Geheimes Parallelrecht
Monitor. 06.06.2013. 08:46 Min.. Verfügbar bis 06.06.2999. Das Erste.
Monitor Nr. 648 vom 06.06.2013
Geheimes Parallelrecht: Wie Großkonzerne politische Entscheidungen attackieren
Frauke Steffens, Stephan Stuchlik
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KommentierenModeration Georg Restle: "Und jetzt zu einer Geschichte, die sich wortwörtlich im Verborgenen abspielt. Es geht um den Einfluss großer multinationaler Konzerne, die Entmachtung der Politik und um geheime Verfahren, die uns Steuerzahler sehr viel Geld kosten können. Klingt wie eine Verschwörungstheorie, ist aber politische Realität. Die Rede ist von so genannten „Investitionsschutzabkommen“. Internationale Verträge, mit denen Großkonzerne ihre Interessen gegenüber Staaten, an Gerichten vorbei, durchsetzen können. Oft geht es dabei um Milliardenbeträge, um die hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Die Öffentlichkeit bekommt davon meist nichts mit. Und selbst Politiker staunen, wie ihnen hier die Macht des Handelns aus der Hand genommen wird. Stefan Stuchlik und Frauke Steffens bringen Licht ins Dunkel.“
Prozesse im Hinterzimmer. Firmen gegen Staaten. Großkonzerne wie Chevron, Philip Morris und Vattenfall. Es geht um Milliarden und um große Politik. Kaum jemand weiß von diesen geheimen Verfahren, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang hat. Die Verhandlungsgrundlage: So genannte Investitionsschutzabkommen. Sie weiß, was sich dahinter verbirgt: Pia Eberhardt forscht seit Jahren über solche internationalen Verträge. Auch Deutschland hat diese Verträge abgeschlossen, eigentlich um deutsche Firmen im Ausland vor Enteignung zu schützen.
Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory (CEO): „Um solche Diskriminierung oder direkte Enteignung, also die Wegnahme von einer Fabrik, was man sich das vorstellt, geht es heute überhaupt nicht mehr in diesem Verfahren. Das war vielleicht mal früher die Idee, aber was wir haben, ist ein völlig mutiertes Rechtssystem, das sich heute eben nutzen lässt, richtig zur Bekämpfung von demokratischer Politik im öffentlichen Interesse. Darum geht's.“
Ein mutiertes Rechtssystem, die Folgen mussten die Bürger der Stadt Hamburg erleben. 2009 - die halbe Stadt geht gegen das Kohlekraftwerk Moorburg auf die Straße. Die Grünen machen Wahlkampf gegen das Kraftwerk und kommen in die Regierung. Jetzt haben sie das Umweltressort und wollen strenge Umweltauflagen erlassen. Vattenfall zieht die Karte mit dem Geheimverfahren, drei Anwälte treffen sich in Paris, der Anwalt von Vattenfall fordert 1,2 Milliarden Euro Schadensersatz, Deutschland gibt nach, das Kraftwerk Moorburg geht mit weniger Umweltauflagen ans Netz. Die Regierung in Hamburg wird über die Pariser Entscheidung nur in Kenntnis gesetzt. Auch der Staatssekretär ist vollständig überrumpelt. Die politischen Entscheidungen des Senats: wertlos.
Christian Maaß, ehemaliger Staatsrat Umweltbehörde Hamburg: „Es ist eine ziemlich absurde Situation. Wenn man wie ich über Jahre Umweltrecht studiert hat und angewendet hat, die Rechtsprechung kennt, denkt man eigentlich, man weiß so ziemlich genau, um was es geht und was man machen kann und was man nicht machen kann. Und dann kommen Sie auf einmal…, dann werden Sie vor ein Schiedsgericht gezerrt, wo drei Leute - von denen einer jeweils auch von den Parteien benannt wird - auf einmal darüber entscheiden sollen, ob das, was Sie gemacht haben, rechtmäßig ist oder nicht."
Und deshalb ist das möglich: Vattenfall genießt als ausländisches Unternehmen Sonderschutz und kann vor ein Schiedsgericht mit drei Anwälten ziehen. Ein paralleles Recht. Ein deutsches Unternehmen müsste parlamentarische Entscheidungen über reguläre Gerichte anfechten. Ein ausländisches Unternehmen kann mithilfe der Investitionsschutzabkommen eine Abkürzung nehmen.
Im Parallelrecht entscheidet ein drei-Personen-Schiedsgericht, Widerspruch nicht mehr möglich. Und so sehen die Schutzverträge aus: drei Seiten DIN A4, alles dehnbare Paragraphen. Die Bundesrepublik Deutschland etwa garantiert anderen Ländern, dass ihre Firmen, etwa Vattenfall, „vollen Schutz" bekommen und „gerecht und billig" behandelt werden. Mit solchen Paragraphen versuchen Firmen weltweit, politische Entscheidungen anzufechten.
Pia Eberhardt, Corporate Europe Observatory (CEO): „Man hat im Investitionsschutzabkommen sehr viel weitgehenderen Eigentumsschutz. Man hat auch keinen Verweis auf so was wie ein öffentliches Interesse, was deutsche Gerichte durchaus berücksichtigen in ihrer Rechtsprechung. Also die Rechtsgrundlage ist anders. Dann haben wir ja in nationalen Gerichten zum Beispiel öffentliche Anhörungen im Gerichtsverfahren. Die sind in der Regel nicht öffentlich in Investor-Staat-Verfahren, sondern finden hinter verschlossenen Türen in irgend einem Hotelzimmer in London, Washington oder Paris statt.“
Und es werden ständig mehr.
