Hebamme Doris Kamman mit einer Patientin und ihrem Baby

Schwanger ohne Krankenversicherung: Wie sich Ehrenamtliche um die Frauen kümmern

Duisburg | Ehrenamt

Stand: 28.06.2024, 08:00 Uhr

Ein Leben ohne Krankenversicherung - allein in Duisburg führen das tausende Menschen. Ein großes Problem zum Beispiel für schwangere Frauen. In einer Praxis bekommen sie von Ehrenamtlichen die dringend benötigte Hilfe.

Von Stephanie Hajdamowicz

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Rund 600 Behandlungen im Jahr

Joy hat Diabetes, ist im fünften Monat schwanger und hat keine Krankenversicherung. Ihren Nachnamen verrät sie nicht. Einmal in der Woche kommt sie in die Sprechstunde der Malteser in Duisburg. Ihr Fall ist kompliziert, sie ist Risikoschwangere, braucht dringend einen Diabetologen, damit sie und ihr ungeborenes Baby ohne Schäden durch die Schwangerschaft kommen. Genau dafür sorgen Anne Rauhut und die anderen Ehrenamtler.

Was die Praxis für die Schwangeren tun kann

00:42 Min. Verfügbar bis 28.06.2026

Im letzten Jahr zählten sie alleine bei den Schwangeren 637 Behandlungen. Die Praxis der Malteser in Duisburg ist die drittgrößte dieser Art in Deutschland neben Berlin und Köln. Mit immer mehr Patienten. Wissenschaftler wie Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen schätzen, dass in Deutschland zwischen einer halben und einer Million Menschen keine Krankenversicherung haben. In Duisburg sollen es etwa 15.000 sein, sagen die Malteser, allerdings ist die Dunkelziffer wohl hoch.

An diesem Montag kriecht die Kälte in die Knochen. Der Himmel grau, leichter Regen. Draußen sorgt Klaus Mülder dafür, dass die Schwangeren den Weg in die Praxis in dem etwas heruntergekommenen Haus in der Duisburger Altstadt finden. Ein Aufsteller mit grünem Logo weist den Weg in die Malteser Medizin für Menschen ohne Krankenversicherung. Drinnen ist der in die Jahre gekommene Aufzug kaputt. Joy muss sich vier Etagen zum Empfang übers Treppenhaus hochkämpfen. Der Putz fällt von den Wänden. Sieht nach einem Wasserschaden aus.

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Hilfe, wo sonst keine ist

Kurz vor Joy schleppt eine 31-jährige junge Frau aus Albanien ihren Kinderwagen die Treppen hoch. Sie will ihre Geschichte erzählen, aber ihren Namen nicht nennen. Sie ist seit acht Jahren in Deutschland. Weil sie nach deutschem Recht mit ihrem Mann nicht standesamtlich verheiratet ist, hat sie keine Krankenversicherung. "Das ist meine zweite Schwangerschaft", erzählt sie. Ein bisschen verlegen lächelt sie, entschuldigt sich, dass ihr Deutsch nicht perfekt ist. Ihre brünetten Haare trägt sie gewellt. Zu Hause hat sie noch ein kleines Kind, einen Jungen, sechs Jahre alt. Der ist über den Vater versichert.

Auch diese Schwangerschaft wurde von Hebamme Doris Kamman begleitet: "Anfangs sind die Frauen zurückhaltend, ängstlich. Wir nehmen sie so an, wie sie sind. Fragen nicht, wo sie herkommen, was sie tun. Wir sind für sie da. Geben ihnen Sicherheit und medizinische Hilfe." Heute strahlen Mutter, Kind und Hebamme. Nichts sei schöner, als wenn die Frauen der Hebamme ihr Kind nach der Geburt präsentieren. Die Hebamme schnappt sich die Kleine, packt sie aus ihrem warmen Schlafsack, kuschelt und knuddelt sie.

