MONITOR vom 27.06.2019

Noch immer unterschätzt? Rechte Terrorstrukturen in Deutschland

Bericht: Jochen Taßler, Stephan Stuchlik, Julia Regis, Lara Straatmann, Nadia Aboulwafi

Noch immer unterschätzt? Rechte Terrorstrukturen in Deutschland Monitor 27.06.2019 09:33 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Jochen Taßler, Stephan Stuchlik, Julia Regis, Lara Straatmann, Nadia Aboulwafi

Kommentare zum Thema, weiterführende Links und der Beitragstext als PDF

Georg Restle: „Und damit zu dem großen politischen Thema dieser Tage. Wie gefährlich ist der Rechtsterrorismus im Land? Oder anders gefragt, wo hört Extremismus eigentlich auf und fängt Terrorismus an? Eine Frage, die immer schwerer zu beantworten ist, weil die Grenzen verschwimmen in einer Szene, die sich seit Jahren immer stärker radikalisiert. Umsturzpläne, Gewaltfantasien, sogar Attentatspläne gehören da längst zum Repertoire. Man fühlt eine neue Stärke; fühlt sich getragen von einer gesellschaftlichen Stimmung, die der AfD im Osten des Landes gerade traumhafte Umfragewerte beschert. Die neonazistische Szene zieht daraus jede Menge Hoffnung; und das galt offensichtlich auch für den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke.“

Ostritz in Sachsen - letztes Wochenende. Das sogenannte „Schild und Schwert”-Festival. Ein Treffen von Neonazis für Neonazis. Rechte Bands und rechte Gesinnung, offen zur Schau gestellt. Die 88 etwa - für Heil Hitler. Veranstalter des Festivals ist Thorsten Heise. Rechtsrock-Produzent und stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD. Ihn dürfte das große Medieninteresse freuen. Nach dem Mord an Walter Lübcke sind besonders viele Kameras da. Thema sei der Mord hier aber nicht, sagt Heise. Den mutmaßlichen Mörder, Stephan E., kenne er nicht.

Thorsten Heise (NPD): „Der Name sagt mir nichts. Gesicht habe ich mir angeschaut, hab ich aber auch nur schlechte Fotos gesehen, von den Medien. Sagt mir auch nichts. Kann es aber auch nicht ausschließen.”

Heise gibt sich harmlos. Aber Szene-Kenner und auch Sicherheitsbehörden sehen ihn als einen der führenden deutschen Neonazis. Hier in Ostritz trifft sich auch eine gewaltbereite Szene. Gruppen wie „Combat 18“. Den Namen tragen hier einige auf der Haut. Das Combat-18-Symbol, einen Drachen, sehen wir auf T-Shirts. In anderen Ländern gilt „Combat 18“ als terroristische Neonazi-Organisation. Der Name steht für „Kampfgruppe Adolf Hitler“. Gegründet wurde die Organisation Anfang der 90er Jahre in England. In etlichen Ländern hat „Combat 18“ seitdem Gewaltverbrechen verübt. Und auch in Deutschland haben einzelne Mitglieder schwere Straftaten begangen. Parlamentarier halten die Gruppe für extrem gefährlich.

Martina Renner (Die Linke), Mitglied des Bundestages, Innenausschuss: „Combat 18 ist eine klandestine Organisation. Sie ist bewaffnet, sie ist grenzüberschreitend und sie ist hierarchisch strukturiert. Sie bereitet sich auf Attentate vor durch Besitz oder Erwerb von Schusswaffen, durch Training.”

Im Umfeld der Neonazi-Band „Oidoxie” aus Dortmund entstanden die ersten „Combat 18“-Gruppen in Deutschland. Das war das Milieu, in dem auch der mutmaßliche Mörder Stephan E. unterwegs war. Fotos zeigen ihn 2002 etwa mit Stanley Röske, einem Kasseler Neonazi, der als Führungsfigur von „Combat 18“ in Deutschland gilt. Bis 2009 war Stephan E. ein notorischer, ausländerfeindlicher Straftäter. Danach wurde er nicht mehr straffällig. In diesem Haus bei Kassel lebte er offenbar ruhig und zurückgezogen. Hatte er sich entradikalisiert? Oder hielt er sich nur im Hintergrund? Klar ist nur, Stephan E. hat gestanden, Anfang Juni den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet zu haben. Offenbar, weil ihm die flüchtlingsfreundliche Politik Lübckes nicht passte. Ein politischer Mord. Nach neuen Erkenntnissen taucht der Mittelsmann, der Stephan E. bei der Beschaffung von Waffen geholfen haben soll, bereits als Zeuge in den Akten zum Nationalsozialistischen Untergrund auf. Der NSU hatte zwischen 2000 und 2007 10 Menschen ermordet. Das Terror-Trio agierte aus dem Untergrund, konnte sich aber offenbar auf einen breiten Unterstützerkreis verlassen. Für zentral halten Ermittler dabei das inzwischen verbotene, rechtsextreme Netzwerk „Blood and Honour”. „Combat 18“ gilt als ihr bewaffneter Arm.

