MONITOR vom 23.07.2015

Doppelzüngig: Was Deutschlands Politiker von Griechenland fordern

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Bericht: Stephan Stuchlik, Jochen Leufgens

Doppelzüngig: Was Deutschlands Politiker von Griechenland fordern

Monitor 23.07.2015 05:01 Min. Verfügbar bis 23.07.2999 Das Erste

Georg Restle: „Ja, Griechenland. Da haben ja einige Regierungspolitiker in den letzten Wochen den Mund ziemlich voll genommen. Die griechische Regierung solle jetzt gefälligst ihre Hausaufgaben machen und die Forderungsliste der Gläubiger schleunigst umsetzen. Kommt gut an bei den Wählern. Ist nur ziemlich schizophren. Denn vieles, was da jetzt von der griechischen Regierung so entschieden gefordert wird, haben die gleichen Politiker im eigenen Land stets vehement bekämpft. Frei nach der Goldenen Regel: Was du nicht willst, was man dir tu, das füge jetzt den Griechen zu! Stephan Stuchlik und Jochen Leufgens helfen dem Gedächtnis so einiger Regierungspolitiker jetzt mal auf die Sprünge.“

12. Juli nachts: Showdown in Brüssel. Die deutsche Kanzlerin unter Druck. Ihre Regierungsparteien fordern hartes Durchgreifen gegen „diese Griechen“.

Horst Seehofer: „Griechenland muss liefern. Solidarität gegen Reformen.“

Wolfgang Schäuble: „Wenn man im Euro bleiben will, muss man die Voraussetzungen dafür schaffen.“

Manfred Weber: „Macht eure Hausaufgaben in Griechenland!“

Und so diktiert hinter diesen Fenstern der Rat der Europäischen Union den Griechen ihre Hausaufgaben. Fach: Politik. Das Pflichtenheft: Rentenkürzung, Privatisierung, Lockerung des Kündigungsschutzes.

Selbst kleinste Details werden seit Juni von den Griechen gefordert: Bootsbesteuerungen, Liberalisierung des Fährverkehrs und - Erhöhung der Mehrwertsteuer für Hotels.

Hotelsteuer? Da war doch mal was. Aber erst mal das Forderungspapier: Griechenland soll ein neues Steuersystem einführen, Hotels zukünftig mit 13 Prozent besteuern. So steigt also in Griechenland die Hotelsteuer von 6,5 auf 13 Prozent. Ein Blick zurück: In Deutschland hat man die Steuer von 19 auf 7 Prozent gesenkt. Argument: Wirtschaftsförderung. Und - wer war nochmal für diese Maßnahme?

Wolfgang Schäuble: „Man kann im Ernst nicht bestreiten, dass im Beherbergungsbereich die Gastronomie sich in einem Wettbewerb mit Anbietern befindet, die geringere Mehrwertsteuersätze in Europa und darüber hinaus haben und deswegen schlagen wir‘s vor!“

Horst Seehofer: „Und, meine Damen und Herren, das ist ein ganz wichtiger Beitrag für Konsum und Investition in dieser Wirtschaftskrise.“

Wir lernen: Krise ist nicht gleich Krise. Und was für Deutschland Recht ist, muss für Griechenland noch lange nicht billig sein.

Gilt auch für eine andere Forderung, den verkaufsoffenen Sonntag. Denn im Forderungskatalog der Gläubiger steht, Griechenland müsse seinen Sonntagsverkauf vollständig liberalisieren. Heißt, der Sonntagsschutz würde komplett gestrichen. Bei uns ist davon keine Rede, der Sonntagsschutz bleibt - natürlich. Denn jeder, der an dieser Regel rüttelt, stellt in Deutschland gleich das christliche Abendland in Frage. Ob Griechenland zu diesem Abendland gehört, scheint noch nicht abschließend festzustehen. Und deshalb forderten Gewerkschaften wie Regierungspolitiker: Der Sonntag muss heilig bleiben. Nein, natürlich nicht in Griechenland, sondern in Deutschland.

Hartmut Schauerte: „Ich möchte dem Sonntag den höchstmöglichen gesetzlichen Schutz angedeihen lassen.“

Hermann Gröhe: „Sonntagsschutz muss zu einer christlichen Politik gehören.