Warum Hebamme Doris Kamman ihr Ehrenamt glücklich macht

00:33 Min. Verfügbar bis 28.06.2026

Die Frauen hier kommen aus allen Ländern. Südamerika, Afrika, Südosteuropa, Asien. Geld für teure Privatbehandlungen hat keine von ihnen. Die junge Frau aus Albanien war mal bei einem Arzt wegen ihrer ersten Schwangerschaft, der hatte für eine Blutuntersuchung 500 Euro verlangt. Das Geld konnte sie nicht zahlen. Über Bekannte erfuhr sie von den Maltesern. Ultraschall, Blutbild, Mutterpass, Medikamenten, gehören eigentlich zur gesetzlichen Vorsorge. Hier gibt es das kostenlos.

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Überlebenswichtig für Mutter und Baby

Die Ärztin Anne Rauhut aus Essen hat die Versorgung der Menschen ohne Krankenversicherung nach Duisburg geholt. Das ist zehn Jahre her. Erst hatte sie das Ganze zusammen mit einem katholischen Pater in einem Pfarrhaus in Duisburg-Marxloh aufgebaut. Dort knubbelten sich die Patientinnen und Patienten im Pfarrhausflur auf der Treppe. Dann holte sie die Sprechstunde vor sieben Jahren zu den Maltesern. In echte Praxisräume, wie bei ganz normalen Ärzten, aber alles über Spenden finanziert und nicht jeden Tag geöffnet. Das Zimmer ist klein, die Ärztin emphatisch. Blättert die Fallakte von Joy immer wieder durch, denn sie war schon öfter donnerstags in der Sprechstunde, einem offenen Termin für alle medizinischen Anliegen.

Einige von Anne Rauhuts Freunden und Freundinnen aus den Kliniken im Ruhrgebiet engagieren sich hier in Duisburg ehrenamtlich. Frauen wie Joy sind für Anne Rauhut keine einfachen Patientinnen. "Wir haben häufig Risikoschwangerschaften, viele kommen leider erst sehr spät, oft im fünften, sechsten oder siebten Monat zum ersten Mal." Im Fall von Joy sei es gefährlich. Sie müsse unbedingt ganz eng von einem Diabetologen kontrolliert werden, damit das Baby überlebt und es der Mutter in der Schwangerschaft gut geht.

Rauhut erzählt von Schwangeren, die von Ärzten abgewiesen werden. Spätestens zur Geburt müssten sie aber in Kliniken versorgt werden, wenn sie nicht zu Hause entbinden. Die Kliniken bleiben oft auf den Kosten sitzen. Eine normale Schwangerschaft kostet um die 2000 Euro, aber bei Risikoschwangerschaften oder Frühgeburten summiert sich das fünf- bis sechsstellig, weiß Rauhut von ihren Kollegen in den Kliniken.

Ärztin Anne Rauhut mit Patientin Joy in der Praxis der Malteser in Duisburg

Kümmert sich um Frauen ohne Krankenversicherung: Ärztin Anne Rauhut

Joy kennt ihre Lage. Ist froh, hier eine Ärztin zu haben. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet, trägt dazu helle Sneaker und eine Strickmütze mit südafrikanischen Farben. Ihr Babybauch gut erkennbar. Sie spricht Englisch. Erzählt von der ersten Geburt. Damals war sie schon lange aus Nigeria in Griechenland angekommen, hatte dort einen Job und auch eine Versicherung. Aber ihr Baby musste nach der Geburt mit Sauerstoff versorgt werden, hatte was am Herzen. Zuckerprobleme. Seit zwei Jahren ist sie in Deutschland. Lebt in Duisburg.

Wie Gynäkologin Dagmar Sabelleck-Vaca das Schicksal einiger junger Mädchen berührt

00:46 Min. Verfügbar bis 28.06.2026

Nach dem ersten Check-up ist klar: Joys Blutdruck ist zu hoch, sie muss jetzt wohl auch Insulin spritzen, die Werte heute - gar nicht gut. Anne Rauhut schickt sie rüber zu ihrer Kollegin, den Flur entlang, ein Zimmer weiter, da wartet schon Gynäkologin Dagmar Sabelleck-Vaca. "Das Baby ist okay", sagt sie, während sie mit dem Ultraschall über Joys Bauch fährt. Und schon kommt das Ultraschallbild ausgedruckt heraus. Joy kann es später mitnehmen.

Über dieses Thema haben wir auch am 22.01.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit aus Duisburg, 19.30 Uhr.