MONITOR vom 03.03.2022

Imperialistische Großmachtphantasien: Putins aggressive Außenpolitik

Bericht: Nikolaus Steiner, Frank Konopatzki, Shafagh Laghai, Katja Garmasch

Imperialistische Großmachtphantasien: Putins aggressive Außenpolitik Monitor 03.03.2022 07:42 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Nikolaus Steiner, Frank Konopatzki, Shafagh Laghai, Katja Garmasch

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Georg Restle: "Der Angriff gegen die Ukraine laufe "wie geplant", sagte Putin heute. Und das wären dann wirklich keine guten Nachrichten für die Ukraine. Die erneuten Drohungen aus Moskau sind jedenfalls unmissverständlich. Putin will aus diesem Land einen Teil seines Imperiums machen. Aber geht es ihm wirklich nur um die Ukraine oder doch um viel mehr? Wer Putin genau zuhört, dem ist längst klar, was dieser Mann will: Zurück in den Imperialismus der russischen Zarenzeit, durch die Unterdrückung der Opposition im eigenen Land und Kriege gegen jeden souveränen Staat, den er als Teil seines Reichs und seiner Kultur begreift. Das ist Putins Ideologie, das ist sein geostrategisches Kalkül. Das alles hat er oft genug gesagt und oft genug getan. Aber viele haben offenbar nicht so genau hingehört oder wollten nicht so genau hinschauen. Nikolaus Steiner, Shafagh Laghai und Frank Konopatzki."

Acht Tage russischer Angriffskrieg in der Ukraine. Acht Tage mit Hunderten zivilen Opfern und einer Million Menschen auf der Flucht. Ein Krieg, der für ganz Osteuropa dramatische Folgen haben wird.

Sabine Fischer, Russland-Expertin, Stiftung Wissenschaft und Politik: "Abgesehen von diesem wirklich immer grausamer werdenden Krieg in der Ukraine – also die russischen Truppen in der Ukraine – ist es eine extreme Destabilisierung für die gesamte Region. Und natürlich ist er auch für das gesamte europäische Sicherheitssystem letztendlich eine Zäsur."

Eine Zäsur, eine neue Ordnung in Europa. Aber geht es Putin nur um die Ukraine – oder geht es ihm längst um mehr? Rückblick: Münchner Sicherheitskonferenz 2007. Nach den militärischen Interventionen des Westens im Kosovo, Afghanistan und Irak kritisiert Putin vor allem die USA scharf, spricht von einem Machtmonopol, das auch Russland massiv bedrohe.

Wladimir Putin, Präsident Russland, 10.02.2007 (Übersetzung Monitor): "Das allerdings ist äußerst gefährlich. Es führt dazu, dass sich niemand mehr in Sicherheit fühlt. Ich will das unterstreichen, niemand fühlt sich mehr sicher! Ich bin überzeugt davon, dass wir einen entscheidenden Moment erreicht haben, an dem wir ernsthaft über die gesamte Architektur der globalen Sicherheit nachdenken sollten."

Eine neue Architektur der globalen Weltordnung – offenbar nach russischer Vorstellung.

Stefan Meister, Politikwissenschaftler, Dt. Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Also diese Rede in München ist definitiv ein Schlüsselmoment. Es ist eine Schlüsselrede gewesen, auch für das, was wir jetzt beobachten. Da hat Putin im Prinzip das erste Mal formuliert, wie er denkt und was er vorhat. Wir akzeptieren diese unipolare Welt, die von den Amerikanern dominiert wird, nicht mehr. Und wir werden alles dafür tun, dass sich das ändern wird. Und wir werden es nicht nur ansprechen, sondern an irgendeinem Punkt auch etwas dagegen tun. Und das ist genau das, was jetzt in den letzten  – sagen wir mal – zehn Jahren passiert ist."

Nur anderthalb Jahre nach Putins Rede in München marschieren russische Truppen in Georgien ein. Das Hauptziel dieses Krieges: Verhindern, dass Georgien Mitglied der NATO wird. Und das sei nur ein Auftakt gewesen, sagen Fachleute.

Gustav Gressel, Militärexperte, European Council on Foreign Relations: "Putin versucht die Sowjetunion zumindest in gewissen Teilen wiederauferstehen zu lassen, eine Vorherrschaft Russlands in den ehemaligen sowjetischen Territorien bzw. in Osteuropa mit militärischen Mitteln wieder zu errichten."

Die Vorherrschaft Russlands. Um die zu erreichen, kündigt Putin 2012 eine massive militärische Aufrüstung an: knapp 600 Milliarden Euro in zehn Jahren. Denn Russland sei bedroht, schrieb er damals.

Zitat: "Wir erleben neue Bereiche der Instabilität und des absichtlich hergestellten Chaos. Selbst an den Grenzen Russlands und seiner Verbündeten gibt es Versuche, derartige Konflikte herbeizuführen." – Quelle: Wladimir Putin, Financial Times Deutschland, 21.02.2012

Russland als Ordnungsmacht in Osteuropa. Putins Ziel: die Ukraine. 2014 startet die russische Intervention. Putin annektiert völkerrechtswidrig die Halbinsel Krim und heizt den Krieg in der Ostukraine an.

Manfred Sapper, Chefredakteur, Zeitschrift "Osteuropa": "Putin betreibt systematisch einen Wiederaufbau eines Imperiums, einer imperialen Ordnung. Und er versucht regelmäßig in all den Ländern zu intervenieren, die gesellschaftlich oder politisch eine andere Vorstellung haben, als zurück zu diesem Imperium zu wollen."

