MONITOR vom 07.01.2010

Oury Jalloh: Neuer Prozess um Polizei- und Justizskandal in Dessau

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Bericht: Markus Zeidler, Frauke Steffens, Pagonis Pagonakis

Oury Jalloh: Neuer Prozess um Polizei- und Justizskandal in Dessau (07.01.2010)

Monitor 07.01.2010 04:21 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Sonia Seymour Mikich: "Weiter gehts mit dem heutigen Urteil des Bundesgerichtshofs zu einem unglaublichen Polizeiskandal, den viele MONITOR-Zuschauer kennen: Genau heute vor fünf Jahren verbrannte der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Polizeizelle in Dessau, mit Händen und Füßen an einer Matratze gefesselt. Wir recherchierten damals kontinuierlich, der grausame Tod machte internationale Schlagzeilen. Es kam zum quälend langen Prozess, dann Freispruch für den diensthabenden Polizisten. Die Wahrheit kam nicht zutage. Heute entschied der BGH, der Prozess wird neu aufgerollt. Und dazu Markus Zeidler und Frauke Steffens."

Heute vor genau fünf Jahren kam an diesem Ort im Gewahrsam der Polizei ein Mensch unter mysteriösen Umständen ums Leben. Er verbrannte in einer der Kellerzellen der Polizeistation von Dessau. Der 37-jährige Asylbewerber Oury Jalloh. Auf dieser Matratze starb er. Angeblich hatte er sich mit einem Feuerzeug selbst angezündet. Und das, obwohl er an Händen und Füßen gefesselt war und die Matratze eine feuerfeste Ummantelung hatte. Der Feuermelder schlug Alarm, doch die verantwortlichen Polizisten reagierten zunächst nicht. Zwei Polizisten mussten sich schließlich vor Gericht verantworten. Der Vorwurf: fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässige Tötung. Die Beamten wurden freigesprochen. Ein Freispruch, der den Vorsitzenden Richter Manfred Steinhoff selbst frustrierte. Steinhoff erklärte damals, das Verfahren sei gescheitert an der Schlamperei und den Falschaussagen der Beamten. Das habe, so Steinhoff, mit Rechtsstaat nichts mehr zu tun.

Katharina Spieß, amnesty international: "Der Fall Oury Jalloh zeigt sehr eindringlich, dass Vorwürfe gegen Polizisten, dass Straftaten von Polizisten, die ja auch schwere Menschenrechtsverletzungen sind, häufig nicht aufgeklärt werden können, weil schon das Ermittlungsverfahren fehlerhaft ist."

Der Fall Oury Jalloh. Er steht für ein grundsätzliches Problem. Es sind Einzelfälle, aber wenn Polizisten im Verdacht stehen, eine Straftat begangen zu haben, verlaufen die Ermittlungen häufig im Sande. Beispiele: Dieser Mann wurde von 16 Beamten des Sondereinsatzkommandos der Kölner Polizei zusammengeschlagen.

Josef Hoss hatte sich nichts zu Schulden kommen lassen. Seit dem Vorfall ist er arbeitsunfähig. Das Strafverfahren gegen die Kölner Beamten wurde eingestellt, weil sich keiner der Polizisten genauer erinnern konnte, was tatsächlich geschah.

Schönflies in Brandenburg, Silvester vor einem Jahr. Nach einem Wortwechsel erschießt ein Polizist einen unbewaffneten Intensivtäter. Insgesamt gibt er acht Schüsse ab. Wie und warum? Seine beiden Kollegen vor Ort wollen nichts gehört haben, wegen der „Silvesterknallerei“.

Regensburg, April 2009: Zwei Polizisten erschießen einen Studenten. Tennessee Eisenberg habe sie mit einem Messer bedroht. Erst nach 16 Schüssen sei der Mann zu stoppen gewesen. 16 Schüsse als gerechtfertigte Reaktion auf ein Messer? Die Staatsanwaltschaft glaubte den Schilderungen der Polizisten - Verfahren eingestellt, wie so oft.

Prof. Thomas Feltes, Kriminologe, Universität Bochum: "Von dem, was wir wissen aufgrund von Anfragen in Parlamenten und auch einigen empirischen Studien ist es so, dass 95 Prozent und mehr der Fälle eingestellt werden von der Staatsanwaltschaft. Und dass, wenn die Fälle dann mal zu Gericht kommen, in der Regel auch dann ein Freispruch erfolgt."

Polizisten unter Tatverdacht. In den allermeisten Fällen kommt es nie zur Anklage, und wenn doch, so gut wie nie zu einer Verurteilung. Wie kann das sein? Im Verdachtsfall ermitteln Polizisten gegen Polizisten, müssen Kollegen gegen Kollegen aussagen. Genau das ist das Problem, sagen Kriminologen.

Prof. Thomas Feltes, Kriminologe, Universität Bochum: "Das kann eigentlich nicht funktionieren, weil gegen eigene Mitarbeiter und gegen eigene Kollegen zu ermitteln, und sei es auch die aus der Nachbarstadt, ist man immer voreingenommen."

Katharina Spieß, amnesty international: "Deswegen fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission, die in solchen Fällen statt der Polizei ermittelt, um den Sachverhalt umfassend aufzuarbeiten."

Die gibt es, etwa in Portugal oder in Irland. Der Bundesgerichtshof hat heute erst wieder gezeigt, wie dringend der Handlungsbedarf ist. Die Richter erklärten den Freispruch im Fall Ouri Jalloh für nichtig, wegen zu vieler Ungereimtheiten. Die Angehörigen des möglichen Polizeiopfers Jalloh hätten Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren.

Stand: 13.10.2015, 14:40 Uhr

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