MONITOR vom 02.11.2017

Schöne neue Arbeitswelt: Wie Digitalisierung Armut schafft

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Bericht: Shafagh Laghai, Andreas Maus

Schöne neue Arbeitswelt: Wie Digitalisierung Armut schafft

Monitor 02.11.2017 07:51 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Georg Restle: „Es wird ja viel über Digitalisierung gesprochen in diesen Tagen. Über große Zukunftschancen vor allem. Dabei wird oft übersehen, dass das Thema vielen Menschen Angst macht. Angst vor Veränderung, aber auch berechtigte Angst vor Jobverlust, weil vielleicht morgen schon ein Roboter oder ein Algorithmus die Arbeit übernimmt. Ein Thema, das eigentlich im Zentrum der Berliner Sondierungsgespräche  stehen müsste. Aber wenn da von Digitalisierung die Rede ist, geht’s vor allem um Glasfaserkabel und Infrastruktur – und weniger darum, wie Arbeit und Kapital in Zeiten der Digitalisierung gerechter verteilt werden sollten. Shafagh Laghai und Andreas Maus über ein ganz großes Zukunftsthema, das von der Politik immer noch verdrängt wird.“

Roboter, Computer, Algorithmen. Immer mehr Maschinen übernehmen immer mehr Arbeit von Menschen. In der Logistik. In der Finanzwelt. In der Pflege. Der Roboter mit menschlichem Touch.

Roboter(zu Seniorin): „Sie möchten doch bestimmt etwas trinken.“

Algorithmen, die Texte verfassen. Sie könnten Bürojobs ersetzen. Massenhaft.   

Prof. Sabine Pfeiffer, Soziologin, Universität Hohenheim:  „Es wird keine Branchen, keine Bereiche geben, die davon nicht berührt sind.“ 

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):„Diese Entwicklung wird sich beschleunigen, wird weiter sich fortsetzen.“

Welchen Platz hat der Mensch noch in der neuen Arbeitswelt? Genau dieser Frage ist eine Studie der Ing Diba Bank nachgegangen. Sie geht davon aus, dass auf dem deutschen Arbeitsmarkt bis 2025 18,3 Millionen Arbeitsplätze und 59 Prozent aller Berufe durch Technologisierung und Digitalisierung bedroht sind. 

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Was mir Sorge macht, ist die Geschwindigkeit des technologischen Wandels, das ist wirklich noch nie so dagewesen, dass innerhalb von zehn Jahren komplette Sektoren verschwinden können.“

Aber: Es werden doch auch neue Arbeitsplätze entstehen, heißt es immer. Ein Beispiel - die Automobil-Industrie. Etwa 1,5 Millionen Menschen insgesamt sind hier in Deutschland beschäftigt. Bei VW beispielsweise. Doch immer mehr Arbeit wird von Maschinen erledigt. Menschen werden zunehmend dafür gebraucht, um die Technik zu steuern. Im so genannten „Zukunftspakt“ von VW steht: Man werde 9000 neue Arbeitsplätze schaffen - für Softwareentwickler zum Beispiel. Dann aber heißt es: Volkswagen werde bis zu 23.000 Arbeitsplätze in Deutschland abbauen. Einige wenige profitieren - viele aber werden weiter abgehängt. 

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW):  „Der technologische Wandel ist eine bedeutende Erklärung für eine wachsende Ungleichheit. Zum Einen werden viele Jobs, die geringe Qualifikation erfordern, leichter automatisiert werden können, durch Roboter, durch Maschinen, durch Software-Programme. Das bedeutet, es gibt heute viele relativ gering Qualifizierte, aber immer weniger Jobs. Das heißt, auf immer weniger Jobs konkurrieren immer mehr Menschen mit geringen Qualifikationen.“

Und dadurch sinken die Löhne.  Schon heute zu sehen - beispielsweise bei Internet-Dienstleistern wie Amazon. Der Kunde bestellt online. Die Lagerhallen: nahezu menschenleer. Die Arbeit verrichten Maschinen. Ganz am Ende der Kette steht der Lieferant. Schlecht bezahlt - und vielleicht bald ersetzt durch eine Lieferdrohne? 

Die Unternehmen profitieren, viele Angestellte verlieren. Dies  belegt auch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.  Zwar würden Arbeitsplätze, die durch Roboter wegfallen, durch neue ersetzt - doch diese Jobs seien mit „geringeren Löhnen“ verbunden. Das bedeutet: Die Digitalisierung verschärft die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeitenden und Vermögenden.

