Gemischte Tüte per Mausklick: Wie ein Paar ein Stück Tradition retten möchte
Stand: 04.05.2024, 09:58 Uhr
Eigentlich wollten Linda und Christoph Ekamp nur ein bisschen süße Ruhrgebietskultur für ihren Sohn kaufen. Kurze Zeit später waren sie Kioskbesitzer in Gelsenkirchen-Erle.
Von Agata Pilarska
"Ding, Dong!" Es klingelt im Kiosk Mummel. Linda Ekamp bewacht das Tor zum Schlaraffenland, hinter dem sich in dutzenden kleinen roten Dosen verschiedenste Süßigkeiten befinden. Sie schiebt das Verkaufsfenster zur Seite auf. Ekamp weiß genau, was der Mann will, der gerade geklingelt hat. Auch wenn er kein Stammkunde ist. Die 38-Jährige begrüßt ihn freundlich und überreicht ihm zwei große, gemischte Tüten. Bezahlt sind sie schon. Die "Nostalgie Tüte" und die "Saure Tüte" hat er online zum Abholen bestellt. Wer weiter weg wohnt, kann sie sich sogar per Paketversand nach Hause liefern lassen. Ein Kiosk mit Online-Shopping.
Linda Ekamp erklärt, warum sich Menschen die gemischte Tüte im Netz bestellen
00:22 Min.. Verfügbar bis 04.05.2026.
Nur "to go" war gestern
Seit 1938 gibt es den Kiosk Mummel in Gelsenkirchen-Erle. Das kleine, freistehende Häuschen mit dem Spitzdach ist eine der ältesten Buden der Stadt und trägt den Namen des ursprünglichen Besitzers. Reichlich Tradition also. Von Tradition allein lässt sich aber keine Miete bezahlen. Deswegen wollen Linda Ekamp und ihr Mann Christoph mehr als ein Anlaufpunkt in der Nachbarschaft sein: "Wir haben uns gesagt: Wir müssen das größer denken. Immer mehr Kioske sterben aus. Das wollen wir nicht."
Der Kiosk Mummel hat in Gelsenkirchen-Erle Tradition
Wie viele Trinkhallen es im Ruhrgebiet genau gibt, lässt sich schwer beziffern. 2018 schätzte der Handelsverband Deutschland die Zahl bundesweit auf etwa 23.500. Schon damals gab der Verband an, dass es etwa 2000 weniger seien, als zehn Jahre zuvor.
Weil Not erfinderisch macht, können Kunden auf der Webseite des Mummel-Kiosks sich Tüten individuell zusammenstellen oder aus vorgefertigten Varianten wählen: Cola Tüte, saure Tüte, blau-weiße Schalke Tüte, Veggie Tüte oder Nostalgie Tüte. Der Preis liegt zwischen fünf und zehn Euro. Mit dem Online-Shop machen sie die gemischte Tüte auch Menschen zugänglich, die keinen Kiosk vor der Tür haben.
Plötzlich Budenbesitzer
Im Ruhrgebiet ist das minutenlange Überlegen und Abwägen am Kiosk Teil der DNA. Für 20 Cent von der Nummer acht, für zehn Cent von der Nummer zwölf. Für den Sohn von Christoph und Linda Ekamp war es Neuland. Über zehn Jahre lebten der Bauingenieur und die Fotografin in Süddeutschland und gründeten dort eine Familie. Das Heimweh zog sie 2022 zurück in ihre Geburtsstadt Dorsten. Christoph Ekamp wollte seinem Sohn eine gemischte Tüte kaufen - fand aber in ganz Dorsten keine. Mit großen Augen fragte sein Kind: "Was ist ein Kiosk, Papa?"
Ein Moment, der den 41-Jährigen ins Grübeln brachte. Als das Paar hörte, dass der Kiosk Mummel zum Verkauf stand, überlegten sie nicht lange: "Linda war auf der Suche nach einer neuen Herausforderung. Es passte alles." Im Juni 2023 wurde der Kiosk zu ihrer "Bude 2.0" - und zu ihrem zweiten Zuhause.
Die Ekamps sind übrigens nicht die einzigen, die wegen ihrer Kindheitserinnerungen einen Kiosk übernommen haben. In Wanne-Eikel hat sich Ceylan Yilmaz dazu entschieden, dem Verfall eines Kiosks nicht länger zuzusehen und ihn einfach selbst übernommen. Ihre Geschichte gibt es hier.
Herausstechen mit besonderen Waren
Auf den wenigen Quadratmetern der Buden gibt es für Kinder und Erwachsene eine ganze Welt zu entdecken. Zeitschriften, Süßigkeiten, Sammelbildchen Getränke, Zigaretten und Snacks. Im Kiosk Mummel ist diese Welt sogar noch ein bisschen größer. Christoph Ekamp ist Jäger und verkauft seine selbst gemachte Wildwurst. Besondere Weine, die nur bei ihnen erhältlich sind, sollen sie von anderen Anbietern abheben. An diesem Freitagnachmittag aber wird aber vor allem die gemischte Tüte gekauft, die hier alle nur Mummeltüte nennen. "Alles, was in Deutschland an offenen Süßigkeiten erhältlich ist, haben wir da", sagt Christoph Ekamp.
Viel Betrieb: Im Kiosk Mummel ist etwas los
00:40 Min.. Verfügbar bis 04.05.2026.
Zwei ganze Fensterflächen füllen die roten Süßigkeitenregale, vor denen gerade ein kleiner Junge steht. Er hüpft hoch und zeigt mit seinem Finger auf die Bananen, während Christoph Ekamp auf der anderen Seite steht und eine Schütte nach der anderen auf Wunsch des jungen Kunden öffnet und die weiße Papiertüte füllt. Er überreicht ihm die Tüte und nimmt zwei Euro entgegen. Fröhlich fährt der Junge auf seinem Fahrrad davon. Ekamp blickt ihm kurz nach. "Wenn man die leuchtenden Augen der Kinder sieht, weiß man, man hat alles richtig gemacht."
Über dieses Thema haben wir auch am 05.03.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit Ruhr, 19.30 Uhr.