Gesellschaftliches Stigma
Menstruation: Raus aus dem Tabu
Stand: 16.01.2024, 14:28 Gamechanger
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KommentierenIn manchen Ländern und teils auch in Deutschland gibt es Ideen, die das Leben von Menstruierenden verbessern könnten. Vereinzelt dürfen Betroffene einen Tag freinehmen, in manchen Schulen und öffentlichen Gebäuden gibt es kostenlose Periodenprodukte. Allerdings: Nicht alle Maßnahmen, die erst einmal sinnvoll erscheinen, helfen wirklich.
Ein großes Problem ist die sogenannte Periodenarmut: Manche Menschen können es sich schlicht nicht leisten, die nötigen Produkte zu kaufen. Rund 500 Euro kostet es im Schnitt jährlich, nicht mit einer rot-fleckigen Hose durch die Gegend zu laufen. Immerhin lässt sich dagegen recht einfach etwas tun.
Einfach und wichtig: Kostenlose Periodenprodukte
In Schottland etwa sind die kommunalen Behörden gesetzlich verpflichtet, kostenlose Periodenprodukte zur Verfügung zu stellen. In anderen Ländern gibt es zumindest Regelungen für Schulen oder öffentliche Toiletten – auch in Deutschland existieren mittlerweile Pilotprojekte, etwa in Karlsruhe, Heidelberg und Tübingen.
Menstruierende benötigen außerdem leichten Zugang zu sauberen öffentlichen Toiletten und Wasser – das mag banal klingen, ist aber oft nicht gegeben. Forschende bemängeln auch die Bildung : Die Menstruation werde oft mit anderen Themen kombiniert und gehe dabei praktisch unter.
Menstruation als Tabuthema: Bis heute sprechen viele Menschen nicht offen über die Menstruation. Eine Konsequenz — viel Unwissenheit.
Bessere Informationen in den Schulen, etwa zu Periodenprodukten und der richtigen Hygiene und möglichen Erkrankungen könnten bereits viel bewirken. Dazu müsste das Thema aber im Lehrplan stärker berücksichtigt werden. Materialien gibt es dafür schon.
Freie Tage oder Arbeit nach Augenmaß?
Manche Menstruierende leiden während der Periode unter starken Schmerzen. Für sie wäre es eine große Erleichterung, an solchen Tagen nicht arbeiten zu müssen — ein Ansatz, den beispielsweise Spanien mit einem "Menstruationsurlaub" gewählt hat. In anderen Ländern wie Indien bieten einzelne Firmen solche freien Tage auch freiwillig an. Oder die Betroffenen können von zuhause aus oder weniger arbeiten, so wie es für sie schaffbar ist.
Was auf den ersten Blick stimmig klingt, ist dennoch nicht ganz so einfach. "Nicht alle Menschen leiden stark unter der Periode", sagt Sophie Bauer . Sie promoviert an der Universität Frankfurt zum Thema Menstruation. "Tatsächlich wissen wir gar nicht so genau, wie viele Menschen überhaupt deutliche Schmerzen haben." Eine pauschale Lösung für alle Menstruierenden zu treffen, könne die Schmerzen normalisieren und dazu führen, dass sich Betroffene keine ärztliche Hilfe suchen — obwohl sie möglicherweise an einer Endometriose leiden.
Über Sinn und Unsinn von Menstruationsurlaub
„Es gibt wenig Forschung darüber, wie hilfreich und nahhaltig Menstruationsurlaub überhaupt ist“, sagt Sophie Bauer. „Andere Länder brauchen es vielleicht eher: In Spanien gibt es ab dem ersten Krankheitstag keine Lohnfortzahlungen.“ Sich krank zu melden, bedeutet in der Regel also: kein Geld. In Deutschland hingegen können sich Menstruierende – solange es nicht zu häufig vorkommt – ohne negative Auswirkungen arbeitsunfähig melden.
Dazu kommt: In Japan und der Sowjetunion wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ähnliche Regeln eingeführt — sie dienten aber vor allem dazu, die traditionelle Mutterrolle zu stärken, in dem sie zeigen sollten: Frauen sind eben nicht belastbar genug für andere Arbeiten. "Dahinter stand vor allem die Idee, dass Arbeit während der Periode die Gebärfähigkeit beeinträchtigen könnte", erklärt Sophie Bauer. "Es ging also um Bevölkerungspolitik."
Stigmatisierung als Barriere
Zudem zweifelt sie daran, dass viele Betroffene von dem Sonderurlaub Gebrauch machen würden. Denn dann müssten sie ihre Menstruation offen ansprechen. Und das ist noch immer sehr stark stigmatisiert — so sehr, dass manche sich nicht einmal gegenüber Ärztinnen und Ärzten dazu äußern wollen. Immerhin: Die Diskussion um die freien Tage bringt die Menstruationsschmerzen mehr ins öffentliche Bewusstsein.
Denn das ist der Knackpunkt: Es gäbe schon Ideen, wie das Leben von Menstruierenden leichter werden könnte. Umgesetzt und danach auch angenommen werden können sie aber nur, wenn die Regelblutung nicht mehr als etwas Privates angesehen wird, worüber möglichst niemand spricht.
Wichtig ist dabei auch, dass nicht einfach irgendwelche einfachen Lösungen gesucht werden. Maßnahmen müssen wissenschaftlich untersucht werden. Nur so lässt sich herausfinden, ob sie helfen oder möglicherweise sogar negative Konsequenzen hätten.
Akzeptanz als Schlüssel
"Der Wunsch nach einfachen Lösungen ist verständlich", findet Sophie Bauer. Manchmal, wie bei den kostenlosen Periodenprodukten, seien solche Maßnahmen auch sinnvoll. Gleichzeitig müssten sich aber die gesellschaftlichen Debatten ändern. "Der wichtigste Schritt wäre, menstruierende Menschen nicht mehr zu stigmatisieren und die Regelblutung nicht mehr als Hindernis für Gleichstellung zu verwenden."
Raus aus dem Tabu: Vorurteile und Unwissenheit beim Thema Menstruation verschwinden nur, wenn wir offen darüber reden.
Erste Schritte auf dem Weg zur Entstigmatisierung finden sich beispielsweise in der Medienlandschaft. Eine Kurzdoku die den Kampf von Frauen im ländlichen Indien gegen das Menstruations-Tabu darstellt, hat 2019 sogar einen Oscar erhalten. Auch andere Filme und Serien gehen vermehrt offen mit dem Thema um. Über den Fernseher in die Köpfe — sicher ein erfolgversprechender Weg.
Menstruation: (K)ein Tabuthema (planet-wissen.de)
Menstruation – Blut, Schmerzen und Tab (ardaudiothek.de)
Blut und Scham: Wie die Menstruation zum Tabuthema wurde (nationalgeographic.de)
Schottisches Gesetz gegen Periodenarmut in Kraft (aerzteblatt.de)
Kostenfreie Tampons: Pilotprojekt auch in Deutschland (aerzteblatt.de)
Period poverty: why it should be everybody’s business. (Journal of Global Health Reports: joghr.org)
Spanien verabschiedet Gesetze für „Menstruationsurlaub“ (aerzteblatt.de)
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