Zu dritt nebeneinander aufgereiht stehen die drei Krankenschwestern. Fotografiert ab der Hüfte aufwärts.

"Wie ein Sechser im Lotto": Die etwas andere Gesundheitssprechstunde

Minden-Lübbecke | Füreinander

Stand: 03.01.2025, 12:51 Uhr

Drei gelernte Krankenschwestern bieten in Minden einmal die Woche eine "Interkulturelle Gesundheitssprechstunde" an. So wollen sie Menschen mit Migrationshintergrund die Sorge vor dem Arztbesuch oder Behördengängen nehmen.

Von Jan-Ole Niermann

Als erstes braucht es Kaffee. Ülkü Schlesinger füllt Wasser und Filterkaffee in die Maschine. "Einfach zur Entspannung, dass wir ungezwungen reden können", sagt sie. In wenigen Minuten beginnt die Interkulturelle Gesundheitssprechstunde. Während der Kaffee langsam in die Kanne tropft, freut sich die gelernte Krankenschwester auf die Gespräche mit verschiedenen Menschen. Gemeinsam mit ihrer Tochter Taliha stellt die 62-Jährige einige Tassen auf ein Tablett. Im Besprechungsraum steht der Kaffee neben einer Schale mit Bonbons und Süßigkeiten. "Wir sind türkischer Herkunft. Da ist es so, dass man Essen und Trinken anbietet, das öffnet Herzen und Türen", sagt Schlesinger.

Minden: Mit Zeit und Ruhe den Menschen ihre Ängste nehmen

Die Gesprächsatmosphäre ist den drei Frauen wichtig. Schlesingers Kollegin Suna Arslan bereitet den ersten Termin vor: "Wir haben keinen Zeitdruck, wir geben den Leuten Zeit zu erzählen, was sie für Probleme haben", erklärt Arslan. Schlesinger ergänzt: "Zu uns kann jeder kommen."

Ülkü Schlesinger (links) und Suna Arslan (rechts) sprechen über ihre Motivation

00:32 Min. Verfügbar bis 04.01.2027

Einmal in der Woche bieten sie die Interkulturelle Gesundheitssprechstunde an. Heute im Stadtteil Bärenkämpen. Im drittgrößten Stadtteil Mindens leben laut Stadt 7466 Menschen aus etwa 80 Nationen. Die Nachfrage nach dem Angebot ist groß, die Sprechstunde meistens ausgebucht. Etwa drei bis sechs Menschen kommen im Normalfall, aber für jedes Schicksal nehmen sie sich ausreichend Zeit. Außerdem kommen auch Menschen spontan, um Hilfe zu suchen, sagt Schlesinger: "Immer wieder stehen auch Klienten hier ohne Termin. Aber wir schicken niemanden weg."

Mal geht es um Rückfragen zu Arztbesuchen, mal um Sprachbarrieren, mal um Sorgen bei Behördengängen. "Das sind oft komplizierte Fälle", sagt Arslan. Schlesinger erzählt: "Die Menschen haben Traumata erfahren oder Krankheiten. Durch uns bekommen sie jemanden an die Seite gestellt." Dafür nutzen die drei Krankenschwestern ihr großes Netzwerk, stellen Kontakt mit Krankenkassen oder Beratungsstellen her und begleiten sogar bei Praxisbesuchen.

Das erste Ehepaar an diesem Tag war schon häufiger bei ihnen zu Besuch. Beide kamen ursprünglich wegen gesundheitlicher Fragen, doch Ülkü Schlesinger, Taliha Schlesinger und Suna Arslan helfen ihnen inzwischen auch bei anderen Themen. Die Atmosphäre ist beinahe freundschaftlich, das Gespräch findet auf Türkisch statt. "In Deutschland habe ich keine Familie. Aber sie sind meine Familie, meine großen Schwestern", erzählt die Frau. Die Inhalte der Gespräche werden in der Sprechstunde dabei immer vertraulich behandelt, es gilt die Schweigepflicht.

Vertrauen ist alles

Das Angebot ist in den vergangenen Jahren gewachsen: "Wir haben das immer ehrenamtlich gemacht. Jetzt versuchen wir das zu professionalisieren", sagt Ülkü Schlesinger. Doch die Mittel für das Projekt der Caritas seien knapp. Für die Arbeit in der Sprechstunde werden die drei Frauen bezahlt, dazu kommen viele weitere, ehrenamtliche Stunden am Telefon oder bei gemeinsamen Besuchen im Krankenhaus.

Ülkü Schlesinger erklärt, welchen Beitrag sie mit ihrer Sprechstunde leisten möchten

00:42 Min. Verfügbar bis 04.01.2027

Der nächste Termin beginnt mit freundlicher Begrüßung und einer Umarmung: Ein Angehöriger der Frau liegt im Krankenhaus. Schon seit Wochen stehen die Mitarbeiterinnen der Interkulturellen Gesundheitssprechstunde in engem Austausch mit Ärztinnen und Ärzten. Fast eine Stunde besprechen sie die nächsten Schritte. Was die Besucherin über die Hilfe denkt? "Wie ein Sechser im Lotto."

So eine Rückmeldung motiviert Arslan. Doch auch ihre eigene Geschichte treibt sie an. Die 60-Jährige ist als Kind aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Damals habe sie oft für ihre Eltern, Verwandte und Bekannte übersetzen müssen: "So Beratungsstellen gab es nicht und was wir erlebt haben, das wollen wir für andere nicht", sagt Arslan. "Wir wollen den Menschen hier zeigen, dass sie willkommen sind."

Über dieses Thema haben wir auch am 07.11.2024 im WDR Fernsehen berichtet: Lokalzeit OWL, 19.30 Uhr.