MONITOR Nr. 671 vom 15.01.2015

Krieg gegen den IS: Wo Deutschlands Waffen wirklich landen

Bericht: Marc Thörner, Markus Zeidler, Philipp Jahn

Krieg gegen den IS: Wo Deutschlands Waffen wirklich landen

Monitor 15.01.2015 08:35 Min. Verfügbar bis 15.01.2099 Das Erste

Georg Restle: „Dass junge Männer zu Terroristen werden, hat ganz sicher auch mit dem Krieg in Syrien und im Nordirak zu tun. Der Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, er wird seit einigen Monaten ganz offiziell auch mit deutschen Waffen geführt. Waffen, die an die kurdischen Peschmerga-Milizen geliefert wurden, eine zuverlässige und hochmotivierte Truppe. Das jedenfalls erzählt uns die Bundesverteidigungsministerin. Aber wer kämpft da eigentlich mit deutschen Waffen? Sind es wirklich nur tapfere Freiheitskämpfer? Und hat die Bundesregierung überhaupt irgendeine Ahnung davon, wo diese Waffen sich gerade befinden? Recherchen von Mark Törner und Markus Zeidler, die zeigen, dass es eben nicht so einfach ist, mit dem Gut und Böse, dem Schwarz und Weiß. Schon gar nicht im Krieg.”

Stifte als Mahnmal und Symbol für die Pressefreiheit - am Grab eines Journalisten. Nein, das ist nicht Frankreich. Wir sind im kurdischen Nordirak und dieses Grab gibt es so schon seit über einem Jahr. Auch Kawa Garmyani wurde ermordet. Auch er hatte Artikel geschrieben, die anderen nicht passten. Hier im Reich der Peschmerga; Deutschlands Partner im Kampf gegen den IS. Der Bruder nimmt uns zum Haus des ermordeten Journalisten mit. Draußen hätten Leute nach ihm gerufen, Kawa sei in den Hof gegangen, um zu schauen.

Bruder des Journalisten (Übersetzung MONITOR): „Von hier hatte der Mann sein Gewehr auf Kawa gerichtet und ihn sofort erschossen.“

Der Bruder zeigt uns die Einschusslöcher. Kawas Witwe war mit Amad schwanger, als ihr Mann im Kugelhagel starb. Für sie ist klar, wer verantwortlich ist für den Mord.

Witwe des Journalisten (Übersetzung MONITOR) : „In seinen Artikeln kritisierte er meist die, die uns regieren, ihre Macht aber nur für ihre eigenen Interessen nutzen. Der Artikel, der später zur Bedrohung für ihn wurde, war ein Artikel über Mahmud Sangawi, ein Mitglied des Politbüros der Patriotischen Union Kurdistans. Mahmud Sangawi hat ihn am Telefon beschimpft und gedroht, ihn zu töten.“

Mahmud Sangawi. Einer der ganz Mächtigen im Land. Hochrangiger Parteifunktionär. Und: General bei den Peschmerga. Sangawi bestreitet, für den Mord verantwortlich zu sein. Doch der Journalist Kawa Garmyani machte eine Tonaufnahme, als der General bei ihm anrief. Die ist bis heute im Internet.

Internetvideo (Übersetzung MONITOR): „Wenn die Zeitschrift morgen veröffentlicht wird, stecke ich deinen Kopf ins Grab deines Vaters, du Huren-Sohn!“

Drohungen eines Peschmerga-Generals. Peschmerga - das sind die kurdischen Milizen, die die Bundeswehr seit letztem Herbst mit Waffen ausrüstet und ausbildet. Für den Kampf der Kurden gegen die Terroreinheiten des sogenannten Islamischen Staates. Waffen für eine Kriegspartei, ein Tabubruch der deutschen Außenpolitik. Die Verteidigungsministerin nutzt seither jede Chance, den zu rechtfertigen.

Ursula von der Leyen, Bundesverteidigungsministerin, 17.12.2014: „Wir haben gute Erfahrungen mit den Peschmerga gemacht. Sie sind zuverlässig, sie sind motiviert. Aber sie brauchen eine gute Ausrüstung und sie brauchen eben auch eine gute Ausbildung.“

Ein Peschmerga-General unter Verdacht des politischen Mordes? Hat auch er deutsche Waffen bekommen? Wir machen uns auf den Weg zum Frontabschnitt des Generals. Südlich von Suleymania empfangen uns kurdische Kämpfer. Zurzeit ist es hier ruhig. Zeit genug, die Stellungen auszubauen. Und Zeit genug hierfür: Stolz präsentieren sie uns die deutschen Sturmgewehre; eben erst angekommen. Neben den Kämpfern - Männer in Anzügen. Sie geben hier die Befehle. Es sind Partei-Funktionäre. Sie gehören zu einem der beiden rivalisierenden Partei-Clans, die in Kurdistan das Sagen haben. General Sangawi gehört zur Führungsclique dieses Clans.