1995 gab es weltweit nur drei dieser Milliardenverfahren, im Jahr 2012 schon 50, insgesamt 419. Der ehemalige Verfassungsrichter Prof. Winfried Hassemer hat massive Bedenken gegen die Praxis dieser Schiedsverfahren.
Prof. Winfried Hassemer, ehemaliger Verfassungsrichter: „Es geht darum, dass der Verdacht nicht abzuweisen ist, dass es nur eine ganz kleine Gruppe von Leuten gibt, die das eigentlich entscheiden und die dann das Ganze auch nicht öffentlich machen. Und es geht halt darum, dass man den Verdacht nicht los wird, dass hier Leute am Werk sind, die befangen sind. Also, die ein bestimmtes Interesse daran haben, dass ein bestimmtes Verfahren so und nicht anders verläuft."
Firmen greifen politische Entscheidungen in Hinterzimmern an, ein Riesengeschäft für Anwaltskanzleien. Die neue Studie zeigt, wie klein der Kreis derer ist, die überhaupt in diesen Milliardenverfahren mitwirken: Nur 15 Schiedsrichter weltweit entscheiden 55 Prozent aller Verfahren. Und sie wechseln dabei noch ständig die Seiten. In einem Verfahren vertritt ein Anwalt noch den beklagten Staat, im nächsten ist er Schiedsrichter, im dritten Verfahren vertritt er das klagende Unternehmen. Zumeist siegen die Firmen.
Die jüngste UN-Statistik zeigt, im Jahr 2012 wurden 70 Prozent aller Fälle für die Unternehmen entschieden. Jetzt soll auch die große politische Richtungsentscheidung, der Atomausstieg, vor einem geheimen Schiedsgericht verhandelt werden. Eine Entscheidung, hinter der die Mehrheit der Bevölkerung steht, eine politisch getroffene Entscheidung, vom Parlament beschlossen, von der Kanzlerin verkündet. Dagegen ist wieder der ausländische Konzern Vattenfall, er kann seine Atomkraftwerke nicht weiter betreiben. Vattenfall fordert eine
Zitat: „Entschädigung für die Schließung der deutschen Kraftwerke und Einrichtung eines Schiedsgerichts."
Eines dieser geheimen Schiedsgerichte also.
Zwei alte Meiler betreibt Vattenfall, Krümel und Brunsbüttel, beide haben sich schon lange amortisiert, Technik aus den 70er Jahren, jetzt will Vattenfall mindestens 3,7 Milliarden Euro Schadensersatz, in einem Hinterzimmer-Verfahren. Vattenfall wählt also den schnelleren und aussichtsreicheren Weg über das Schiedsverfahren, während deutsche Energieversorger wie EON oder RWE vor dem Verfassungsgericht klagen müssen. Vattenfalls Anwalt Richard Happ will nicht vor deutsche Gerichte.
Richard Happ, Rechtsanwalt Kanzlei Luther: „Sie müssen erst einmal vors Verfassungsgericht ziehen, Sie müssen Recht bekommen. Und dann müssen Sie hoffen, dass das Verfassungsgericht eine Entschädigungsregel anordnet und dann muss das Parlament eine Entschädigungsregel verabschieden und erst wenn das verabschiedet worden ist, kriegen Sie vielleicht irgendwann Geld."
Franziska Keller, B‘90/Die Grünen, MdEP, Ausschuss für internationalen Handel: „Für mich ist es das Schockierende, dass es eine breite gesellschaftliche Mehrheit gibt und gab für den Atomausstieg und es gab eine parlamentarische Mehrheit dafür. Es gibt ein Gesetz zum Atomausstieg und jetzt kommt Vattenfall daher und sagt, nee, das wollen wir so nicht und wir verklagen Deutschland auf einem völlig intransparenten Weg. Die meisten Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben sicher davon noch nicht mal was mitbekommen und können unglaublich viel Geld verlangen von Deutschland."
Sie versucht, in Brüssel die Geheimverfahren abzuschaffen: Franziska Keller vom Ausschuss für internationalen Handel. Ihrer Erfahrung nach spricht sich bei den EU-Verhandlungen aber eine Nation eindeutig und immer für das parallele Recht aus: die Bundesrepublik Deutschland.
Franziska Keller, B‘90/Die Grünen, MdEP, Ausschuss für internationalen Handel: „Die Bundesregierung sieht sich anscheinend als Vertreterin der großen industriellen Interessen Deutschlands, wie sie das verstehen. Es geht hier nicht um die Bürgerinnen und Bürger Europas, es geht nicht um kleine Unternehmen, es geht hier nur um die großen Unternehmen, ohne zu beachten, dass ihnen diese Investitionsschutzabkommen auch ganz leicht selbst auf die Füße fallen können."
Die Firmen bedanken sich für die deutsche Politik. Amerikanische Unternehmen denken schon darüber nach, in Europa gegen Fracking-Verbote vorzugehen. Natürlich mit geheimem Schiedsverfahren.
Moderation Georg Restle: "Ein Grundpfeiler der Demokratie ist die Transparenz politischer Entscheidungen; ein Grundsatz des Rechtsstaats die Öffentlichkeit des Verfahrens. Solche Abkommen und solche Hinterzimmer-Deals haben damit nichts mehr zu tun. Vielleicht denken unsere Bundesminister mal daran, auf was sie da eigentlich ihren Amtseid geschworen haben, wenn sie künftig ein solches Abkommen unterzeichnen."
Stand: 06.06.2013, 21:45 Uhr
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