MONITOR vom 25.10.2018

Extrem gewaltbereit: Kampfsport in der rechten Szene

Bericht: Jochen Taßler, Julia Regis

Extrem gewaltbereit: Kampfsport in der rechten Szene Monitor 25.10.2018 10:27 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

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Georg Restle: „Umsturzparolen und Widerstandsaufrufe gegen die verhasste Republik, die gab es in Weimar und die gibt es auch heute wieder. Bei Politikern der AfD und bei Rechtsextremisten, die sich jetzt zum großen Straßenkampf rüsten - und das ist wörtlich gemeint. In Deutschland organisieren sich nämlich immer mehr Nazis und rechtsextreme Hooligans in Kampfsportgruppen, um sich fit zu machen für den Kampf gegen alle, die sie in dieser Gesellschaft zu ihren Feinden erklären. Sogar eigene Kampfsportevents für die extrem rechte Szene gibt es mittlerweile - abgeschottet von der Öffentlichkeit und offenbar zu allem bereit. Die Namen klingen martialisch: „Schild und Schwert“ oder „Kampf der Nibelungen“. Jochen Taßler und Julia Regis haben sich auf die Spur einer neuen, gefährlichen Bewegung gemacht.“

Ostritz in Sachsen, Mitte Oktober. Der „Kampf der Nibelungen“, ein extrem rechtes Kampfsportevent. Zum Grundgesetz muss man sich hier nicht bekennen, betonen die Veranstalter. Man wolle nicht Teil eines „faulenden politischen Systems“ sein. Die Veranstaltung ist offiziell und genehmigt. Aber Kameras sind auf dem Gelände nicht erwünscht.

Mann: „Bitte gucken, dass die Presse nicht  aufs Gelände kommt.“

Was drinnen passiert, bewerben die Veranstalter mit heroischen Promo-Videos wie diesem. Sie versprechen Kampfsport auf professionellem Niveau. Und sportlichen Wettkampf - Mann gegen Mann, ehrenvoll und fair. Unter den Organisatoren und Besuchern draußen: Neonazis und überführte Straftäter. Den Einlass etwa macht Robin Schmiemann, ein Dortmunder Neonazi. Nach einem Raubüberfall saß er über Jahre im Gefängnis, pflegte Briefkontakt zu Beate Zschäpe vom NSU. Dieser Mann ist Sven Kahlin, auch Neonazi aus Dortmund. Er saß wegen Körperverletzung und Totschlags jahrelang im Gefängnis.

Vor ein paar Jahren war der „Kampf der Nibelungen“ noch ein Insider-Event. Heute kommen die Besucher in Bussen. Rund 700 waren diesmal da. Robert Claus überrascht das nicht. Er forscht zu Hooligans und Kampfsport, hat ein Buch darüber geschrieben.

Robert Claus, Rechtsextremismus-Forscher: „Kampfsport spielt für die rechte Szene zwei ganz zentrale Rollen. Das eine ist, dass im Kampfsport Gewalt professionalisiert wird, oder man kann auch sagen, dass Gewaltkompetenz vermittelt wird und dann steht Kampfsport auch ein Stück weit in der historischen Tradition der Wehrsportübungen, die es in den 70er/80er Jahren in Deutschland gab, nämlich eine Form, sich körperlich auszurüsten und fit zu machen für einen politischen Umsturz.“

Wie viele Rechte aktiv Kampfsport betreiben ist unklar. Die Szene ist unübersichtlich. Lange war Boxen der klare Favorit. In den letzten Jahren wird MMA immer beliebter. Mixed Martial Arts. Eine Mischform aus verschiedenen Kampfstilen, brutal und mit ziemlich wenigen Regeln.

Robert Claus, Rechtsextremismus-Forscher: „Die Gefahr besteht darin, dass die Gewalt geschulter wird, das heißt, die Leute lernen in den Mixed Martial Arts, im Kickboxen, wie sie jemanden so umstoßen, dass er zu Boden fällt, technisch versiert. Sie lernen, wie man Menschen in lebensgefährliche Griffe nimmt.“

Sehr attraktiv offenbar für die rechte Kampfsportszene in Deutschland, die Unterstützung aus Russland bekommt. Gesponsert wird der „Kampf der Nibelungen“ maßgeblich von diesem Mann: Denis Nikitin. Russischer Neonazi-Kampfsportler, Hooligan und Geschäftsmann. Vor allem in Osteuropa organisiert er schon seit Jahren rechtsextreme Kampfsport-Events. Mit seinem Label „White Rex“ drängt er auch auf den deutschen Markt. Er steht für Kampfsport. Und für Gewalt auf der Straße. Bei der Fußball-EM 2016 griffen in Marseille hunderte russische Hooligans britische Hooligans an. Nikitin war dabei - und prahlte später damit.