Michael Müller: „Am Schutz des Sonntages wird nicht gerüttelt.“

Gleiches Spiel beim Thema Agrardiesel. Die Institutionen fordern von Griechenland, ab 2016 sämtliche Zuschüsse für den Bauernsprit zu streichen, die Subventionen sollen auf null sinken. In Deutschland gibt der Staat den Bauern weiterhin 21 Cent pro Liter dazu, schenkt ihnen fast die Hälfte der Gesamtsteuer. Als man in Deutschland 2009 versuchte, diesen Zuschuss zu streichen - so wie man das jetzt von Griechenland fordert - gab es einen Aufstand. Tausende von Bauern blockierten den Verkehr, und deutsche Politiker hielten Reden, als seien sie aus der Syriza-Fraktion.

Heinz-Peter Haustein: „Ja, es stimmt: wir subventionieren den Agrardiesel.“

Rainer Erdel: „Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, indem wir auf eine Besteuerung von Diesel verzichten.“

Heinz-Peter Haustein: „Das ist richtig, weil ein Bauernhof, der Gewinne macht, besser ist als einer, der es nicht mehr schafft.“

Die Brüsseler Nacht und ihre Lehre. Richtig kann ganz schnell falsch sein - wenn es nur der Falsche sagt. Aber ohnehin: Wer braucht schon Argumente, wenn er auch laut sein kann?

Manfred Weber: „Macht eure Hausaufgaben in Griechenland!“

Stand: 21.07.2015, 13:42 Uhr

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19 Kommentare

  • 19 Th. Schmidt 30.07.2015, 21:46 Uhr

    Liebes Monitorteam, ein ganz dickes Lob für Ihre Sendung vom 23.7.. Kritischer und informativer Journalismus in außergewöhnlicher und - inzwischen leider ungewohnter - Qualität und Klarheit! Die Sendung war von Anfang bis Ende spannend. Davon brauchen wir mehr. Lassen Sie sich nicht beirren - bleiben Sie dran! Das Sehen der Monitor-Sendungen wird für mich ab jetzt zum Pflichtprogramm. Ich kann mich übrigens noch an die Monitor-Sendungen in meiner Jugend erinnern. Das Sendeformat ist sich treu geblieben.

  • 18 Ed Loder 27.07.2015, 14:46 Uhr

    Jetzt fordert der ehemalige Finanzminister Virufakis plötzlich doch den Grexit. Als Schäuble das tat, waren wir gleich die Oberbuhmänner und Europakiller. Warum darf das der eine und der andere nicht? Antwort: Quid licet Bovi, non licet Jovi!! Aber das war doch mal anders, oder?

  • 17 Sandra B. 25.07.2015, 12:49 Uhr

    Daniel Becker: Wenn ich Kommenatre wie den ihrigen lese, dann denke ich, Grundkenntnisse in Ökonomie sollten in der Schule unbedingt vermittelt werden müssen. Griechenland hat seine riesigen Schulden und Kredite (über eine halbe Billion eingerechnet ELAs ,Targets) o hne Zwang aufgenommen und VOLLSTÄNDI verbraucht, auch für Löhneüber dem BIP, für höheren Lebensstandard etc-. Das Land hat sein Konto überzogen und das Geld ausgegeben. Die Griechen haben das Geld verbaucht, niemand anders.

  • 16 Dieter 25.07.2015, 10:33 Uhr

    Ich schaue fast regelmäßig diese kritischen Sendungen. Ich frage mich nur, wenn diese Sachen die behauptet werden, alle wahr sind, warum sich die Bürger das von Ihrer Regierung noch gefallen lassen wollen. Es ist doch echt an der Zeit mal darüber nachzudenken, was und wie hier in unserem Staat falsch läuft. Wir alle sollten mal wieder auf den Straßen sagen was falsch ist.

  • 15 mariom 24.07.2015, 23:18 Uhr

    Ich finde die Berichterstattung top, leider viel zu spät am Abend, dadurch können viele kluge Köpfe die arbeiten diese Sendung nicht ansehen und fallen auf falsche Presse rein. Macht weiter so und klärt uns auf, denn ich habe keine Lust mehr auf die lügen der Politiker. Danke

  • 14 M.E.A. 24.07.2015, 19:12 Uhr

    Meine Eltern haben die Kriegs- bzw. Nachkriegszeit als Kinder erlebt. Ich bin Jahrgang 1959, meine Geschwister Jahrgang 1963 bzw. 1964. Wir haben viele Regierungen kommen bzw. gehen sehen und von keiner konnten wir bislang sagen, dass sie ohne Kritikpunkte gewesen wäre. Ich habe letztens einen Beitrag über die Treuhand gesehen und mir kam der Vergleich mit der Eroberung des Westens Amerikas, der ja auch nichts anderes zum Ziel hatte, als Ausbeutung, koste es, was es wolle. Ich bin auch dafür zu sparen, ich kenne es nicht anders, aber ich denke, jeder sollte auch ein würdevolles Dasein haben. Ich hoffe, dass Griechenland ein Überfall der Heuschrecken erspart bleibt und man ihm mit konkreten Hilfeleistungen zur Seite steht, ohne vordergründig im Blick zu haben, wie sich das "Tafelsilber" am besten verscherbeln lässt"!

