Bericht: Nikolaus Steiner, Frank Konopatzki
Georg Restle: „Na endlich, die Flüchtlingskrise haben wir im Griff. Großes Aufatmen auch bei der Bundesregierung. Endlich sinken die Flüchtlingszahlen in Deutschland, und das sogar deutlich! Die Wahrheit aber ist: Die Flüchtlingskrise steuert auf einen traurigen Höhepunkt zu. Nicht hier bei uns, sondern draußen auf dem Mittelmeer, wo zurzeit weitaus mehr Menschen sterben als in den Jahren zuvor. Dabei wollte die Bundesregierung genau das verhindern - mit einer großen Militäraktion und schwerem Geschütz, offiziell, um Schlepper zu bekämpfen. Aber wie erfolgreich sind diese Einsätze eigentlich? Und wer sind diese angeblichen Schlepper, die da in den letzten Monaten festgenommen wurden? Antworten auf diese Fragen von Nikolaus Steiner.“
Ausschau halten nach dem nächsten Notfall. Seit Monaten sucht das Team der „Sea Watch“ nach Flüchtlingen im zentralen Mittelmeer. Die Lage hat sich in den letzten Monaten zugespitzt. Immer mehr Einsätze sind es, und immer mehr Menschen, die gerettet werden.
Ingo Werth: „Wir haben jetzt das eine Boot gesichert, da sind 140 Leute drauf. Viele Frauen, viele seekrank, keine Verletzten, ein paar Kinder.“
Fast immer kommen sie auf solch wackeligen Schlauchbooten, fast immer aus Libyen. Oft dehydriert, krank und verängstigt. Legale Wege nach Europa gibt es nicht, deshalb bezahlen sie Menschenschmuggler für die lebensgefährliche Überfahrt. Aber nicht alle haben das Glück gerettet zu werden - im Gegenteil, immer mehr Menschen sterben im Mittelmeer: Laut der Internationalen Organisation für Migration sind im ersten Halbjahr 2014 743 Menschen im Mittelmeer gestorben, im ersten Halbjahr dieses Jahres waren es schon mehr als 2.400 - und das alleine im zentralen Mittelmeer. Dabei war es das große Versprechen der europäischen Politik, dass weniger Menschen sterben sollen. Europäische und deutsche Kriegsschiffe sollten den Schleppern das Handwerk legen und damit auch Tote verhindern. Der Kernauftrag der Militärs im Mittelmer lautet:
Zitat: „Unterbindung der Menschenschmuggel- und Menschenhandelsnetzwerke“
Seit langem betont auch die Bundesregierung: Der Kampf gegen Schlepper habe höchste Priorität.
Angela Merkel: „Wir müssen effektiv gegen Schlepperbanden vorgehen.“
Rainer Arnold: „Wir dürfen nicht zuschauen, wie das Schleuserunwesen weiter zunimmt.“
Ursula von der Leyen: „Das können wir nicht einfach geschehen lassen, dagegen müssen wir vorgehen.“
Schon seit zehn Monaten jagen deshalb europäische und deutsche Kriegsschiffe mit bis zu 1.400 Soldaten und Zivilisten so genannte „Schlepper“ und „Schleuser“ im Mittelmeer. Aber wie erfolgreich ist diese Anti-Schlepper-Mission wirklich? Die EU verkündete im Juni stolz: „71 mutmaßliche Menschenschmuggler“ seien im Rahmen der Militärmission festgenommen worden. Aber was wurde aus diesen 71 mutmaßlichen Schleppern? Wie viele sind tatsächlich verurteilt worden? Das Verteidigungsministerium schreibt: Hierzu liegen dem Ministerium keine Erkenntnisse vor. Keine Erkenntnisse? Wir fliegen nach Sizilien. Hier landen die meisten dieser mutmaßlichen Schlepper. Staatsanwalt Salvatore Vella ermittelt seit Monaten gegen dutzende Flüchtlinge, bei denen der Verdacht besteht, dass sie am Menschenhandel beteiligt sind. Aber ein wirklicher Schlepper sei so gut wie nie dabei, sagt er.