Auch Gewalt von Kampfsportlern gegen deutsche Polizisten kommt bei ihm gut an. Vor kurzem teilte sein Label „White Rex“ im Netz dieses Video. Es zeigt Ausschreitungen in Chemnitz Ende August. Ein Demonstrant bringt einen Polizisten zu Boden. Mit einem sogenannten „Doubleleg Takedown“, einem MMA-Griff. „Check the doubleleg“, schreiben die Macher des Labels mit Smiley dazu.

Zufall? Einzelfall? Oder waren im Rücken der AfD bei den Demonstrationen Ende August und Anfang September in Chemnitz auch rechte Kampfsportler dabei? Gemeinsam mit der Initiative „Runter von der Matte“ durchforsten wir das Bildmaterial. „Kampf der Nibelungen“. Rechte Kampfsportmarken wie „Pride France“ oder „Label 23“. Solche Logos finden wir schnell. Und wir erkennen auch mehrere szenebekannte, aktive Kampfsportler.

Der Mann, der hier die Polizei provoziert, zum Beispiel. Pierre Bauer. Neonazi aus Braunschweig. Teil der dortigen Kampfsport-Gruppe „Adrenalin BS“. Auf Facebook postet „Adrenalin BS“ martialische Bilder und rechte Slogans. Bauer posiert auf einem seiner Facebook-Fotos als „FrontGermane“. Ebenfalls in der ersten Reihe dabei in Chemnitz war dieser Mann: Lasse Richei. Auch er Braunschweiger Neonazi von „Adrenalin BS“. Er engagierte sich lange für die Jungen Nationalisten, die Jugendorganisation der NPD. Bei Facebook zeigt er sich als strammer Rechter. Mal schick bei einer Neonazi-Kundgebung, mal blutüberströmt, wie nach einem Kampf. Auch unter den Demonstranten: David Hasenkrug. Ein Chemnitzer Neonazi mit Kontakten zur verbotenen rassistischen Organisation „Blood and Honour“. Er selbst ist wohl kein aktiver Kampfsportler, aber er war beim „Kampf der Nibelungen“, stand dort als Betreuer im Ring. Auf Fotos der Veranstalter ist Hasenkrug an seinen Tattoos zu erkennen.

Robert Claus, Rechtsextremismus-Forscher: „Meines Erachtens dienen diese Trainings tatsächlich auch zur Vorbereitung auf den politischen Straßenkampf und auch für politische Umsturzfantasien. Natürlich schreiben diese Leute das auf Facebook nicht, weil dann ihre Organisationen verboten werden, weil sie in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden geraten.“ 

Im Netz bedient die extrem rechte Kampfsportszene ganz bewusst den Gedanken einer neuen Gesellschaft durch Kampfsport. „Erschaffe Stahl aus Fleisch“, heißt es da etwa. Es geht um nichts weniger als einen neuen Menschenschlag im Sinne der Ideologie.

Sichtbar wird das auch hier, Ostritz im April. „Schild und Schwert“. Ein Festival von Rechten für Rechte. Inzwischen gehört auch hier Kampfsport zum Repertoire. Als Sport - und ideologisch. Manche Kämpfer sagen das ganz offen. Hier etwa im Interview mit einem rechten YouTuber.

YouTuber: „Für mich ist einfach der Sport … der gehört einfach dazu. Es gehört dazu, dass diese Männlichkeit in der heutigen Gesellschaft verloren gegangen ist, und die muss wiedererlangt werden, damit wir auch wieder zu einer ordentlichen Nation werden können.“

Reporter: „Ist Deutschland angegriffen? Sind wir angegriffen? Müssen wir uns wieder verteidigen?“

YouTuber: „Definitiv. Da gibt’s kein vielleicht, kein ähh und Bla, es ist so definitiv. Nicht erst seit gestern, nicht erst seit vorgestern, seit 45.“

Wie es aussieht, wenn Rechte ihr Land verteidigen wollen, konnte man hier schon einmal sehen: Leipzig, Anfang 2016. Hunderte Hooligans schlagen im Stadtviertel Connewitz zu. Attackieren linke Einrichtungen und Geschäfte, Döner-Läden. Ein im Vorfeld verabredeter Großangriff. Mehr als 200 rechte Randalierer werden am Ende festgenommen, darunter nachweislich viele aktive Kampfsportler.

