Bericht: Stephan Stuchlik, Jochen Leufgens
Georg Restle: „Ja, Griechenland. Da haben ja einige Regierungspolitiker in den letzten Wochen den Mund ziemlich voll genommen. Die griechische Regierung solle jetzt gefälligst ihre Hausaufgaben machen und die Forderungsliste der Gläubiger schleunigst umsetzen. Kommt gut an bei den Wählern. Ist nur ziemlich schizophren. Denn vieles, was da jetzt von der griechischen Regierung so entschieden gefordert wird, haben die gleichen Politiker im eigenen Land stets vehement bekämpft. Frei nach der Goldenen Regel: Was du nicht willst, was man dir tu, das füge jetzt den Griechen zu! Stephan Stuchlik und Jochen Leufgens helfen dem Gedächtnis so einiger Regierungspolitiker jetzt mal auf die Sprünge.“
12. Juli nachts: Showdown in Brüssel. Die deutsche Kanzlerin unter Druck. Ihre Regierungsparteien fordern hartes Durchgreifen gegen „diese Griechen“.
Horst Seehofer: „Griechenland muss liefern. Solidarität gegen Reformen.“
Wolfgang Schäuble: „Wenn man im Euro bleiben will, muss man die Voraussetzungen dafür schaffen.“
Manfred Weber: „Macht eure Hausaufgaben in Griechenland!“
Und so diktiert hinter diesen Fenstern der Rat der Europäischen Union den Griechen ihre Hausaufgaben. Fach: Politik. Das Pflichtenheft: Rentenkürzung, Privatisierung, Lockerung des Kündigungsschutzes.
Selbst kleinste Details werden seit Juni von den Griechen gefordert: Bootsbesteuerungen, Liberalisierung des Fährverkehrs und - Erhöhung der Mehrwertsteuer für Hotels.
Hotelsteuer? Da war doch mal was. Aber erst mal das Forderungspapier: Griechenland soll ein neues Steuersystem einführen, Hotels zukünftig mit 13 Prozent besteuern. So steigt also in Griechenland die Hotelsteuer von 6,5 auf 13 Prozent. Ein Blick zurück: In Deutschland hat man die Steuer von 19 auf 7 Prozent gesenkt. Argument: Wirtschaftsförderung. Und - wer war nochmal für diese Maßnahme?
Wolfgang Schäuble: „Man kann im Ernst nicht bestreiten, dass im Beherbergungsbereich die Gastronomie sich in einem Wettbewerb mit Anbietern befindet, die geringere Mehrwertsteuersätze in Europa und darüber hinaus haben und deswegen schlagen wir‘s vor!“
Horst Seehofer: „Und, meine Damen und Herren, das ist ein ganz wichtiger Beitrag für Konsum und Investition in dieser Wirtschaftskrise.“
Wir lernen: Krise ist nicht gleich Krise. Und was für Deutschland Recht ist, muss für Griechenland noch lange nicht billig sein.
Gilt auch für eine andere Forderung, den verkaufsoffenen Sonntag. Denn im Forderungskatalog der Gläubiger steht, Griechenland müsse seinen Sonntagsverkauf vollständig liberalisieren. Heißt, der Sonntagsschutz würde komplett gestrichen. Bei uns ist davon keine Rede, der Sonntagsschutz bleibt - natürlich. Denn jeder, der an dieser Regel rüttelt, stellt in Deutschland gleich das christliche Abendland in Frage. Ob Griechenland zu diesem Abendland gehört, scheint noch nicht abschließend festzustehen. Und deshalb forderten Gewerkschaften wie Regierungspolitiker: Der Sonntag muss heilig bleiben. Nein, natürlich nicht in Griechenland, sondern in Deutschland.
Hartmut Schauerte: „Ich möchte dem Sonntag den höchstmöglichen gesetzlichen Schutz angedeihen lassen.“
Hermann Gröhe: „Sonntagsschutz muss zu einer christlichen Politik gehören.
Michael Müller: „Am Schutz des Sonntages wird nicht gerüttelt.“
Gleiches Spiel beim Thema Agrardiesel. Die Institutionen fordern von Griechenland, ab 2016 sämtliche Zuschüsse für den Bauernsprit zu streichen, die Subventionen sollen auf null sinken. In Deutschland gibt der Staat den Bauern weiterhin 21 Cent pro Liter dazu, schenkt ihnen fast die Hälfte der Gesamtsteuer. Als man in Deutschland 2009 versuchte, diesen Zuschuss zu streichen - so wie man das jetzt von Griechenland fordert - gab es einen Aufstand. Tausende von Bauern blockierten den Verkehr, und deutsche Politiker hielten Reden, als seien sie aus der Syriza-Fraktion.
Heinz-Peter Haustein: „Ja, es stimmt: wir subventionieren den Agrardiesel.“
Rainer Erdel: „Wir stärken die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, indem wir auf eine Besteuerung von Diesel verzichten.“
Heinz-Peter Haustein: „Das ist richtig, weil ein Bauernhof, der Gewinne macht, besser ist als einer, der es nicht mehr schafft.“
Die Brüsseler Nacht und ihre Lehre. Richtig kann ganz schnell falsch sein - wenn es nur der Falsche sagt. Aber ohnehin: Wer braucht schon Argumente, wenn er auch laut sein kann?
Manfred Weber: „Macht eure Hausaufgaben in Griechenland!“
Kommentare zum Thema
Liebes Monitorteam, ein ganz dickes Lob für Ihre Sendung vom 23.7.. Kritischer und informativer Journalismus in außergewöhnlicher und - inzwischen leider ungewohnter - Qualität und Klarheit! Die Sendung war von Anfang bis Ende spannend. Davon brauchen wir mehr. Lassen Sie sich nicht beirren - bleiben Sie dran! Das Sehen der Monitor-Sendungen wird für mich ab jetzt zum Pflichtprogramm. Ich kann mich übrigens noch an die Monitor-Sendungen in meiner Jugend erinnern. Das Sendeformat ist sich treu geblieben.
Jetzt fordert der ehemalige Finanzminister Virufakis plötzlich doch den Grexit. Als Schäuble das tat, waren wir gleich die Oberbuhmänner und Europakiller. Warum darf das der eine und der andere nicht? Antwort: Quid licet Bovi, non licet Jovi!! Aber das war doch mal anders, oder?
Daniel Becker: Wenn ich Kommenatre wie den ihrigen lese, dann denke ich, Grundkenntnisse in Ökonomie sollten in der Schule unbedingt vermittelt werden müssen. Griechenland hat seine riesigen Schulden und Kredite (über eine halbe Billion eingerechnet ELAs ,Targets) o hne Zwang aufgenommen und VOLLSTÄNDI verbraucht, auch für Löhneüber dem BIP, für höheren Lebensstandard etc-. Das Land hat sein Konto überzogen und das Geld ausgegeben. Die Griechen haben das Geld verbaucht, niemand anders.