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Interview mit Chris Sommer

Chris Sommer, wie lebt es sich als Drinnie in einer extrovertierten Welt?

Stand: 22.03.2023, 17:00 Von Nora Wanzke Glücksfunken

Von Nora Wanzke

kugelzwei: Auf einer Skala von eins gleich unangenehm und zehn gleich voll okay: Wie schlimm ist es für dich als Drinnie, jetzt mit mir als fremde Reporterin ein Interview zu führen und nur über dich zu sprechen? 

Chris: (Lachen) Also mit dir sprechen ist gar kein Problem. Aber über mich sprechen ist schon ein bisschen unangenehm.

kugelzwei: Du bist einer der beiden Hosts vom Podcast "Drinnies". Den machst du mit Giulia Becker. Ihr beiden wohnt zusammen, ihr beiden seid Comedy-Autor:innen und jeden Dienstag veröffentlicht ihr eine neue Podcastfolge – wie ihr sagt: direkt aus der Komfortzone. Nimm mal alle mit, die euch nicht kennen: Was genau zeichnet einen Drinnie aus? 

Chris: Ein Drinnie ist jemand, der eher gern zu Hause bleibt, eher introvertiert ist und im Alleinsein Kraft schöpft. Obwohl man ja aber natürlich auch draußen ein Drinnie sein kann. Und was sich im Zusammenhang mit unserem Podcast gezeigt hat: Drinnies sind auch Leute, die über sich und ihre Eigenheiten lachen können.

Über Chris Sommer

Chris Sommer ist 1992 in der Schweiz geboren, hat Musik studiert und als Comedy-Autor unter anderem schon für das ZDF Magazin Royale, Kroymann und Hazel Brugger geschrieben. Bekannt ist er vor allem für den wöchentlich erscheinenden Podcast “Drinnies”.  Für das Format wurden er mit seiner Kollegin Giulia Becker mehrfach mit dem Deutschen Podcastpreis ausgezeichnet.

kugelzwei: Wir machen’s noch klarer. Was ist schlimmer: Im Friseursalon sitzen oder ein “Get together” bei der Arbeit?  

Chris: Beim Friseur habe ich mir mittlerweile schon Strategien zurechtgelegt und überlege vorher, was ein gutes Smalltalk-Thema sein könnte. Nach der Arbeit zusammenzusitzen, ist manchmal cool. Aber manchmal auch echt anstrengend, weil ich oft ausgelaugt bin, wenn ich schon den ganzen Arbeitstag mit Leuten gesprochen habe.

Das unterscheidet dann auch introvertierte Menschen von extrovertierten Menschen. Letztere sagen dann eher: ‚Oh jetzt nach dem Feierabend mit allen Menschen noch zusammensitzen und darin nochmal richtig Kraft schöpfen!‘ Ich gehe dann lieber nach Hause und muss meine Kraft in der Ruhe finden. Das ist ja im Prinzip auch die Definition von Introversion.

kugelzwei: Dein Tipp für alle Introvertierten – oder wie ihr im Podcast sagt: dein "Introvertipp" – für alle, die diese "Get Together" mit Kolleg:innen nach der Arbeit genauso schlimm finden wie du? 

Chris: Man kann immer eine Ausrede suchen. Ich muss meine Katze füttern oder so. Diese Introvertipps, die wir im Podcast geben, sind ja immer so ein bisschen selbstironisch. Man versucht immer den einfachsten Weg zu gehen, um Konfrontation zu verhindern. Was aber natürlich cooler ist: Wenn man ein Arbeitsumfeld hat, wo Verständnis gezeigt wird, wenn man sagt: ‚Hey du, ich bin gerade kaputt, ich gehe lieber nach Hause.‘

kugelzwei: Telefonieren ist ja auch immer mal wieder Thema bei euch im Podcast. Was ist hier dein Introvertipp?

Chris:  Wenn meine Oma keine Lust mehr hatte zu telefonieren, hat sie ihre Haustür aufgemacht, bei sich geklingelt und dann der Person am anderen Ende gesagt: ‚Ach, da ist ja gerade jemand gekommen. Ich muss jetzt auflegen.‘ Oder auch: ‚Ich bin gerade am Kochen, mir brennt hier alles an.‘ Oder man sagt: ‚Hey, mein Akku ist gleich leer.' Und dann legt man einfach auf. Das sind die Reißleinenoptionen, wenn sonst nichts mehr hilft.

kugelzwei: Du stehst in der Öffentlichkeit – mit eurem Podcast. Aber man kennt dich zum Beispiel auch aus dem ZDF Magazin Royale in der satirischen Rolle von Christian I. M. Sommer, mit deiner Rubrik: "Tipps von Oben herab, der neutrale Ratgeber". Also da ist nichts mit Komfortzone. Wie passt das zusammen mit dem Drinnie-Dasein?  

