Mehrere Menschen sitzen beim Picknick im gemeinsamen Garten

Integration geht durch den Garten

Solingen | Heimatliebe

Stand: 24.07.2024, 07:18 Uhr

Die drei Familien, die hier in Solingen arbeiten, säen und ernten, könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein. Dennoch teilen sie sich eine Grünanlage. Über ein ungewöhnliches Projekt, dass auf Gemeinsamkeiten statt Unterschiede setzt.

Von Inke Köster

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Der Garten

Es ist ein hektisches Treiben im Garten. In jeder Ecke bearbeiten Menschen Erde und Pflanzen mit Gartenscheren, Spitzhacken, Harken oder Schaufeln. Über allem liegt das Dröhnen des Rasenmähers. Rentnerin Uschi Peters steht neben einem der angelegten Beete. Brokkoli, Kohlrabi, Erbsen. Es ist warm, ihre Haare hat sie mit einem Tuch zurückgebunden. Die 67-Jährige ist verantwortlich dafür, dass drei Familien sich auf diesem Fleckchen Erde gefunden habe - und Freunde geworden sind.

"Man weiß nie, was gut wächst", erklärt Uschi Peters

00:14 Min. Verfügbar bis 24.07.2026

Uschi Peters und ihr Mann Lutz, 64 Jahre alt, hatten das Grundstück vor zwei Jahren übernommen. Damals war der etwa 650 Quadratmeter große Garten komplett verwildert. Für das Ehepaar alleine kaum zu schaffen. Deshalb fragten sie zwei syrische Familien um Mithilfe. Beide hatte Uschi Peters über ihre Arbeit bei der Stadt Solingen kennengelernt.

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Das Kennenlernen

Als 2011 der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, flohen Millionen Menschen auf der Suche nach Sicherheit für sich und ihre Familien. Auch in Deutschland stieg die Zahl der Asylanträge von Geflüchteten aus Syrien in den darauffolgenden Jahren. Gleichzeitig gab es eine Welle der Hilfsbereitschaft. Im ganzen Land bildeten sich ehrenamtliche Initiativen und Gruppen, um die Gefüchteten zu unterstützen.

Uschi Peters wird damals zu einer der vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in NRW. "Als ich in Rente ging, wurden ehemalige Führungskräfte gefragt, ob sie jeweils eine geflüchtete Person betreuen würden, die ein Jahrespraktikum bei der Stadt macht. Und ich hab damals Salah zugeteilt bekommen." Dass sie einmal gemeinsam gärtnern würden, ahnt sie zu diesem Zeitpunkt aber nicht.

Raus aus der Wohnung, rein in den Garten

Salah Alhalabi schiebt gerade den kleinen Rasenmäher durch den unebenen Garten. Er und Peters waren sich auf Anhieb sympathisch. Nach einiger Zeit stellte der studierte Architekt aus der syrischen Hauptstadt Damaskus seiner ehrenamtlichen Betreuerin seine Frau und Kinder vor. Uschi Peters erzählte ihnen von ihrer Gartenidee.

Die Familie war sofort begeistert. Sie lebt in einer Wohnung an einer vielbefahrenen Straße, ohne Balkon und Garten. Der Garten wird für sie zum Rückzugsort im Grünen, fußläufig erreichbar, wo sie Freunde zum Grillen und picknicken einladen können.

Die Architekten Salah Alhalabi und Heba Hussein stehen mit ihren Kindern im Garten

Die Architekten Salah Alhalabi und Heba Hussein sind mit ihren Kindern aus Damaskus geflohen

Auch Alhalabis Kindern schätzen den Garten. Der 18-jährige Yaman mag es, sich hier körperlich auszupowern. Mit einem Spaten gräbt er das Gemüsebeet um. Eine willkommene Abwechslung zum Abi-Stress der vergangenen Wochen. Seine 15-jährige Schwester Cham entfernt einige Meter weiter mit einer elektrischen Sense das Unkraut zur Straße hin.

Für Yaman und Cham Alhalabi ist Solingen längst ihre Heimat geworden. Sie sprechen besser Deutsch als Arabisch, erzählen sie.