Martina Renner (Die Linke), Mitglied des Bundestages, Innenausschuss: „Wenn wir uns fragen, wer kann an den konkreten Tatorten des NSU möglicherweise Beihilfe geleistet haben, Opfer ausspioniert haben, Fluchtwege klargemacht haben und ähnliches mehr. Auch Waffenbeschaffung spielt in dem Zusammenhang eine Rolle. Ich glaube, dann muss man auf „Combat 18“ schauen.”

Wie steht die rechtsextreme Szene heute zu rechtem Terror? Veranstalter Thorsten Heise verurteilt den Mord öffentlichkeitswirksam vor den Kameras.

Thorsten Heise (NPD): „Da hat jemand ein Menschenleben ausgelöscht. Etwas, das nicht funktioniert. Ich bin ein absoluter Gegner von irgendetwas, das mit Waffengewalt passiert.”

Klingt wie eine Distanzierung. Aber ist die auch glaubwürdig? Heise ist mehrfach vorbestraft, auch wegen Gewaltdelikten. Und auf extrem rechten Events von ihm, aber auch von anderen Veranstaltern sind Gewalttäter und Rechtsextreme mit Terrorkontakten regelmäßig willkommen. Katja Kaiser zum Beispiel. Pegida-Aktivistin und Freundin eines verurteilten Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“. Einer weiteren rechten Terrorgruppe, die unter anderem Sprengstoffanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübte. Zu einem rechten Kampfsport-Event kommt im Juni 2019 Eric Fröhlich. Laut Verfassungsschutz hatte er Kontakt zum verurteilten NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben. Beim „Rock gegen Überfremdung” 2017 war auch André Eminger dabei. Er gilt als einer der treuesten Unterstützer des NSU. Eminger half dem Trio mit Unterkünften. Er gab Beate Zschäpe den Ausweis seiner Frau und versuchte, ihr zur Flucht zu verhelfen. Er wurde wegen Unterstützung des NSU verurteilt. Und auch Thorsten Heise selbst hatte offenbar Kontakt zum Umfeld des NSU. Sein Name steht auf einer BKA-Liste mit bestätigten NSU-Kontakten. Gleichzeitig gilt Heise aber auch als gut vernetzt in die Politik. Medien berichten über eine enge Beziehung zu Björn Höcke, dem Chef des völkischen Flügels der AfD. Heise sagt, er kenne Höcke nur flüchtig.

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Thorsten Heise übernimmt eine Brückenfunktion vom parlamentarischen Rechtsradikalismus bis hin zum terroraffinen, subkulturellen Neonazismus, dem militanten Rechtsextremismus. Er ist extrem gut vernetzt in beide Bereiche und ist sozusagen eine Frontfigur.“

Der Erfolg der AfD ist für Heise auch eine Folge langjähriger Vorarbeit durch seine NPD.

Thorsten Heise (NPD): „Ich glaube, dass wir viel vorbereitet haben mit unseren Zeitungen, unserem fleißigen Verteilen von Zeitungen, mit der Zeit im sächsischen und mecklenburgischen Landtag. Und dass da jetzt natürlich die AfD durchaus auch Früchte generiert, wo wir den Samen in den Boden gesteckt haben. Letztendlich sehe ich es mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich glaube, dass die AfD die Kraft ist, die sich viele Deutsche erträumt haben.”

Auch der mutmaßliche Mörder Stephan E. fühlte sich der AfD offenbar nah. Im Wahlkampf 2016 soll er der Partei 150,- Euro gespendet haben, verbunden mit dem Gruß „Gott segne euch”. Eine MONITOR-Anfrage dazu ließ die AfD unbeantwortet. Dass die AfD umgekehrt wenig Berührungsängste in Richtung der extremen Rechten hat, demonstriert gerade Björn Höcke regelmäßig. Ältere Aufnahmen zeigen ihn auf einer Demo von Rechtsextremen. Höcke sagt, er habe sich damals nur ein Bild machen wollen. In seiner Rhetorik beschwört Höcke aber immer wieder einen revolutionären Umsturz, von dem auch die extreme Rechte träumt.

Björn Höcke 17.06.2018 Mödlareuth: „In dieser Lage ist Mut und Wut und Renitenz und ziviler Ungehorsam die erste Bürgerpflicht! Holen wir uns unser Land zurück!”

Björn Höcke, 03.06.2018: „… denn wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht.“

Wie sehr sich die rechten Szenen inzwischen vermischen, haben die Demonstrationen und Krawalle in Chemnitz 2018 gezeigt. Hinter der AfD versammelten sich Vertreter verschiedenster rechtsradikaler Strömungen. Hooligans, Kameradschaften, rechte Kampfsportler, extrem rechte Kleinstparteien genauso wie Vertreter der sogenannten Neuen Rechten, etwa der Identitären. Ein Schulterschluss, den Experten für gefährlich halten.

