Bericht: Pagonis Pagonakis
Tod in der Polizei-Zelle - Warum starb Oury Jalloh? (12.04.2007)
Monitor. 12.04.2007. 06:53 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste.
Sonia Mikich: "Das sorgte international für Schlagzeilen. Ein Mensch verbrennt bei lebendigem Leibe. Er ist an Händen und Füßen gefesselt, er ruft um Hilfe, keiner kommt. Geschehen auf einem deutschen Polizeirevier. Der Fall Oury Jalloh. Über den MONITOR damals berichtete. Aber wie ging es weiter? Zwei Jahre lang ermittelten die Behörden - irgendwie - und auffallend spät - nämlich jetzt erst kommt es zum Prozess in Dessau. Pagonis Pagonakis stellt neue, bohrende Fragen zu einem außergewöhnlichen Polizei-Skandal."
Auf diesen Tag hat sie mehr als zwei Jahre gewartet. Über 5.000 Kilometer ist Mariama Djambo Jalloh angereist. Aus einem kleinen Dorf in Guinea ins ferne Dessau. Spenden machten es möglich. Sie will dabei sein, wenn am Landgericht der Prozess beginnt, von dem sie sich endlich Aufklärung erhofft. Aufklärung über den grausamen Tod ihres Sohnes.
Oury Jalloh, verbrannt in einer deutschen Polizeizelle, mit 37 Jahren. Er kam aus dem Bürgerkrieg in Sierra Leone. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, vier Jahre lang lebte er als geduldeter Flüchtling in Dessau. Dann der verhängnisvolle 7. Januar 2005. Gegen 8.00 Uhr morgens wird Oury Jalloh auf’s Revier gebracht. Er war volltrunken, soll Frauen belästigt haben. Ein Routinefall, so scheint es, der dann aber außer Kontrolle gerät. Oury Jalloh kommt in die Ausnüchterungszelle, wird genau durchsucht. Er wird an Händen und Füßen mit Handschellen angekettet. Gegen 12.00 Uhr bricht plötzlich ein Feuer aus - in der gefliesten Zelle.
Wie ist das möglich? Die offizielle Erklärung: Oury Jalloh selbst soll die Matratze mit einem Feuerzeug angezündet haben. Alarmsignale aus der Zelle werden nicht ernst genommen. Zweimal schlägt der Rauchmelder an - niemand reagiert rechtzeitig. Oury Jalloh verbrennt. Einer der spektakulärsten Todesfälle der deutschen Polizeigeschichte.
Mariama Djambo Jalloh (Übersetzung MONITOR): "Wenn ich die Polizisten sehe, dann werde ich ihnen sagen, sie sollen mir erklären, warum sie ihn umgebracht haben, anstatt ihn nach Hause zu schicken, was mir recht gewesen wäre. Wenn Oury schlechte Sachen gemacht hätte, hätte man ihn zwar schlagen können, aber nicht verbrennen, töten."
Die Mutter glaubt an Mord. Das wird im Prozess aber nicht verhandelt. Die Polizisten sollen zu spät Rettungsversuche unternommen haben. Der Fall hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Internationale Prozessbeobachter sind nach Dessau gereist. Auch sie können die offizielle Version nicht glauben.
Silas Nknunu, Prozessbeobachter aus Südafrika (Übersetzung MONITOR): "Ich habe noch nie von einer Person gehört, die gefesselt an Armen und Beinen verbrannt ist. Noch nie."
Tod in einer Polizeizelle. Nun sind zwei Beamte angeklagt. Ihnen wird gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung vorgeworfen. Aber ist das die ganze Wahrheit? Was spielte sich alles am Morgen des 7. Januar 2005 in der Polizeiwache Dessau ab?
MONITOR sind beunruhigende Details aus den Ermittlungen bekannt. Erstens: Oury Jallohs Nase war gebrochen. Aber bei der Obduktion wurde dies nicht entdeckt. Die Staatsanwaltschaft lehnte Röntgenaufnahmen ab. Erst bei einer zweiten, von der Nebenklage finanzierten Obduktion wurde der Nasenbeinbruch festgestellt. Wie konnte das übersehen werden? Wurde Oury Jalloh vielleicht misshandelt? Zweitens: Eine mysteriöse Zellenkontrolle. Um 11.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Brandausbruch, waren unbekannte Personen bei Oury Jalloh. Dies wird von der Polizeibeamtin Beate H. detailliert beschrieben. Sie habe das Geräusch des Zellenschlüssels gehört und dass ein Gespräch zwischen Kollegen und Oury Jalloh stattgefunden habe. Durch die Wechselsprechanlage habe sie dies sicher wahrgenommen. Anschließend sei Oury Jalloh aufgeregt und unruhig gewesen. Wer aber war bei ihm?
Regina Götz, Anwältin der Familie Jalloh: "Es ist wirklich rätselhaft, dass diese Kontrolle - diese 11.30-Uhr-Kontrolle taucht in einer einzigen Zeugenaussage auf. Und dann nie mehr. Und dazu kommt, dass diese 11.30-Uhr-Kontrolle nicht im Gewahrsamsbuch vermerkt ist. Es ist schon sehr erstaunlich und natürlich fragt man sich … was ist da passiert?"
Hätten andere Personen, ohne gesehen zu werden, die Zelle aufsuchen können? Erst jetzt wird bekannt: Es gibt noch zwei weitere Seitenzugänge in den Zellentrakt. Konnte jemand also unbemerkt zu Oury Jalloh gelangen? Warum wurde diesen Spuren nicht nachgegangen? Unbeantwortete Fragen noch immer. Nach über zwei Jahren. Ob die Mutter jemals die volle Wahrheit erfahren wird, ist mehr als fraglich. Schließlich müssten Polizisten gegen Polizisten aussagen. Und die belasten sich nicht gern gegenseitig. Sie scheinen sich sicher zu fühlen. Selbst während des Prozesses, in einer Verhandlungspause, unterhält sich einer der Angeklagten mit seinen Kollegen, die danach im Zeugenstand unter Eid aussagen sollen.
Der Prozess Oury Jalloh: Ein Aktenzeichen für die Justiz. Dahinter verbirgt sich das Schicksal eines Menschen, der einen unglaublichen Tod sterben musste. Ein afrikanisches Ritual auf den Stufen einer Polizeiwache in Deutschland. Die Mutter vergießt Wasser an dem Ort, wo ihr Sohn starb, so wie es der Brauch ihrer Heimat will. Das Wasser soll ihrem Sohn im Jenseits zugute kommen. Das Urteil des Landgerichts wird im Sommer erwartet. Wird Mariama Djambo Jalloh dann endlich wissen, warum ihr Sohn sterben musste?
Sonia Mikich: "Oury Jalloh war übrigens der zweite Mensch, der in Dessau umkam. 2002 wurde der 36-jährige Mario Bichtemann betrunken in Zelle 5 eingeliefert und später tot aufgefunden. Ermittlungen eingestellt. Aus Desinteresse und Schlampigkeit? Oder etwa aus Korpsgeist und Kumpanei? Die Innenminister wissen aus ihren internen Statistiken: Fast jeden Monat kommt ein Mensch in einer deutschen Polizei-Zelle um’s Leben. Wie bitte? Gerade bei der Polizei müssen sich alle Menschen immer sicher fühlen. Wenn dennoch Fehler, Übergriffe, Unfälle, Gewaltakte passieren, dann muss schnell und ohne falsche Rücksicht aufgeklärt werden."
Stand: 13.10.2015, 14:40 Uhr