Joost Hiltermann, International Crisis Group (Übersetzung MONITOR): „Die Peschmerga als einheitliche Armee gibt es nicht. Die Truppen sind zwar im Peschmerga-Ministerium vereint worden, tatsächlich jedoch sind sie ihren jeweiligen Parteien unterstellt. Parteien, die sich bis in die 90er bekriegt haben. Die politischen Konflikte wurden bis heute nicht gelöst.“

Ein Konflikt, der nach dem gemeinsamen Kampf gegen den IS wieder aufbrechen könnte, dann aber mit deutschen Waffen. Donatella Rovera von Amnesty International zeigt uns Bilder von ihren Besuchen an der Front. Hier ist sie in dem Dorf Barsanke, kurz nach der Rückeroberung durch die kurdischen Peschmerga. Einwohner findet Rovera nirgends. Die sind geflohen. In Barzanke lebten Araber, nicht Kurden. Die Krisenbeauftragte von Amnesty International erhebt schwere Vorwürfe gegen die Peschmerga.

Donatella Rovera, Amnesty International (Übersetzung MONITOR): „Nahezu jedes einzelne Haus war zerstört. Und es ist ganz offensichtlich, dass das nicht während der Kämpfe passierte. Diese Häuser wurden vielmehr von den Peschmerga-Kämpfern mit Absicht zerstört. Nachdem der IS das Dorf längst verlassen hatte.“

In einem anderen Ort beobachtet Rovera, dass nur kurdische Bewohner zurückgekommen waren. Man sagte ihr, dass die Araber nicht mehr willkommen seien. Sie spricht mit vielen Peschmerga; auch einem Kommandeur.

Donatella Rovera, Amnesty International (Übersetzung MONITOR): „Er sagte zynisch: Das war früher ein kurdisches Dorf, bevor Saddam Hussein dort Araber angesiedelt hat. Wir holen uns nur zurück, was uns einst ohnehin gehörte.”

Ethnische Säuberungen durch Deutschlands Verbündete? Bisher sind es Einzelfälle, die diesen Verdacht nähren. Und offiziell soll es eine Anweisung an die Peschmerga geben, Racheakte zu verhindern. Ein Übungsplatz der Peschmerga nahe Erbil. Hier zeigt die Bundeswehr den Kurden den Umgang mit der Panzerfaust. Wir wollen vom deutschen Presseoffizier wissen, welche kurdischen Einheiten deutsche Waffen bekommen haben. Auch solche, die im Verdacht stehen, arabische Häuser zerstört zu haben?

Torsten Stephan, Bundeswehr-Presseoffizier: „Wir können nicht verfolgen, wo die einzelnen Waffen hingehen. Wir haben die Informationen von unseren Kameraden, Peschmerga bekommen, dass sie einzelne Einheiten wie zum Beispiel jetzt ein neu aufgestelltes hisidische Battalion wohl in Teilen auch ausstatten. Wir wissen auch, dass zum Beispiel die Milan an der Front bereits erfolgreich eingesetzt worden ist. Aber wir haben jetzt nicht Kenntnisse über die einzelnen Battalione oder gar Kompanien, wo jetzt die einzelne Waffe sich befindet. Das können wir nicht.“

Das heißt, die Bundeswehr weiß schon jetzt nicht mehr, bei welchen kurdischen „Kameraden“ ihre Waffen landen. Wir haben eine Verabredung in Erbil. Zwei kurdische Journalisten wollen uns erzählen, was passieren kann, wenn man den Mächtigen im Land in die Quere kommt. Es geht um geheime Foltergefängnisse. Gerüchte darüber gibt es viele. Sie sagen, dass sie selbst darin gefangen waren.

Sherwan Sherwani (Übersetzung MONITOR): „Die Polizisten kamen ohne irgendeinen Gerichtsbeschluss. Ich war in vier verschiedenen Gefängnissen.“

Karzan Karim Muhamed (Übersetzung MONITOR) : „Sie binden einem die Hände und Füße hinter dem Rücken zusammen; prügeln dir auf Kopf und Füße. Sie zwingen dich ewig in gleißendes Licht zu blicken und du musst die Augen immer offen halten.“

Geheime Foltergefängnisse? Die kurdische Autonomieregierung gibt uns dazu keine Antwort. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung fordert Aufklärung.

Christoph Strässer (SPD), Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung: „Wenn sich diese Informationen bewahrheiten - und ich werde das entsprechend mit Anfragen dann untermauern. Wenn sich das herausstellt, dann ist es für mich völlig klar, Geheimgefängnisse, insbesondere Foltergefängnisse sind Einrichtungen, die müssen geschlossen werden. Das ist eine Voraussetzung für eine vernünftige und auch verantwortliche Zusammenarbeit mit einem Staat. Und da finde ich, kann man auch keine Kompromisse schließen.“

Der Peschmerga-General, der dem Journalisten Kawa Garmyani mit Mord gedroht hatte, kam wenige Tage nach unseren Recherchen im Irak in Untersuchungshaft. Die Angst bei den Hinterbliebenen bleibt jedoch wegen solcher Briefe.

Witwe des Journalisten (Übersetzung MONITOR): „Eure laute Stimme ist unser Tod. Wir werden euch nicht verzeihen. Und euch nicht in Ruhe lassen. Ihr werdet genauso wie Kawa enden. Wir schicken euch ins Jenseits.“

Die Zeichen in den Briefen - sie sind eindeutig.

Georg Restle: „Wer Waffen in Kriegsgebiete liefert, ohne zu kontrollieren, wo sie bleiben, der trägt am Ende auch die Mitverantwortung für die Verbrechen, die mit diesen Waffen begangen werden. Auch deshalb sollte sich die Bundesregierung jetzt dringend um Aufklärung der Vorwürfe bemühen.“

Stand: 13.01.2015, 15:26 Uhr