  • 13 christa 24.07.2015, 18:21 Uhr

    Wir haben keine Opposition mehr ausser den Linken.Die meisten der deutschen Medien sind auf Bildniveau gesunken,siehe Ukraine oder Griechenlandkrise.Es ist kein Wunder dass sich viele von dieser Art der Berichterstattung abwenden oder nicht mehr zur Wahl gehen.In den Talkshows nur noch Stammtischgeplärre der Politiker.Da ist Monitor ein Lichtblick in diesem Mediensumpf.Bleiben sie kritisch und lassen sie sich von nichts und niemanden einschüchtern.

  • 12 H.Ewerth 24.07.2015, 16:17 Uhr

    Wer kommt wieder so Oberlehrerhaft daher? die welche selber einmal nur dank internationaler Gläubiger wirtschaftlich auf die Beine gekommen sind. Hätte man von Deutschland bei der Londoner Schuldenkonferenz 1953, genau das gleiche von Deutschland verlangt, was man heute von Griechenland verlangt, wären wir Deutschen, wenn nicht ausgewandert in Europa wo? Was hat Griechenland verbrochen, dass schlimmer war, als das was Deutschland mit zwei Weltkriegen verbrochen hatte, dass man aber Griechenland die Hilfe verweigert, den letzteren Deutschland großzügig einen Schuldenschnitt, Umstrukturierung der Schulden, sowie Marshallplan gewährte? Hier geht es um ganz was anderes. Eine linke Regierung durfte und darf in Europa keinen Erfolg haben.

  • 11 Millie 24.07.2015, 12:34 Uhr

    Wenn ichs recht bedenke... das Geschimpfe der Griechen auf die Deutschen geht mir mal so richtig auf den Senkel. Wo und wodurch entstand denn der miserable Zustand? wieso setzt sich "der Grieche" auf ein hohes Roß, wenn ihm doch durch die europäischen Nachbarn finanziell geholfen wurde. Und dann sinkt man noch tiefer in den Schuldenmorast, daß die fällige Rate nicht zurückbezahlt werden kann (oder will?) Für die Bevölkerung ist das alles sehr schwer hinzunehmen und auszuhalten. Aber sie haben immerhin jahrelang von gleichgültigen und verantwortungslosen Politikern profitiert. Jetzt kommt der Einschnitt umso härter. Warum wurde nicht das Angebot der Schweiz akzeptiert, wonach Steuern auf die eingefrorenen griechischen Konten abgeführt werden konnten. Warum sanktioniert Griechenland nicht die reichen Griechen, die im Lande leben und ihr Geld ins Ausland transferiert haben. Warum wird Portugal z.B. mal besonders hervorgehoben für die immensen Anstrengungen, seine Finanzen ins Rein ...

  • 10 Daniel Becker 24.07.2015, 12:33 Uhr

    Liebe Brigitte Wesely, sie stellen zum Schluss ihres etwas platten Kommentars genau die richtige Frage: Wo ist das Geld geblieben? Nicht in Griechenland - jedenfalls nicht zu mehr als 10% des Gesamtbetrages. Der allergrösste Teil ging an die Gläubiger und die sitzen - Überraschung - zu einem großen Teil bei uns. Es wird also nicht Griechenland gerettet, wie so vollmundig behauptet wird, sondern deren Gläubiger. Und das sind, die, die wir kurz vorher schon mal raushauen mussten. Die lieben Banken und Finanzunternehmen. Jetzt sind sie baff, was? Und ihr Vergleich mit dem überzogenen Konto hinkt doch sehr arg. Es gibt extreme Unterschiede zw. einem Land und einer Person. Ein Land kann z.B. nicht sterben und die Schulden der Vorgängerregierung - anders als mögliche Erben - nicht ablehnen. Wenn also irgendjemand ihrer Vorfahren verkackt hat, haften alle Nachkommen dafür. Ein weitere Punkt ist, dass ein Land dafür sorgen muss, dass es eine gute Infrastruktur für die Menschen und ...

