Eine Familie auf dem langen Weg zur Selbstversorgung
Stand: 21.10.2023, 09:55 Uhr
Eigentlich wollten sie nur raus aus der Großstadt, rein in die Natur. Doch dann verliebten sich Sara und Michael Niedrig in einen alten Gutshof im Eifeldorf Urft mit mehreren Hektar Wald- und Wiesenflächen. Was tun mit all dem Grün? Voller Neugier stürzten sich die beiden ehemaligen Profisportler in das Abenteuer Selbstversorgung.
Von Katja Stephan
Möhren statt Medaillen
Sara Niedrig drückt die verwitterte Gartentür auf und bleibt einen Moment lang stehen, lässt ihren Blick prüfend über den großen Gemüsegarten wandern. Es ist ein Permakulturgarten, rund 2000 Quadratmeter groß, umgeben von Hecken und Bäumen. Direkt daneben plätschert leise die Urft, ein kleiner Fluss, mitten im Wald. In einem Halbkreis sind Beete angelegt, zwischen Kohlköpfen, Fenchel und Tomatenpflanzen verlaufen schmale Wege aus hellbraunem Rindenmulch.
Niedrig folgt einem dieser Wege nach rechts. Sie trägt Flipflops, ein Top und eine kurze Jeanshose, in der Hand hält sie eine kleine blaue Gartenhacke. Die 39-Jährige bleibt stehen, schiebt einige Blätter und Zweige zur Seite: "Hier müssten noch Zwiebeln und Knoblauch im Boden sein, die muss ich heute dringend ernten. Da hinten wächst Fenchel, den nehme ich auch mit. Und Tomaten, aber die pflücke ich später mit den Kindern." Während sie das sagt, hat sie auch schon mit dem Graben begonnen. Nur Sekunden später hält sie die erste Zwiebel in der Hand, noch voller Erde, und lächelt stolz.
So sieht der Garten von Familie Niedrig aus
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Niedrig hat sich das mit dem Gärtnern selbst beigebracht. Noch vor fünf Jahren lebte sie in einer Dreizimmerwohnung mitten in Köln, gemeinsam mit Ehemann Michael. Der ehemalige Fußballprofi hatte für mehrere Bundesligavereine gespielt, sie eine erfolgreiche Karriere als Beachvolleyballerin hinter sich. Nun träumten die beiden für sich und ihre Kinder von einem Haus mit Garten auf dem Land.
Sara Niedrig war fasziniert von der Idee, Obst und Gemüse anzubauen, sich selbst versorgen zu können, nachhaltig zu leben. Das Problem: Sie hatte so gut wie keine Ahnung. Sie begann, Bücher über Gemüseanbau zu lesen, schaute sich Videos an. Und dann entdeckte sie einen alten Gutshof mitten in der Eifel, der zum Verkauf stand - und der ihr Leben und das ihrer Familie für immer verändern sollte.
Allein sind die Niedrigs mit ihrem Traum vom autarken Leben nicht. Laut einer aktuellen Umfrage des Institutes Allensbach wollen rund 40 Millionen Menschen in Deutschland unabhängig vom Staat leben und sich möglichst selbst versorgen. Vor allem während der Pandemie entdeckten viele das Gärtnern. Doch die vollständige Selbstversorgung ist in Deutschland kaum zu erreichen. Lebensmittel wie Getreide, Zucker, Öl und auch Milchprodukte sind nur mit sehr viel Aufwand selbst zu produzieren, und für die Tierhaltung gelten hohe Auflagen. Wie also machen das die Niedrigs?
Ein anderes Leben: Der Gutshof der Familie Niedrig in der Eifel
In ihrem Garten hat Sara Niedrig die letzten Zwiebeln geerntet, gerade schneidet sie mit einem Messer eine dicke Fenchelknolle knapp über dem Boden ab. Nur einige Meter entfernt wartet ein dicker Wirsingkohl auf seine Ernte. Einige Reihen dahinter wachsen Himbeeren. Rund um den Garten, den Niedrig in einem Halbkreis angepflanzt hat, stehen Obstbäume.
Die Anordnung ist kein Zufall, sondern folgt dem Prinzip der Permakultur, erklärt die Hobbygärtnerin: "Der Garten ist in Richtung Süden ausgerichtet, so dass die Pflanzen so viel Sonne wie möglich erreicht. Die Sträucher und Bäume am Rand reflektieren die Wärme und die Feuchtigkeit, so dass eine Art Mikroklima entsteht. Das ist vor allem in der Eifel wichtig, weil hier die warme, fruchtbare Zeit besonders kurz ist."
Wie funktioniert Permakultur?
Permakultur ist eine besonders nachhaltige Form des Gärtnerns. Sie geht davon aus, dass alle Lebewesen miteinander in Verbindung stehen. Die Pflanzen werden so angeordnet, dass sie sich gegenseitig unterstützen und nicht miteinander konkurrieren. Auf chemische Dünger wird verzichtet. Statt dessen kommen Gründüngung, Mulch und Zwischensaaten zum Einsatz. Ziel ist es, langfristig ein ressourcenschonendes Ökosystem zu schaffen, in dem die Natur sich weitestgehend selbst reguliert.