Salvatore Vella Staatsanwalt Agrigento (Übersetzung Monitor): „80 Prozent der Leute, die wir festnehmen, sind kleine Fische. Das heißt, das sind Menschen, die eine Vereinbarung mit den Schlepperorganisationen haben, dass sie zum Beispiel das Boot steuern und dafür gratis mitfahren dürfen. Die wirklichen Schlepper, die Hintermänner, die Millionen an den armen Leuten verdienen, die bleiben in Libyen.“
Der Staatsanwalt steht in ständigem Kontakt mit der italienischen Küstenwache und verfolgt auch die europäische Militärmission „Sophia“ sehr genau. Einen Erfolg kann er darin aber nicht sehen.
Salvatore Vella Staatsanwalt Agrigento (Übersetzung Monitor): „Wenn es das Ziel ist, das Geschäftsmodell der Schlepper oder die kriminellen Strukturen zu zerstören, sehe ich jetzt - etwa ein Jahr nach dem Beginn der Operation - überhaupt keinen Fortschritt in dieser Richtung.“
Das Oberhaus des britischen Parlaments, das „House of Lords“, evaluierte jüngst die Militäroperation „Sophia“. Fazit:
Zitat: „Die Mission hält weder auf sinnvolle Weise den Migrationsfluss auf, noch zerstört sie die Schmugglernetzwerke oder erschwert das Geschäft mit dem Menschenschmuggel auf der zentralen Mittelmeerroute.“
Peter Roberts ist Experte für maritime Sicherheit. 26 Jahre war er bei der britischen Marine, heute arbeitet er für einen renommierten britischen Thinktank.
Peter Roberts, Royal United Services Institute (Übersetzung Monitor): „Operation „Sophia“ hat das Ziel, das Geschäftsmodell der Schmuggler zu bekämpfen und zu zerstören, und hat dabei komplett versagt. Die Mission hatte keinerlei Auswirkungen auf das Schleppergeschäft, auf die Zahl der Flüchtlinge oder die Lage derer, die auf den Booten zu uns kommen. Die Mission ist einfach ein kompletter Fehlschlag.“
Die Bundesregierung sieht das offenbar anders und schreibt: „Schleusertätigkeiten“ seien „erfolgreich aufgeklärt“ worden, Operation „Sophia“ habe gegenüber den Schleppern „Abschreckungs- und Signalwirkung“.
Agnieszka Brugger (Bündnis 90/Grüne), verteidigungspolitische Sprecherin: „Ich glaube, dass es hier vor allem um ein symbolisches Zeichen geht: Wir riegeln die europäischen Außengrenzen mit Militär ab. Wir wollen was gegen die bösen Schlepper tun. Das Gleiche passiert ja auch in der Ägäis. Das sorgt aber nur dafür, dass die Wege für die Schlepper andere werden und in der Konsequenz wird das für die Flüchtlinge immer teurer und gefährlicher.“
Was also kann Deutschland tun? Militärisch wenig, humanitär dagegen sehr viel mehr. Immerhin: Nach eigenen Angaben hat die deutsche Marine im Rahmen der Operation „Sophia“ in einem Jahr mehr als 11.000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Und doch steigt die Zahl der Toten immer weiter an. Für eine effektive Seenotrettung sind die Militärschiffe überhaupt nicht konzipiert.
Peter Roberts, Royal United Services Institute (Übersetzung Monitor): „Die Schiffe, die die Operation „Sophia“ nutzt, sind High-Tech-Kriegsschiffe, die für intensive Schlachten konzipiert wurden. Die Schiffe kosten zwischen 500 Millionen und einer Milliarde Euro das Stück. Sie sind gebaut, um Marschflugkörper abzuschießen oder Atom-U-Boote im Atlantik zu jagen. Aber Menschen aus Seenot zu retten - das ist nicht die primäre Aufgabe von Kriegsschiffen.“
Hier wissen sie, wie man professionell Leben rettet. In der Seenotleitung in Bremen werden jedes Jahr rund 2.000 Rettungseinsätze in der Nord- und Ostsee koordiniert. Für Udo Fox, Chef der deutschen Seenotretter, ist klar, auch die Bundesregierung könnte wesentlich mehr tun.