Chris: Wenn es darum geht, vor der Kamera zu stehen oder auf der Bühne, dann ist da bei mir ein Gefühl von Kontrolle über die Situation. Da kommt in der Regel niemand von der Seite, der einen ungewollt in ein Gespräch verwickelt. Vor der Kamera spiele ich häufig Sachen, die ich selbst schreibe. Das ist dann die maximale Kontrolle, weil ich bestimmen kann, was ich sage und sogar was die anderen Personen, die mit mir spielen, sagen sollen.

kugelzwei: Anders als bei Alltagssituationen?

Chris: Wenn ich an der Supermarktkasse stehe und es spricht mich eine fremde Person an und regt sich bspw. über die hohen Preise auf und möchte mir lautstark die Folgen der Globalisierung und das Psychogramm von Putin erklären... Und sich dann auch noch die anderen Leute umdrehen und das Ganze beobachten – da habe ich überhaupt keine Kontrolle mehr über die Situation. Das ist viel unangenehmer für mich, als wenn ich auf der Bühne ein paar Witze erzähle, die ich selbst geschrieben habe.

kugelzwei: Was genau passiert dann in dir?

Chris: Die Hände werden schwitzig und die Knie ein bisschen weich. Und dann werden direkt Überlebensstrategien gesucht, um irgendwie das Gespräch zu beenden. Um die Sache nicht noch größer zu machen, dient da meist nur eine Ausrede: ‚Oh, ich habe die Milch vergessen, ich muss nochmal zurück!‘

kugelzwei: Wie überlebt man denn als Drinnie in dieser Welt, die extrovertierte und gesellige Menschen so sehr feiert? 

Chris: Ich glaube, dass Leute, die introvertiert sind, eher Schwierigkeiten haben, gesehen zu werden. Was mir generell geholfen hat, ist, mich besser kennenzulernen. Als Teenager hatte ich zum Beispiel oft ein schlechtes Gewissen, wenn ich am Wochenende zu Hause geblieben bin. Ich war aber die ganze Woche mit meinen Freund:innen in der Schule und das war echt anstrengend für mich. Ich konnte gar nicht anders als mich am Wochenende auszuruhen. Heute versuche ich das schlechte Gewissen abzulegen und darauf zu achten, was wirklich zu mir passt.

kugelzwei: Da muss man ja erstmal hinkommen, dass man sich selbst so gut kennt und sich keine Vorwürfe mehr macht. Wie bist du dahin gekommen?

Chris: Das hat mit Selbstreflexion zu tun. Ich habe Musik studiert und vor allem Jazz gespielt, also improvisierte Musik. Da kann man das Geschehen auf der Bühne natürlich nur teilweise kontrollieren. Zusätzlich war das ein Umfeld, wo es auch echt starke Ellbogenkämpfe gegeben hat. Gleichzeitig ist die Jazzszene aber so klein, dass man gezwungenermaßen auf die Leute zugehen muss, um Konzerte spielen zu können. Da habe ich gemerkt, das ist gar nicht so meins.

Und dann hat es sich fließend ergeben, dass ich Comedy-Autor geworden bin. Ich habe gemerkt, dass ich dort eine Arbeitsform finden kann, die mehr zu mir passt. Viel passiert in Stillarbeit. Und glücklicherweise kann ich mir aussuchen, mit wem ich zusammenarbeiten will. Das ist ein unglaubliches Privileg. In der Retrospektive habe ich begriffen, dass das viel besser zu mir als Drinnie passt.

kugelzwei: Musst du dich auch manchmal verbiegen – weil von dir in der Medienbranche erwartet wird, dass du extrovertiert bist?

Chris: Das versuche ich wirklich zu verhindern, das hat mich schon während meines Studiums viel zu viel Anstrengung gekostet. Da braucht es aber die Weitsicht von allen. Wir sind alle sehr unterschiedlich und gerade in so Gruppenkontexten – auf der Arbeit, in der Schule, im Studium – da sollte versucht werden, die einzelnen Charaktere mehr wahrzunehmen. Ganz gleich, ob man eher introvertiert oder eher extrovertiert ist.

kugelzwei: Gelingt dir das immer?

Chris: Das ist schon schwierig. Wenn ich irgendwo hinkomme und die Leute mich nicht kennen, wie ich arbeite zum Beispiel, muss ich mich irgendwie immer erklären. Bzw. ich fühle mich dazu gedrängt, mich zu erklären. Aber ich komme auch immer mehr zum Schluss, dass man am besten offen darüber spricht. Das ist für mich mittlerweile einfacher, als wenn ich die Leute erraten lasse, wie ich so drauf bin.