Maik Scheffler war bis vor ein paar Jahren in der rechten Szene aktiv. Zuletzt war er stellvertretender NPD-Chef in Sachsen. Inzwischen ist er ausgestiegen und macht heute Extremismus-Prävention. Er betreibt seit Jahren selbst Kampfsport. Und beobachtet mit Sorge, dass die Szene ihre Gewalt immer stärker professionalisiert.

Maik Scheffler, NPD-Aussteiger: „Da ist es natürlich sehr gefährlich, gerade für den Rechtsstaat, auf der Straße eben für Recht und Ordnung zu sorgen, wenn der Gegner über Kampffähigkeiten verfügt, die auch für die Polizei gefährlich werden können. Und man sieht es ja auch jetzt mittlerweile - ob das in Chemnitz ist, ob das in Bautzen ist, ob das in Leipzig ist - es ist nicht mehr damit getan, dass man sich einfach gegen Polizeisperren wehrt oder Parolen ruft, es geht mittlerweile in den direkten Angriff über.“

Oft geht es längst nicht mehr nur um Kampfsport, sondern darum, junge Leute für rechte Ideologien und Organisationen zu rekrutieren. Die rechten Kampfsportevents sind zu einem Treffpunkt für die Größen der rechtsextremen Szene geworden, aus allen möglichen Bereichen. Beim „Kampf der Nibelungen“ finden sich mittlerweile zahlreiche bekannte Rechtsextremisten ein. Eine Auswahl: Eric Fröhlich, war Mitglied der inzwischen verbotenen „Nationalen Sozialisten Chemnitz“. Unterhielt laut Verfassungsschutz Kontakte mit Ralf Wohlleben von der Terrorgruppe NSU. Sebastian Dahl, Berliner Neonazi. Wird der extrem rechten Bruderschaft „Turonen/Garde 20“ zugerechnet. Malte Redeker gilt als Initiator des "Kampfes der Nibelungen". Szenekenner sehen ihn als führenden Kopf der internationalen Skinhead-Organisation „Hammerskins“.

Maik Scheffler, NPD-Aussteiger: „Mit diesen Kampfsportevents und Kampfsportvereinen hat man natürlich jetzt ein neues System geschaffen, sich öffentlich vernetzen zu können, ohne dabei natürlich in den Verdacht zu geraten, dass man hier extremistische, konspirative Treffen abhält.“

Robert Claus, Rechtsextremismus-Forscher: „Und irgendwann kommt in diesen Kreisen in der Rekrutierung der Schritt, dass die Leute gefragt werden, ob sie nicht auch mehr für eine nationale Bewegung tun wollen. Diesen Schritt machen nicht alle, aber die, die ihn gehen, rutschen dann eben auch tiefer rein in die entsprechenden Kameradschaften, Parteistrukturen oder, wie man in Chemnitz sieht, eben auch Terrornetzwerke.“

Die nächsten Events der rechten Kampfsportszene sind schon geplant. Für Anfang November haben die Rechten wieder zum „Schild und Schwert“-Festival geladen. Auch da soll es wieder Kampfsport geben. Geplant ist eine Deutschland-Premiere, sogenannte „Team-Fights“. Eine rechtliche Grauzone, denn sie könnten als Körperverletzung bewertet werden. Aber das schreckt in dieser Szene wohl niemanden ab.

Georg Restle: „Auf Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung übrigens geantwortet, dass sie wegen dieser umstrittenen, möglicherweise sogar strafbaren Teamkämpfe, keinerlei sportpolitischen Regelungsbedarf sieht.“

Kommentare zum Thema

  • Denis Nikitin 04.12.2020, 13:25 Uhr

    Neonazi-Netzwerks "White Rex"

  • BornFree 29.05.2020, 10:10 Uhr

    Kann gut verstehen, dass junge Leute Kampfsport/Selbstverteidigung erlernen möchten! Lese regelmäßig Nachrichten und bekomme auch so genug davon mit, was auf Deutschlands Straßen teilweise "standardmäßig" abgeht. Denke, da kann es nicht schaden, wenn man fit und kampferprobt ist, um sich so etwaige Angreifer erstmal gekonnt von der Pelle zu halten, bis dann vielleicht irgendwann die Polizei zur Hilfe kommt...

  • Sachse 03.11.2018, 08:54 Uhr

    Sport ist immer gut und ich finde es Klasse wenn sich junge deutsche Menschen dafür begeistern.

    • M. 07.11.2018, 16:00 Uhr

      Richtig, und Sport sollte frei von politischer Ausrichtung sein. Leider wollen das viele „Grün-68er“ (Politiker sowie Journalisten) aus ideologischer Verblendung (meine Meinung) nicht verstehen.