Prof. Sabine Pfeiffer, Soziologin, Universität Hohenheim:  „Dieses Verhältnis von wie wenige Menschen haben viel in der Hand und wie viele Menschen haben nichts in der Hand, oder sehr wenig. Diese Schere ist unglaublich aufgegangen in den letzten Jahren, also exponentiell, kann man sagen. Und zwar auch in allen entwickelten Ländern und mit der Digitalisierung wird sich das verschärfen, wenn Politik da jetzt nicht rein grätscht.“

Welche Antworten hat die Politik auf die verschärften Herausforderungen? Die Annäherung scheint schwierig. Bei den aktuellen Sondierungsgesprächen zur „Digitalisierung“ sind die bedrohten Arbeitsplätze eher ein Randthema - der Fokus liegt woanders.  

Andreas Scheuer, Generalsekretär CSU:  „Zusammen mit der Wirtschaft wollen wir die Gigabit-Gesellschaft weiterhin nach vorne treiben.“

Peter Tauber, Generalsekretär CDU: „Natürlich steht besonders im Fokus die Frage des Breitbandausbaus, der Netzinfrastruktur, auf welche Technologien muss man dabei setzen.“   

Michael Kellner, Geschäftsführer Grüne:  „Jamaica könnte, könnte, das Bündnis der digitalen Chancen sein.“

Und auch in den Sondierungspapieren steht nur: Man wolle in Zeiten der Digitalisierung die „Weiterbildung“ fördern.

Prof. Sabine Pfeiffer, Soziologin, Universität Hohenheim:  „Also wenn wir tatsächlich von massivem Arbeitsplatzabbau ausgehen, und davon geht auch die Politik weitgehend aus, dann reicht es ja nicht zu sagen: irgendwie so ein bisschen Weiterbildung, die auch nicht genug konkret benannt wird an irgendeiner Stelle, das wär' ganz hilfreich. Sondern dann muss ich vor allem sagen: ist die Rolle der Politik, diesen Transformationsprozess so zu gestalten, dass wir danach eine Gesellschaft haben, die uns nicht um die Ohren fliegt, weil zu viele Menschen rausgefallen sind.“

Mit anderen Worten: Wer die gesellschaftlichen Folgen der Digitalisierung in den Griff bekommen will, muss radikal umdenken. In der Sozialpolitik, in der Steuerpolitik. Genau das versucht man zurzeit in Finnland. Mit einem großangelegten Experiment - dem bedingungslosen Grundeinkommen. Die Idee: Jeder bekommt ein garantiertes Einkommen, egal ob er Arbeit hat oder nicht, sagt Marjukka Turunen von der finnischen Sozialbehörde.  Der Gedanke dahinter: Die Wertschöpfung der Digitalisierung auf alle gerecht zu verteilen. Das bedingungslose Grundeinkommen sei ein Weg zu sozialer Gerechtigkeit in Zeiten der Digitalisierung.  

Marijuka Turunen: „Wir müssen jetzt handeln, wir können nicht unsere Augen davor verschließen, dass Jobs verschwinden werden, dafür müssen wir vorbereitet sein. Denn sonst wird unser Sozialsystem zusammenbrechen. Unsere Sozialsysteme sind nicht für die heutige Zeit gemacht. Deswegen führen wir in Finnland das Experiment mit dem Grundeinkommen durch.“

In Deutschland ist das Grundeinkommen umstritten. Aber wie könnten hier Konzepte aussehen? Manche fordern eine „Robotersteuer“, die hochautomatisierte Unternehmen bezahlen sollen. Klar ist: die Digitalisierung erfordert eine grundlegende Umverteilung.  

Prof. Sabine Pfeiffer, Soziologin, Universität Hohenheim:  „Das Wichtigste ist zuerst einmal, dass sich an diesen Anhäufungen von Gewinnen, dass dies in der Form nicht mehr so möglich ist, sondern dass davon mehr zurückkommt in die Gesellschaft.“

Prof. Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): „Wir brauchen ein Steuersystem, das Arbeit honoriert, so dass Arbeit sich wieder mehr lohnt, gerade für die Menschen, die eine Chance benötigen, also geringe Einkommen haben, geringe Qualifikationen haben. Und da steht Deutschland im Augenblick sehr schlecht da. Wir besteuern Arbeit deutlich zu stark im Vergleich zu Vermögen, gerade im internationalen Vergleich.“

Die Digitalisierung sozial gestalten. Würde also heißen: Kapital stärker besteuern, und den Faktor Arbeit entlasten. Darin sind sich erstaunlich viele Experten einig. Die Frage ist nur, ob dies auch schon bei der Politik angekommen ist.