Auf der anderen Seite des Gutshofes geht Michael Niedrig mit energischen Schritten in Richtung Garage. Der 43-Jährige, weißes T-Shirt, Jeans, Turnschuhe, muss gleich zur Arbeit, er arbeitet im Management des 1. FC Köln. Vorher will er noch die Holzvergaseranlage mit Nachschub versorgen. Denn die beheizt seit zwei Jahren alle Wohngebäude des Gutes.
Damals hatten die Niedrigs entschieden, die komplette Wärmeversorgung auf Holz umzustellen. Das stammt zum Großteil aus ihrem eigenen Wald und ist ein wesentlicher Baustein der Selbstversorgung, ebenso wie die Photovoltaikanlage auf dem Dach und das Wasser aus dem eigenen Brunnen. Langfristig will das Ehepaar zudem ein kleines Wasserkraftwerk bauen, um den angrenzenden Fluss zur Stromgewinnung zu nutzen.
Experten im Scheitern - und neu Anfangen
Dieses Leben kostet Zeit und Kraft. Vor allem im Frühjahr verbringt Sara Niedrig jeden Tag mehrere Stunden im Garten. Aber auch im Sommer und Herbst fällt viel Arbeit an. Die ehemalige Leistungssportlerin probiert verschiedene Anbautechniken aus, züchtet eigene Samen, beobachtet die Pflanzen und ihr Wachstum. "Ich kann meiner naturgegebenen Neugier hier nachgehen, das ist das Tolle. Ich habe einfach wahnsinnig viel gelernt in ganz unterschiedlichen Bereichen und das macht mir total viel Spaß."
Dazu gehört auch, dass Sachen schief gehen. So wie 2021, als tagelanger Regen die Urft in einen reißenden Fluß verwandelt, der große Teile des Permakulturgartens überflutet und zerstört. Niedrig fängt danach quasi bei Null an.
Welche Zweifel Familie Niedrig an ihrem Selbstversorger-Projekt hatte
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Nach der Flut ein weiterer Rückschlag: Die Pflanzen wachsen viel schlechter als vor der Flut. Niedrig wälzt erneut die Bücher, sucht im Netz nach Lösungen. Und stößt schließlich auf Komposttee als natürlichen Dünger. Er enthält zahlreiche nützliche Mikroorganismen und Nährstoffe. Niedrig schafft sich einen großen Kessel an und braut den Tee selbst, anschließend verteilt sie ihn im Garten, pur oder verdünnt. Aus jedem Problem könne sich auch eine neue Chance ergeben, sagt sie. Das habe sie in den vergangenen vier Jahren gelernt.
Gute Energie weitergeben
Mittlerweile hat Niedrig Romy und Michel aus dem Kindergarten abgeholt. Max, ihr ältester Sohn, geht bereits zur Grundschule und kommt heute etwas später nach Hause. Mit den beiden Kindern betritt sie das große Gewächshaus an der Rückwand des alten Pferdestalls. Es ist feuchtwarm hier drinnen, die Spätsommersonne hat auch in der Eifel noch Kraft. Rund ein Dutzend Tomatenpflanzen wachsen hier, die roten und gelben Früchte leuchten.
Romy und Michel wollen unbedingt naschen. "Das würden die beiden mit gekauften Tomaten nie machen. Weil sie die eigentlich gar nicht mögen. Aber die selbst angebauten Früchte schmecken einfach ganz anders. Und es macht ja auch Spaß, sie direkt nach dem Pflücken zu probieren."
Selbst angebaut und lecker: Die Tomaten von Familie Niedrig
Wenig später haben die Kinder genug von der Tomatenernte und wollen die Schafe füttern, die Niedrig als natürliche Rasenmäher auf der Wiese vor dem Gewächshaus hält. Ihre Wolle nutzt sie zudem als Dünger im Garten. Sie lebt mit ihrer Familie als Teil eines natürlichen Kreislaufes und möchte so wenig Ressourcen wie möglich verbrauchen.
Doch Niedrig treibt noch etwas anderes an: "Ernährung war mir immer wichtig, vor allem als Leistungssportlerin. Bei den Sachen aus dem eigenen Garten, da ist einfach eine gute Energie drin, wir wissen, woher sie kommen, was drin ist. Und das möchte ich meinen Kindern einfach gerne zeigen und weiter geben."
Selbstversorgung und ihre Grenzen
Das Paar weiß aber auch, dass die Selbstversorgung ihre Grenzen hat. "Uns geht es nicht darum, irgendwann zu einhundert Prozent autark zu sein. Wir werden auch weiterhin Kleidung kaufen und bestimmte Lebensmittel. Alles andere wäre unrealistisch, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt. Aber wir wollen möglichst unabhängig sein von Energiepreisen und Rohstoffen und schauen, wie weit wir dabei gehen können", sagt Michael Niedrig.
Seine Frau ergänzt: "In einem guten Sommer können wir uns fast vollständig von dem ernähren, was der Garten hergibt. Aber im Rest des Jahres fahre ich auch in den Supermarkt. Ich achte dann aber darauf, dass ich Produkte aus der Region kaufe." Ihr Ziel sei es herauszufinden, was die Natur ihnen zur Verfügung stelle, und damit im Einklang zu leben.
"Auf Gut Glück": Selbstversorgung zwischen zwei Buchdeckeln
Ihre Erlebnisse möchten die Niedrigs auch mit anderen Menschen teilen. Sie haben ein Buch geschrieben über ihren Weg als Selbstversorger.