Der Kioskbesitzer, der Grenzen überwindet
Stand: 14.04.2024, 10:43 Uhr
Der Kiosk von Shenur Alija-Mai mit seinen internationalen Lebensmitteln, Zeitschriften und Süßigkeiten ist zum Anlaufpunkt seines Stadtteils geworden. Wo Geflüchtete und Alteingesessene zusammenkommen, geht es um mehr als gemischte Tüten.
Von Michael Jung
Französisch ist eine von sechs Sprachen, die der Kioskbesitzer beherrscht. "Les rouges? Huit quarante!", sagt Shenur Alija-Mai und schiebt seinem Kunden die roten Zigaretten für 8,40 Euro über den Tresen zu. Viele Sprachen zu sprechen macht es ihm in seinem neuen Büdchen direkt vor dem Flüchtlingsheim in Rheinberg-Orsoy im Kreis Wesel einfacher.
Shenur Alija-Mai über seine Vielsprachigkeit
00:31 Min.. Verfügbar bis 14.04.2026.
Kurz vor dem Jahreswechsel hat Alija-Mai den seit zehn Jahren verwaisten Kiosk renoviert und eröffnet. Seitdem kommen die rund 400 Geflüchteten aus der Landesunterkunft in einem ehemaligen Krankenhaus gern auf ein Gespräch vorbei. Oft erzählen sie ihm über ihre Flucht oder von ihrer Einsamkeit. Alija-Mai kann sich in viele Schicksale hineinversetzen.
Arabische Spezialitäten und gemischte Tüte
"Man hört viele Geschichten", erzählt der gebürtige Kosovo-Albaner. Mit seiner Kundschaft unterhält er sich auf Englisch, Französisch, Serbisch, Albanisch, Türkisch oder Deutsch. Er selbst ist vor Jahrzehnten aus dem Kosovo nach Deutschland gekommen und hat hier eine Bolivianerin geheiratet.
- Zum Beitrag: Düsseldorfer Büdchen: Kultur, Kumpel, Kummerkasten
Alija-Mai öffnet eine rote Kühltruhe im kleinen Laden und greift hinein. Er holt einen kleinen runden Aufstrich heraus, auf dem "Argeta" steht. "Das kommt ursprünglich aus meiner Heimat, wird aber auch viel in den arabischen Ländern gegessen", sagt er und legt die Packung zurück zu anderen Wurstwaren in die Kühltruhe. Gesalzene Sonnenblumenkerne, arabische Pasteten, Snacks vom Balkan, asiatische Instant-Nudeln - das Sortiment im Kiosk ist so international wie sein Besitzer und seine Kunden.
Wie es weitergeht
Die traditionelle "gemischte Tüte" wird aber ebenfalls viel bestellt. Außerdem hat Alija-Mai hier die einzige Post-Agentur im 4.000-Einwohner-Ort. Das Geschäft läuft gut. Auch alteingesessene Orsoyer sind froh über das neue Angebot.
Was denken die Anwohner über den Kiosk?
00:17 Min.. Verfügbar bis 14.04.2026.
Dabei musste Alija-Mai viel Zeit und Geld investieren, um aus der Beinahe-Ruine wieder ein ansehnliches Büdchen zu machen. Der Kiosk sei völlig zugewuchert gewesen und im Keller habe das Regenwasser knöcheltief gestanden, erzählt er. Den ersten Winter habe er nur mit einer provisorischen Heizung überstehen müssen. Aber all das sieht er als Herausforderung.
Als nächstes soll die Trinkhalle einen neuen Außenanstrich bekommen
Alija-Mai ist nicht der einzige, der mit viel Liebe seinen Kiosk umgebaut hat. Wie Ceylan Yilmaz in Wanne-Eickel den Kiosk aus ihrer Jugend restauriert hat, lest ihr hier.
150 Jahre Büdchenkultur
Mitte des 19. Jahrhunderts kamen im Ruhrgebiet die ersten "Trinkhallen" auf. Hier boten Mineralwasserfirmen sauberes Trinkwasser an, Leitungswasser war damals oft ungenießbar. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde das Sortiment erweitert. Im Ruhrgebiet haben sie noch immer Kultstatus. Einmal im Jahr feiert die Ruhr Tourismus GmbH zum Beispiel den "Tag der Trinkhallen".
Auch Alija-Mai will sich für den Festtag bewerben. Besondere Kioske werden bei der Party am 17. August mit einem kleinen Kulturprogramm unterstützt.
Ideen für die Zukunft hat Alija-Mai mehr als genug. Im Keller stapeln sich aktuell leere und volle Getränkekisten und Pakete. In Zukunft könnte hier ein kleiner Jugendtreff entstehen. "Die Kids haben hier im Ort zwar einen Sport- und einen Spielplatz, aber keinen richtigen Treffpunkt", erzählt er. Seine Töchter seien ohnehin auf der Suche nach einem Platz, an dem sie ungestört ihre YouTube-Videos drehen könnten.
Über dieses Thema berichteten wir auch im WDR-Fernsehen am 23.02.2024: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.