Stand: 31.10.2017, 13:46 Uhr

Kommentare zum Thema

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5 Kommentare

  • 5 Initiative146 03.11.2017, 19:09 Uhr

    Kapital und Arbeit neu zu bewerten, ist in der Politik bislang nicht angekommen. Denn hierzu müsste man schon ergiebig ausholen: -Umverteilung über die Finanztransaktions-, Erbschafts- und Vermögenssteuer; -Konzerne zahlen ihre Steuern in Form von Anteilen, Bürger werden zu Anteilseignern; -Digitalkapitalismus (Facebook, Google & Co.) eine Absage erteilen; -Bürgerdiskurs, wieviel Digitalisierung wir wirklich wollen (KI); -Sozialsteuer statt Sozialversicherung; -Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens (Tätigkeitsgesellschaft); -Neue Wohn- und Verkehrskonzepte (Wasserstofftechnologie); -Kritische Infrastrukturen über Genossenschaftsmodelle dezentralisieren; -Schaffung von technologieorientierten Kleinstunternehmungen auf regionaler Ebene (3-D, manufacturing on demand); Kurzum, was wir benötigen, ist ein neues Gesellschaftsmodell, Think-Tanks auf Bürgerebene und politische Querdenker, die es wagen in neuen Dimensionen zu denken.

  • 4 Stefan Voß 03.11.2017, 18:14 Uhr

    Hallo Monitor, Sehr gutes Thema, muss man sich nur den Hamburger Hafen anschauen Als mein Urgroßvater hier noch beschäftigt war wurde weniger geschlöscht wie heute Heute müssten im Hamburger Hafen mindestens 3 Million Menschen arbeiten Es sind aber noch 150000

  • 3 Dieter Arizeus 02.11.2017, 22:36 Uhr

    Ersetzt °° Roboter? Wenn sie in ihren Analen nachschauen, sollte der Roboter schon damals(vor ca. 25-30 Jahren)besteuert werden, wer hat es verhindert? Entscheidend für mich und allen "normalen" Steuerzahlern, ist entscheidend, das die Einnahmen, die hier erziehlt werden, auch hier verssteuert werden. Sache der Politik:-schwierig, da zu viele Lobbiisten D u. EU.

  • 2 Gerd Sewing 02.11.2017, 22:30 Uhr

    Die ING DIBA Studie war zum September 15 bereits Monate bekannt. Dann die Grenzen für eine unbekannte Menschenzahl zu öffnen, war verantwortungslos. Das nicht die High-Potentials im Anmarsch waren, wußte jeder TV- Zuschauer. Den Eid hat die Frau nicht auf das Gedeihen der Weltbevölkerung geschworen. Jeder weitere Kommentar ist überflüssig.

  • 1 Adolfo Carbonero 02.11.2017, 19:37 Uhr

    Die Politik spricht auch davon, dass man sich der Digitalisierung mit besserer Bildung und Ausbildung stellen müsse. Langfristig sicher richtig, was machen wir aber inzwischen mit Millionen sogenannte Geringqualifizierte, wollen wir sie im Schnellkurs zu IT- und Roboterspezialisten ausbilden? Nach meiner Meinung sollten sich "Spezialisten" damit auseinandersetzen, ob wir jeden technischen Fortschritt überhaupt brauchen und wo kommen Hardware und Software überhaupt her und damit die Frage, wo neue Arbeitsplätze zukünftig entstehen werden? Dazu bin ich der Meinung, dass wir keinen Roboter benötigen, der mit Oma und Opa durch den Park spaziert, sondern gut bezahltes Personal. Dies trifft auch auf das Fahrpersonal für Bus und Bahnen zu. Ebenfalls lehne ich die Paketzustellung per Drohne ab. Statt dessen gehört auch hier das Personal besser bezahlt, z.Bsp. Solizuschlag 1 Euro für jedes Paket und vernünftige Arbeitszeiten, damit das Personal nicht hetzt als sei man auf der Flucht.