Wenn ich im Arbeitskontext bin, dann hilft es mir, dass ich wirklich sage: ‚Da bin ich besser, wenn ich das kurz in Stillarbeit mache, wir können ja danach nochmal darüber sprechen.‘ Man kann natürlich auch versuchen, immer den leichten Weg zu gehen und mit den Introvertipps zu hantieren.

Aber irgendwann wird der Punkt kommen, dass man auch für sich selber einstehen muss: ‚Hey ich bin jetzt nicht so die extrovertierte Person, ich gehe dann lieber einen anderen Weg.‘

kugelzwei: Aber ganz ehrlich: Du bist Comedy-Autor. Die allermeisten stellen sich darunter einen witzigen Typen vor, der jede Party komplett alleine unterhält. Warum bist du ausgerechnet Comedy-Autor geworden?

Chris: Bei mir zeigt sich das eigentlich jede Weihnachtsfeier wieder, dass es genau richtig ist, wenn man nicht die Person ist, die um zwei Uhr morgens auf den Tischen tanzt. Sondern eher die Person, die am Rand steht und sich locker mit ein, zwei Personen unterhält, aber auch das beobachtet, was da in der Mitte des Raumes stattfindet.

Mir hilft das, meine Beobachtungsgabe zu schärfen. Das brauche ich als jemand, der Comedy macht. Da geht es ganz oft um Beobachtung an den Menschen, der Gesellschaft. Das ist einfacher, wenn man nicht das Epizentrum ist, sondern eher von außen zugucken kann.

kugelzwei: Ist Humor dein Werkzeug, um den ganzen Wahnsinn auszuhalten, den man so als Drinnie erlebt? 

Ja, Giulia und machen uns total lustig über die Situationen, die wir erleben, weil es von der Peinlichkeit ablenkt. Wenn ich im Supermarkt etwas Komisches erlebe, dann ist es in der Situation unangenehm. Aber danach lache ich vielleicht darüber und denke, ja das könnte Giulia oder jemand anderem aus unserer Community genauso passiert sein.

Ich glaube nicht, dass Humor irgendwie ein Wundermittel ist, aber es ist zumindest eine Ablenkung.

kugelzwei: Wir von kugelzwei zeigen immer gerne Welten, in denen wir gerne leben würden. Wie sieht deine perfekte Drinnie-Welt aus?  

Chris: Dass introvertierte Leute nicht bemitleidet werden. Das hat irgendwie so einen Anstrich von ‚oh, die sind irgendwie alleine und einsam‘. Aber das hat nichts damit zu tun. Introvertierte Leute mögen ja auch Menschen. Wir sind alle soziale Wesen und gehen gerne auch auf Menschen zu oder haben Kontakt – aber halt im gewissen Maß.

Zum Beispiel das allein im Restaurant Sitzen. Das ist nicht bemitleidenswert. Vielleicht war das die eigene Wahl, mal eine halbe Stunde Pause zu haben, um dann erholt auf den Arbeitsplatz zurückzugehen oder nach Hause zu den Kindern.

Oder wenn man bei einem Vorstellungsgespräch sagen würde: ‚Ich bin voll die introvertierte Person und ich arbeite voll gerne still und bin da auch mega gut drin‘. Ich glaube, da würden viele im Einstellungsgespräch sagen: ‚Das könnte schwierig werden, vielleicht ist die Person nicht teamfähig.‘ Aber das hat ja im Grunde nichts miteinander zu tun.

kugelzwei: Siehst du heute schon Veränderung?

Chris: Ja, zum Bespiel bei Friseur:innen. Viele bieten jetzt Silent Cuts an, also Termine, bei denen nicht gesmalltalkt wird. Was übrigens auch – das habe ich auch gelernt - für Friseur:innen ganz angenehm ist, weil die ja auch manchmal introvertiert sind. Oder die Stille Stunde in gewissen Supermärkten, die eigentlich für Leute aus dem Autismus-Spektrum eingeführt wurde, aber uns allen zugutekommt. Wenn die Kassenpiepstöne ausgeschaltet werden, die Musik ruhiger gedreht wird, Leute vielleicht sich ruhiger verhalten, das Licht gedämmt wird und auch weniger Leute im Supermarkt sind. Solche kleinen Veränderungen können schon einiges bewirken.

Chris Sommer über eine gute Zukunft und inspirierende Ideen

kugelzwei: Chris, was wenn die Zukunft gut wird? Was bedeutet das für dich, wie sähe diese Zukunft aus? 