  • 9 Helmut Fritz 24.07.2015, 12:01 Uhr

    Vielen Dank für diese aus dem allgemeinen, einseitigen Nachrichten-Einheitsbrei herausragenden Informationen. Als langjähriger Leser der Nachdenkseiten bin ich immer auf der Suche nach der Rückseite des Spiegels. Unsere regierenden "Eliten" entlarven sich ständig selber. Es gibt aber viel zu wenige Medien, die darüber speziell oder überhaupt noch kritisch berichten. Umfragen zufolge scheint ja die Mehrheit der deutschen Bevölkerung mit diesen Machenschaften und den sie betreibenden Politiker einverstanden zu sein - sofern diese Umfragen nicht ebenfalls manipuliert sind.

  • 8 Kurt 24.07.2015, 03:55 Uhr

    Es wäre alles so schön gäbe es da nicht den Euro. Hätte Griechenland nicht den Euro hätten wir jetzt nicht diese Probleme. Ohne einen Grexit wird Griechenlands Wirtschaft nie mehr auf die Beine kommen. Die Griechen wurden erpresst , schade das sie nicht bei Ihnem NEIN geblieben sind.

  • 7 Maria 23.07.2015, 23:14 Uhr

    Tsipras ist angetreten, um europaweit andere Politik umzusetzen. Die konservaten, korrupten Regierungen, die leider europaweit die Macht haben, denken nur wirtschaftlich und im Sinne der Banken. Der kleine Mann und auch der Mittelstand bleiben auf der Strecke. TTIP ist auch so ein Beispiel: Gabriel redet national seiner Partei nach dem Mund und im internationalen Kreis verkündet er genau das Gegenteil. Da darf man sich nicht wundern, wenn die Bürger keine Lust mehr auf Wahlen haben und die Presse, die diese Politik zu 90% unterstützt, als Lügenpresse hinstellt.

  • 6 Brigitte Wesely 23.07.2015, 23:00 Uhr

    Sehr geehrter Herr Stephan Stuchlik und Jochen Leufgens. Mit Verwunderung bin ich Ihre Berichterstattung über die Griechenland Problematik gefolgt. Ihrer Darstellung kann ich nicht zustimmen. 19 Euro Länder haben entschieden und nicht Deutschland alleine. Mit falschen Zahlen hat sich Griechenland die Mitgliedschaft erschlichen. Danach 5 Jahre nur Versprechungen gemacht und Geld kassiert. Einmal muss Schluss sein. Und das Fass ohne Boden muss ein Ende haben. Und nun unsere Regierung als die Bösen hin zu stellen ist nicht richtig. Wenn ein Privat oder Geschäftsmann sein Banklimit überzogen hat bekommt er auch kein Geld mehr und muss Insolvenz anmelden. Die Reformen müssen sein. Ich und viele Deutsche Bürger finden sie richtig was ihnen eine Umfrage bestätigen würde. Also berichten sie nicht einseitig sondern fragen einmal nach wo sind die vielen Milliarden geblieben für die selbst unsere Enkelkinder noch haften müssen. Mit freundlichen Grüßen Brigitte Wesely

  • 5 Thomas 23.07.2015, 22:26 Uhr

    wie hoch sind die schulden deutschlands noch mal ?

  • 4 Hubert 23.07.2015, 22:21 Uhr

    Und wie sind die Griechen zu den Schulden gekommen ??? Darüber sollte man auch mal nachdenken !!!

  • 3 Friedrich Maurer 23.07.2015, 22:16 Uhr

    Ich finde ihre Sendung zum Thema Griechenland sehr sehr gut, aber leider leider viel zu späth. Die Griechen wären ihnen dafür vor Wochen dankbar gewesen. Aber zu diesem Zeitpunkt war es ja nicht oportun. Arme Medienpolitik sag ich nur!!!

  • 2 Elisabeth 23.07.2015, 22:14 Uhr

    Danke für diese Sendung. Endlich mal auch eine deutsche Sendung die das Kind beim Namen nennt.

  • 1 A.E. 23.07.2015, 22:05 Uhr

    Der Vergleich hinkt. Griechenland hat ca. 300 Mrd € Schulden bei ausländischen Gläubigern. Da darf man erwarten, dass sich Griechenland mehr anstrengt und endlich Steuen gezahlt werden. Am liebsten auch mehr als in anderen Ländern, um zumindest einen Teil der Schulden zurückzuzahlen.