MONITOR vom 21.05.2015
Tausend mal gehört: „Der Minister wollte sich im Interview nicht äußern.“
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KommentierenBericht: Stephan Stuchlik, Thomas Schindler
Tausend mal gehört: „Der Minister wollte sich im Interview nicht äußern.“
Monitor. 21.05.2015. 04:55 Min.. Verfügbar bis 21.05.2099. Das Erste.
Georg Restle: „Ja, und da gibt es noch etwas, das sich in 50 Jahren Monitor geändert hat. Früher stellten sich Politiker wie Franz-Josef Strauß oder Helmut Schmidt noch kritischen Fragen. Heute dagegen gehört ein Satz fast schon zum Standardrepertoire unserer Sendungen: Für ein Interview steht der Minister oder die Ministerin, der Parteivorsitzende oder die Kanzlerin nicht zur Verfügung. Keine Zeit, leider, leider. Vielleicht gibt es aber auch ganz andere Gründe? Deshalb haben wir unseren Kollegen Stephan Stuchlik nach Berlin geschickt mit einer ganz einfachen Frage, warum drücken Sie sich eigentlich, wenn’s kritisch wird?“
Recherche in Berlin - ausnahmsweise in eigener Sache. Warum eigentlich trauen sich immer weniger Politiker vor unsere Kameras?
Reporter: „Innenministerium abgesagt, Umweltministerium abgesagt, Umweltministerium die Zweite, Wirtschaftsministerium, Verteidigungsministerium, usw, usf. Ich frage mich: Warum stellt sich eigentlich keiner der Verantwortlichen mehr unseren kritischen Fragen?“
Erste Station: Reichstagsgebäude: Heute ist Fragestunde im Parlament, eigentlich müsste Sigmar Gabriel da sein. Wenn wir den Minister anfragen, ist die Interviewabsage eigentlich schon sicher, egal ob es um Energiepolitik oder Freihandelsabkommen geht.
Reporter: „Herr Vizekanzler, guten Tag. Gucken Sie, ich habe ja die ganzen Interview-Absagen hier, das ist ja schon ein ganz schöner Packen.“
Sigmar Gabriel: „Von mir haben Sie, glaube ich, keine.“
Reporter: „Doch haben wir auch bekommen. Doch, natürlich, selbstverständlich zu TTIP.“
Sigmar Gabriel: „Also, von mir haben Sie garantiert keine Absage zu einem Interview. Es kann sein, dass ich zu einem Zeitpunkt, wo Sie was von mir wollten, keine Zeit hatte. Und wenn ich finde, dass ihre Fragen einer Antwort bedürfen, dann antworte ich. Und wenn ich den Eindruck habe, Sie wollen mich auf die Rolle nehmen - wie jetzt - dann höre ich irgendwann auf zu antworten. Machen Sie es gut.“
Da geht er hin, der Vize-Kanzler, aber genau betrachtet, sagt uns die ganze Regierungskoalition ab. Standardantwort: keine Zeit. Horst Seehofer macht da keine Ausnahme. Vor einer Woche hatte er Veranstaltungen in München. Und jetzt?
Reporter: „Termingründe wegen Koalitionsgesprächen. Ja, wiederhören.“
So, das war jetzt die definitive Interviewabsage Seehofer aus Termingründen. An Monitor hat’s angeblich nie gelegen.“
Aber so einfach lassen wir uns natürlich auch nicht abschütteln. Bundesratssitzung, da ist Horst Seehofer, der wollte Monitor sogar mal aus Bayern rausschmeißen. Wenn er keine Zeit hat zu sprechen, wir haben Zeit zu warten. Und dann muss es auf einmal schnell gehen, aber immerhin, ein Interview, geht doch.