Udo Helge Fox, Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger: „Das was jetzt im Mittelmeer geschieht, ist nicht ausreichend, um wirklich zu verhindern, dass dort so viele Menschen sterben. Hätten wir mehr Einsatzfahrzeuge und wären diese speziell für diese Aufgabe entwickelt bzw. modifiziert, können wir davon ausgehen, dass wir mehr Menschenleben retten würden, als das bisher der Fall ist.“
Allein der Einsatz der deutschen Militärschiffe kostet im kommenden Jahr mindestens 45,3 Millionen Euro.
Udo Helge Fox, Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger: „Für das gleiche Geld, was wir jetzt für diese militärische Mission ausgeben, könnten wir deutlich mehr zivile Fahrzeuge ins Mittelmeer bringen, um dort Seenotrettung zu betreiben.“
So hat zum Beispiel das norwegische Verteidigungsministerium schon vor einem Jahr ein ziviles Rettungsschiff gechartert, das wesentlich günstiger ist als ein Marineschiff und wesentlich besser geeignet für die Seenotrettung. Keine Option für Deutschland? Das Verteidigungsministerium schreibt uns, es sei nicht zuständig. Stattdessen antwortet das Wirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel: Man habe schon vor einem Jahr über zivile Seenotrettung gesprochen, man wolle aber eine „Lösung“ auf „europäischer Ebene“.
Peter Roberts, Royal United Services Institute (Übersetzung Monitor): „Den Verfechtern der Operation „Sophia“ geht es um Migration. Es geht nicht darum, Menschenleben zu retten. Die Staaten wollen Migration stoppen. Aber Bootsflüchtlinge retten, die hier herkommen, das interessiert sie nicht.“
Abschrecken statt Menschenleben zu retten? Die ehrenamtlichen Helfer der „Sea Watch“ werden wohl noch viele Einsätze fahren müssen.
Sendungsübersicht
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- Schlepper-Bekämpfung - Die EU macht ernst im Mittelmeer | tagesschau.de (07.10.2015)
- EU-Mission im Mittelmeer: Fragen und Antworten zur Phase 2 | mehr
Kommentare zum Thema
Natürlich wären/sind Rettungskreuzer etc weit sinnvoller als Kriegschiffe. Was allerdings würde im "Vollgefressenen, geisteskranken Vaterland" wohl passieren, wenn sich DAS herumspräche? "Was?!? Neger retten für unser Geld?!?" Um wie vieles schöner klingt es dann zu behaupten, die jagen dort die Schleuser. Das hier, wieder einmal, Bürger veräppelt werden ist einer der Fehler an diesem "Konzept", dass wir uns sowas (organiesierter Betrug der Bürger) seit Jahrzehnten gefallen lassen, im Mittelmeer das falsche Konzept angewendet werden "muss"(?), damit Besorgtbürger (die deutsche Kriegsmarine im Einsatz) fröhlich dem Endsieg entgegenschunkeln können. Über 11 000 Menschen wurden aus Seenot gerettet. Ob die Aktion "Sophia" (Suche nach Weisheit), Kalle, oder Böse Schlepper jagen heißt ist zumindest mir zunächst Wumpe. Ich nenne das Ding 11 000 Überlebende.
"nur" Schwarze, also Inferiores nach alter Kolonialherrenmanier; bitte so wenige wie möglich ankommen lassen. Zynismus pur von Seiten der EU/Deutschlands die Kriegsschiffe der Sophia-Operation können an Israel weitergeleitet werden. Dann haben wir gleich auch die Amortisation der Kosten. Zynisch die Sicht, aber zynisch von wem? von mir? ehrlich ? man ist froh in Euroland über jeden, der dort ertrinkt.
uns Angela denkt nicht im Traum an einen Rückzug aus Ihrem vertrackten Plan u Vertrag mit der Türkei, wie sie gestern verkündete. Dieser Plan ist bereits grandios gescheitert ; er kostet aber die EU weitere Millionen , die sie besser anwenden könnte um gezielt in den Herkunftsländern Direkthilfe an die Bevölkerung auszugeben; damit also vor Ort die Fluchtbewegung aufzuhalten; dasselbe gilt auch für den neuerlich angekurbelten Kampf gegen die Schlepper...diese Jagd hält seit Jahren keinen ab von seiner Flucht ...