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Das gewaltaffine Neonazimilieu nimmt Impulse aus dem rechtsradikalen Parlamentarismus, aus der AfD sehr sensibel wahr. Sie nehmen wahr, dass sie obenauf sind, dass sie im Aufwind sind und fühlen sich berechtigt, als Vollstrecker einer angeblichen Mehrheitsmeinung jetzt vorzugehen.“

So war es offenbar auch bei „Revolution Chemnitz”, einer weiteren mutmaßlich rechtsterroristischen Gruppierung, gegen die die Bundesanwaltschaft jetzt Anklage erhoben hat. Im September 2018 griffen Mitglieder bei einem „Probelauf” Ausländer an. Die Ermittler gehen davon aus, dass sie auch bewaffnete Anschläge planten. Einige der Mitglieder von „Revolution Chemnitz” waren auch auf den Demonstrationen in Chemnitz. Kollegen von WDR, NDR und SZ konnten Ermittlungsakten und interne Chats einsehen. Demnach fühlte sich die Gruppe von den Ereignissen in Chemnitz ermutigt und sah die Zeit reif für einen Umsturz.

Matthias Quent, Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft: „Wir müssen diese Gefährdung als das, was sie ist, ernst nehmen, nämlich ein Angriff auf unser Zusammenleben, auf unser Wertesystem, auf unser Grundgesetz insgesamt. Und dieser Angriff ist im Moment so brachial und so stark, wie noch nie vorher in der Geschichte der Bundesrepublik.“

Georg Restle: „Was also tun? Verbieten, verfolgen, einsperren? Ja, für Terroristen und Straftäter gibt es dazu wohl keine Alternative. Aber genauso wichtig wäre es, diesen Leuten klar zu machen, dass es für ihre nationalistischen Umsturzphantasien keinerlei Mehrheiten gibt. Und zwar nirgendwo in diesem Land.“

Kommentare zum Thema

  • Reiner 02.07.2019, 21:56 Uhr

    Nach 1945 sind die Nationalsozialisten nicht einfach tot umgefallen. Sie haben sich förmlich in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet und haben als "unbescholtene Bürger" einfach im neuen freiheitlich demokratischen Staat weitergemacht und ihre dunkle Ideologie versteckt weitergelebt. Sie haben Kinder auf die Welt gebracht und auch ihr Gedankengut vererbt. Die Menschen hatten über 70 Jahre Zeit, um zu zeigen, dass sie etwas aus der Vergangenheit gelernt haben. Das erschreckende Ergebnis kann man nicht ableugnen! In Funktionen, Behörden und Politik haben diese Menschen mitgewirkt - eine politische Aufarbeitung innerhalb staatlicher Stellen erfolgt gerade recht spät! Ich möchte nicht wissen, wer früher an schlimmsten Verbrechen mitgewirkt hat und anschließend am Aufbau dieses Landes mit beteiligt war. Das Problem derzeit ist, dass die Demokratie den Menschen keine gesicherte Zukunft, noch Rückhalt bietet. Beispiel: Hartz IV! Es wird eine aufschlussreiche Zeit bis 2033 sein!!!

  • Ulrike 02.07.2019, 10:39 Uhr

    zu Martin,mal ehrlich ein zerstörtes Plakat und eine zerstörte Scheibe der AfD ? Sie meinten sicherlich hunderte zerstörte Plakate und Scheiben der AfD !Allein ein Bürgerbüro der AfD in Leipzig traf es schon 30 mal ! Das letzte mal wurden gleich die Scheiben im Umkreis von 50 m zerstört bzw. beschädigt.Das war mit Sicherheit kein Polenböller mehr? Der Abgeordnete der AfD war im Büro und wurde verletzt.Auch das legen von Bränden ist nicht harmlos?Wenn aber Funktionäre und Parteimitglieder der AfD Krankenhaus- reif geschlagen werden oder ins Koma wie ein Mitglied der AfD Jugend hört der Spaß aber auf !Es gibt Mordaufrufe gegen Politiker der AfD im Internet inkl. Video wie man es macht von Linksextremisten usw. Wenn ich schreibe Auskunft der Bundesregierung auf kleine Anfrage ist die Quelle doch klar (Bundestag)! Selber haben Sie bei Wikipedia abgeschrieben ! Sie sollten linksextremistische Gewalt nicht verharmlosen auch deren Morde 65 !Es gibt 31.000 Linksextremisten in Deutschland.

  • Anonym 01.07.2019, 07:19 Uhr

    Ich denke wir alle wissen das der Nationasozialismus nicht tot und ich glaube er war nie tot und das zeigt uns wie tief er verankert ist bei den Rechtsradikalen, ob Amri oder der NSU sie haben eine Blutige Spur durch Deutschland gezogen ich frage mich wie konnte das geschehen wo waren die Sicherheitskräfte und wie konnte es sein das unsere Politik so versagte, wir fragen uns immer wieder sind es einzeltäter oder ist es eine Gruppe ich glaube beides, aber ich bin davon überzeugt das diese von Drahtziehern gesteuert werden und das könnte es sein was die Politik nicht war haben will denn schon lange ist es bekannt das in der Polizei und beim Militär der Rechtsradikalismus zu finden ist da stellt sich die frage wo sind die Rechten noch Aktiv und da sehe ich ein einen großen Handlungsbedarf der Sicherheitskräfte daran zu Arbeiten wer könnte soetwas steuern, der kleine Mann mit sicherheit nicht. r.wolff