pacht bezahlen.

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Aber sie macht weiter. 365 Tage im Jahr. Seit neun Jahren war sie nicht mehr im Urlaub. Das kostet Kraft und manchmal kommen ihr Zweifel. Die Schafzucht ganz an den Nagel zu hängen, auch daran hat sie schon gedacht. "Die Winter, die sind nicht so schön. Es ist früh dunkel, es ist kalt, es ist nass. Und dann gibt es auch schon mal Momente, da frage ich mich, warum ich das überhaupt mache. Da denke ich daran, alles aufzugeben. Ist mir egal, ich hab keine Lust mehr. Ich möchte rein, auf die Couch, unter die Decke, mit einem warmen Tee."

Skudde: Die kleinste deutsche Schafrasse

Die Skudde stammt ursprünglich aus Ostpreußen und dem Baltikum und ist die kleinste deutsche Schafrasse. Die Tiere wiegen zwischen 25 und 50 Kilo und werden überwiegend zur Landschaftspflege eingesetzt. Sie gelten als sehr robust und anspruchslos und leben das ganze Jahr über im Freien. Die Wolle ist eher grob und eignet sich daher gut zum Filzen. Weil die Tiere so klein sind, ist die Verwertung des Fleisches oft nicht rentabel. Die mangelnde Wirtschaftlichkeit ist einer der Gründe, warum die Rasse mittlerweile vom Aussterben bedroht ist. In Deutschland leben laut Schätzungen noch etwa 8.000 Tiere.

Doch sobald das Wetter besser wird, sei all das wieder vergessen. Dann will sie eigentlich nur bei ihren Tieren sein. "Die Ruhe, die Zufriedenheit, die Ausgeglichenheit, wenn man sich das so anguckt: Dann geht es mir gut." Die Nähe zur Natur, der Wechsel der Jahreszeiten, die Zeit der Lämmer, von denen sie jedes Jahr viele mit der Flasche groß zieht: all das lässt Lausberg einfach nicht mehr los. Familie und Freunde haben sich längst daran gewöhnt. "Wenn sie mich sehen wollen, dann rufen sie an und fragen: Wo stehen die Schafe gerade? Sie wissen, dass sie mich da finden."

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Das Hobby zum Beruf machen

Lausberg fährt weiter nach Alsdorf, zu ihrer zweiten Wiese. Hier stehen ihre männlichen Tiere, die Schafböcke. Sie haben geschwungene Hörner und drängen sich dicht um ihre Schäferin. Lausberg hockt sich ins hohe Gras und beobachtet sie. Sie fühlt sich den Tieren und ihrem Charakter eng verbunden. Jedem einzelnen Schaf hat sie einen Namen gegeben, kennt Charakter und Wesenszüge.

Die Schafböcke von Claudia Lausberg stehen auf einer Wiese und schauen in die Kamera

Die Schafböcke lassen sich leicht an den geschwungenen Hörnern erkennen

Einige schnuppern neugierig an der Hand der Schäferin. Lausberg lächelt, sie genießt diese Momente. Und wird dann ernst: "Meine Schafe sind nützliche Landschaftspfleger. Gleichzeitig düngen sie die Wiesen." Wie so oft in der Landwirtschaft fehle es allerdings an finanzieller Wertschätzung. Lausberg will sich aber nicht entmutigen lassen. Sie wird weiter jeden Tag auf der Wiese stehen, um irgendwann aus ihrem Hobby einen Beruf machen zu können.