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Eine neue Heimat

Ferial Al Kwifi fällt die deutsche Sprache noch schwer und so richtig heimisch fühlt sie sich in Solingen auch noch nicht. Der Garten soll ihr helfen, hofft Uschi Peters. Mit einer spitzen kleinen Schaufel entfernt Ferial Al Kwifi Unkraut aus einem der Beete und wirft es in einen dunklen Eimer.

Ferial Al Kwifi steht an einem Hochbeet im Garten

Ferial Al Kwifi soll der Garten bei der Integration helfen

Die 53-jährige Witwe Al Kwifi kam 2015 aus einem syrischen Dorf mit ihren beiden Töchtern, die heute 17 und 19 Jahre alt sind, als Flüchtling hierher. Uschi Peters hatte sich damals freiwillig für die Ersterfassung der Ankommenden in Solingen gemeldet.

Sie erinnert sich noch gut an die Nacht, in der Al Kwifi mit ihren beiden Töchtern das erste Mal vor ihr stand. In einer Plastiktüte steckte ihr gesamtes Hab und Gut. Zwei Jahre Flucht über die Balkanroute hatten sie in den Knochen. "Sie waren vollkommen am Ende. Sie hatten furchtbares Leid erlitten und wurden dann in einer Turnhalle untergebracht, wie alle Flüchtlinge damals."

Die Familie ging Uschi Peters nicht mehr aus dem Kopf. die 67-Jährige suchte den Kontakt und lud sie regelmäßig an den Wochenenden zu sich nach Hause ein. "Wir haben zusammen Waffeln gebacken und gespielt. Hauptsache, sie und die Kinder kam aus dieser Turnhalle raus."

Zu sehen ist der Garten, den sich verschiedene Familien teilen.

Der Garten hat die unterschiedlichen Menschen zusammengebracht

Al Kwifi und ihre Töchter waren es, die Peters überhaupt erst auf die Idee eines eigenen Gartens brachten. "Ferial hat öfter erzählt, dass sie in Syrien Nebenerwerbs-Landwirtschaft betrieben. Sie habe so gerne im Garten gearbeitet und ihr fehle das in Deutschland sehr. Da kam mir die Idee für den gemeinsamen Garten."

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Mit- und voneinander lernen

In den vergangenen zwei Jahren haben die drei Familien aus dem einst zugewachsenen, mit dornigen Brombeeren übersäten Stück Land einen gemütlichen Garten gemacht.

Zusammen haben sie Obst- und Gemüsebeete angelegt. Die alten Apfelbäume tragen nach ihrer Blüte kleine Früchte und überall blühen heimische bunte Blumen. "Die syrischen Familien mussten natürlich erst einmal lernen, was hier in Deutschland wächst und was nicht. Und was zu welcher Jahreszeit gesetzt werden kann. Weil das ist ganz anders als in Syrien."

Uschi Peters über Verwunderungen im ersten Herbst

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In einem alten Wohnwagen, den sie vom Vorbesitzer übernehmen konnten, bewahren sie Gartenliegen und einen Bierbank-Garnitur auf. Und die sind wichtig.

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Inzwischen gehört ein gemeinsames Picknick während oder am Ende eines Garten-Arbeitstages für alle dazu. Jeder bringt etwas für eine großes, buntes, interkulturelles Buffet mit.

Zusammen essen, quatschen und lachen

Am Anfang ging es bei den gemeinsamen Mahlzeiten darum, sich näher kennenzulernen, erzählt Peters: "Wir haben uns über die Kindheit erzählt, über die Familie. Wir haben nach Geschwister gefragt, wie viele es sind und wo sie leben."

Die Familienverhältnisse sind längst geklärt. Heute geht es in den Gesprächen um das Hier und Jetzt. Wie läuft es bei der Arbeit? Wie läuft es bei den Kindern in der Schule? Sie tauschen Rezepte aus und versuchen sie nachzukochen oder nachzubacken. Aber, sagt Peters, "wir haben auch ernstere Themen, über Politik, über Religion, Kultur. Das Leben im Allgemeinen und im Besonderen."

Über das Thema haben wir am 15.05.2024 auch im WDR-Fernsehen berichtet: Lokalzeit Bergisches Land, 19.30 Uhr.