Putins Imperium, in dem Russland die nationalen Traditionen bewahrt. Darüber redet Putin kurz nach der Krim-Annexion. Eine Kampfansage an westliche Werte und deren Verbreitung in der Welt. Gemeint ist damit auch Osteuropa.

Wladimir Putin, Präsident Russland, 18.03.2014 (Übersetzung Monitor): "Diesen Ländern wurden Standards aufgezwungen, die in keiner Hinsicht den Lebensweisen, den Traditionen oder der Kultur dieser Völker entsprachen. Im Endeffekt herrschen anstelle von Demokratie und Freiheit – Chaos und Gewalt."

Russland als kultureller Hegemon mit Großmachtambitionen – vor allem in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. 14 Staaten haben sich nach dem Ende der Sowjetunion unabhängig gemacht. Diese will Putin nun offenbar zurück – und gleichzeitig seinen Einfluss im restlichen Osteuropa stärken.

Sabine Fischer, Russland-Expertin, Stiftung Wissenschaft und Politik: "Zu diesem Status als Großmacht in den internationalen Beziehungen gehört aus russischer Perspektive ganz automatisch eine regionale Einflusszone. Eine Zone, in der der regionale Hegemon – also die Großmacht – die Regeln setzt, in der der Hegemon, die Großmacht, in der Position ist, das Recht hat sozusagen in die Souveränitätsrechte der Nachbarstaaten einzugreifen."

In Staaten, wie zum Beispiel Moldawien und dem Landesteil Transnistrien, das direkt an die Ukraine grenzt. Russland hat hier schon seit den 1990er Jahren Soldaten stationiert und verhindert so auch eine Annäherung an den Westen. Anderes Beispiel: Armenien. Russland gilt hier als "Schutzmacht" im Konflikt um Berg-Karabach und kontrolliert mit tausenden Soldaten de facto das Land. Oder Russlands Nachbar Belarus. Demokratische Proteste wurden hier 2020 blutig niedergeschlagen. Putin unterstützt Langzeit-Diktator Lukaschenko. Proeuropäische, demokratische Bewegungen in Russlands direkter Nachbarschaft werden nicht toleriert. 2021 stellt Putin klar:

Zitat: "(…) wir werden niemals zulassen, dass unsere historischen Gebiete und die dort lebenden, uns nahestehenden Menschen, gegen Russland instrumentalisiert werden. Jenen, die einen solchen Versuch unternehmen, möchte ich sagen, dass sie auf diese Weise ihr Land zerstören." (Wladimir Putin, Zeitschrift Osteuropa, Juli 2021).

Doch die russischen Pläne eines schnellen Sieges in der Ukraine sind schon jetzt gescheitert. Der Widerstand größer als gedacht. Offenbar hat Putin unterschätzt, wie viele Menschen hier nicht Teil seines Imperiums werden wollen.

Stefan Meister, Politikwissenschaftler, Dt. Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Er sieht überhaupt nicht, dass das auch Gesellschaften sind, die einfach raus wollen aus diesem Korruptions-Raum, aus diesen imperialen Raum, aus diesem machtpolitischen Raum. Und die in freien Gesellschaften leben wollen, die Entwicklungsperspektiven haben wollen. Für ihn ist alles irgendwo Geopolitik, Geostrategie und Geschichte. Aber dass es gesellschaftliche Prozesse gibt und auch Wandlungsprozesse in seinem eigenen Land möglicherweise, das möchte er eigentlich nicht sehen."

Geostrategie gegen die Menschen in der Ukraine. Putins Krieg ist auch eine Kampfansage an den Westen, die weit über diesen Krieg hinausreicht.

Kommentare zum Thema

  • Anonym 22.03.2022, 12:51 Uhr

    Die neue Migrationskrise in der EU ist von Putin gewollt und eine Kriegserklärung an Europa. Sie wird zu gewaltigem Stress in den kommenden Jahren in der EU führen, denn dann kommt noch eine deftige Wirtschaftskrise hinzu mit damit einhergehender Massenarbeitslosigkeit, Unternehmenspleiten, ausbleibenden Steuern und leeren Staatskassen . Bereits jetzt ist die öffentl. Hand rekordhoch überschuldet, ebenso Unternehmen und besonders private Häuslebauer mit Hypotheken bei bereits erfolgter Kapitalmarkzinswende ! Die Party der vergangenen Jahrzehnte ist für lange Zeit Geschichte ! Auch Schröder muß das als Kanzler a.D. wissen ! Seltsam, daß er immer noch bei Putin mitmischt !

  • T. 20.03.2022, 20:51 Uhr

    Was ist dieser Selensky für ein Mensch, dass tausende für die Verteidigung seiner politischen Funktion sterben wollen, oder er durch Aufopferung sterben lässt? Würde er morgen die drei Forderungen Russlands zustimmen gäbe es morgen einen Waffenstillstand. Selensky sagt jedoch nein und alle gehorchen. Sogar unsere Politiker lassen uns lieber in einen 3. Weltkrieg ziehen als dass sie diesem Mann dazu drängen einen Waffenstillstand abzuschließen.

  • Anonym 20.03.2022, 08:01 Uhr

    Die großen ideologischen Kämpfe z.B. Islamismus /Christentum, Kommunismusmus Demokratie waren niemals verschwunden, Sie wurden nur vertuscht und veharmlost von infantilen, naiven Tagträumern und Gutmenschen, besonders im linken Gesellschaftssegment, besonders auch im Staatsfunk ! Man braucht sich dazu nur mal die Sendungen von Monitor/Panorama noch von vor 2 Monaten anzuschauen mit totaler Realitätsverweigerung und Wunschkonzert !.