Reporter: „Stephan Stuchlik von der Redaktion Monitor, hallo. Ich freue mich, Sie zu sehen. Ich habe eine Frage: Warum geben Sie uns eigentlich keine Interviews mehr? Wir haben 2013 angefragt, 2014, 2015?“
Horst Seehofer: „Da müssen Sie so anfragen, dass ich das auch erfahre.“
Reporter: „Sie erfahren das nicht? Das ist ein Problem von ihrer Pressestelle!“
Horst Seehofer: „Ach, die ist aber sehr gut.“
Reporter: „Das ist schön, aber ihre Vorgänger, die haben ja alle bei uns in einem Interview gesessen? Sie hätten wir auch mal ganz gern! Ja, der Franz Josef Strauß, …“
Horst Seehofer: „Also schauen Sie mal, dass ich das auch erfahre, dann werden wir das schon hinkriegen!“
Eine Pressestelle, die unsere Anfragen nicht weiterreicht, das ist mal eine ganz neue Variante! Müssten da nicht Köpfe rollen? Egal, andere sagen sofort zu und haben auch Zeit, das mag vielleicht daran liegen, dass sie nicht regieren. Gregor Gysi von der Linken zum Beispiel.
Gregor Gysi: „Ich kenne viele, die immer sich freuen, wenn Negatives über andere berichtet wird, und wenn dann über sie selbst negativ berichtet wird, sind sie pappe Nase. Aber selbst …“
Reporter: „Würden Sie sich da einschließen?“
Gregor Gysi: „Aber selbstverständlich, volle Kante sogar!“
Reporter: „Ist es möglicherweise so, dass sich der Politikstil geändert hat? Ist es nicht eher so, wenn ich mir das so angucke …“
Gregor Gysi: „Die Politik ist durchschnittlicher geworden, und da sie durchschnittlicher geworden ist, prägt das.“
Und natürlich geht es für Politiker darum, wo sie sich am besten selbst darstellen können, ihre Botschaften platzieren können. Renate Künast macht da eine verräterische Bemerkung.
Renate Künast: „Es geht um die Frage, Fragen direkt zu stellen und nachher auch die Dinge nicht rauszuschneiden. Man weiß schon sehr genau, was der Erklärungssatz ist, der mir wichtig ist und den möchte ich dann auch gesendet sehen.“
Darum geht es: Politiker wollen selbst bestimmen, was von ihnen gesendet wird. Was sagt eigentlich die FDP und ihr Vorsitzender Lindner? Der bringt vorsichtshalber schon einmal seinen Pressesprecher mit, der ihm nicht von der Seite weicht. Denn Interviews mit uns mag er eigentlich gar nicht.
Christian Lindner: „Wenn Sie mich methodisch fragen, zu einem kritischen Thema, gehe ich lieber in eine Talkshow oder mache ein Live-Interview mit den Tagesthemen, als dass ich Ihnen zehn Minuten ihnen zu einem kritischen Thema Rede und Antwort stehe und Sie danach die fünf Sekunden rausschneiden, die gerade zu Ihrer These passen.“
Reporter: „Sind wir so gemein?“
Christian Lindner: „Müssen Sie doch! Sie sind Meinungsjournalismus!“
Ein konkretes Beispiel für unfairen Schnitt konnte Lindner auf Nachfrage leider nicht nennen. Fazit: Wer wenig Verantwortung hat, hat Zeit und wer viel Verantwortung hat, hat keine. Und - alle Politiker finden Monitor irgendwie wichtig - bis wir anfangen zu fragen.
Georg Restle: „Es gibt ein Thema, das diese Sendung in den letzten 50 Jahren beschäftigt hat wie kaum ein anderes. Schon in einer der ersten Sendungen fragte Monitor, warum dieses Land eigentlich ein so großes Problem mit Flüchtlingen hat. Schauen Sie sich mal diesen kurzen Ausschnitt an. Monitor im Jahr 1966 - klingt erschreckend aktuell.“
Reporter: „Asyl in der Bundesrepublik findet nur, wer zumindest begründete Furcht vor Verfolgung nachweisen kann. In der bedrückenden Atmosphäre des Zirrendorfer Lagers müssen die Flüchtlinge oft viele Monate verbringen, bis eine Entscheidung über sie fällt. Man gibt denen, die oft unter Lebensgefahr einem Regime entflohen, das sie nicht mehr ertragen konnten, eine Schlafstelle und 29,00 Mark im Monat. 65 % aller Flüchtlinge werden abgelehnt in einem Land, das gute Gründe hat, bei der Gewährung politischen Asyls besonders großzügig zu sein.“
Stand: 22.05.2015, 13:38 Uhr
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