Chris: Also die perfekte Zukunft ist, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben und sie so sein können, wie sie wollen.

kugelzwei: Ideen für heute und übermorgen: Was hat dich zuletzt inspiriert?

Chris: Ich habe in den letzten Tagen einen Podcast entdeckt von einem Comedian aus den USA, der heißt Joe Pera. Den finde ich sehr lustig, weil der genau das Gegenteil ist von dem lauten Stand-Up-Comedian, der auf der Bühne rumbrüllt. Der ist ganz zurückhaltend.

Der macht den Einschlafpodcast “Drifting off with Joe Pera”. Das ist eine Art und Weise, wie man auch Comedy machen kann. Vielleicht mache ich auch mal so einen Podcast. Mal gucken. Hilft mir auf jeden Fall beim Einschlafen.

Dieses Interview führte Nora Wanzke.

Weiterführende Links:

Podcast Drinnies (linktr.ee)

ZDF Magazin Royale – die satirische Rolle von Christian I. M. Sommer (instagram.com)

Website Chris Sommer (chris-sommer.com)

Kommentare zum Thema

  • Marion 13.02.2024, 01:21 Uhr

    Hallo Zusammen, bin heute auf diese Seite bzw. auf 'Drinnies' gestoßen. Ich habe mich früher nicht als (eher) introvertiert verstanden. Da ich gesellig bin und ein Menschenfreund, Parties mit Freunden liebte... wäre ich nicht darauf gekommen. Heute mit 50 + weiß ich es besser. Vor einigen Jahren habe ich erkennen dürfen, dass ich 'hochsensibel' bin. In dem Buch 'Zart besaitet' (G. Parlow)wird es klasse beschrieben, was einen sog. 'HSP' ausmacht, wie dieser empfindet, Stärken, Schwächen usw. Sehr empfehlenswert! Es ist GABE und LAST! Mit wertvollen Tipps auch für 'Nicht-Hochsensible' mit denen wir HSP (Drinnies) ja unser Leben teilen. Es gibt schätzungsweise 15 % Menschen die als hochsensibel gelten und in der Tierwelt ebenso. Durch diesen wundervollen Ratgeber, der von einem 'Betroffenen Autor' geschrieben wurde, habe ich mich selbst verstehen können, akzeptieren können, eigene Wertschätzung erfahren dürfen uvm. Meine Verständnis den 'Nicht-Hochsensiblen' (den 85 %) ist gestiegen.

  • Angie 31.05.2023, 05:35 Uhr

    Die Bezeichnung "Drinnie" für bestimmte Menschen-Typen hatte ich noch nie vorher gehört. Ich finde sie soooo passend und sie hat mich neugierig gemacht und dazu veranlasst, den Artikel zu lesen. Alles - jede dargestellte Eigenschaft/Situationsempfindung - trifft auch auf mich zu. Bis auf (also doch nicht "alles" ;) ) die dargestellte Situation an der Kasse. So etwas mag ich sehr gern. Ich habe mich auch immer gefragt, warum das so ist und denke, dass das damit zusammenhängt, dass man aus dieser Situation aussteigen kann, wann immer man möchte. Oder anders ausgedrückt, die Kontrolle behält. Aus eurem Text: "Dass introvertierte Leute nicht bemitleidet werden. Das hat irgendwie so einen Anstrich von ‚oh, die sind irgendwie alleine und einsam‘. Aber das hat nichts damit zu tun." Genau! Ich glaube, "Drinnies" beobachten durch ihre Art einfach nur das jeweilige Umfeld genauer und sehen darin dann auch mehr Komik als andere - ich nenne das immer den "Loriot-Blick"... :)

    • kugelzwei 01.06.2023, 16:12 Uhr

      Vielen Dank für das Lob! Es freut uns, dass dir der Beitrag gefallen hat. Den Begriff "Loriot-Blick" werden wir uns auf jeden Fall merken... :)

  • Nidala 30.05.2023, 17:08 Uhr

    Ich frage mich, wie hoch der Anteil an Drinnies in der Bevölkerung ist. Ich würde tippen in jungen Generationen ist der Anteil höher. Respekt für die Bewältigungsstrategien. Ich verzichte normalerweise lieber auf das Mittagessen, als alleine in die Kantine zu gehen. Da komme rast mein Kopf ohne Unterbrechung. Ein gezwungenes Gespräch mit Kollegen ist da noch einfacher und unverdächtiger für mich :) Schön für alle, denen es nicht peinlich ist, Dinge allein zu tun. Es zeigt, dass die Drinnies einfach nicht so sehr auf Gesellschaft angewiesen sind.

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