Bericht: Jan Schmitt, Julia Regis
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Georg Restle: "Dieser Mann hier hat vor zwei Wochen für einen ziemlichen Paukenschlag gesorgt. AfD-Chef Jörg Meuthen hat hingeschmissen und seiner Partei genau das vorgeworfen, was er selbst bis zuletzt immer wieder heftig bestritten hat, dass in der AfD nämlich längst totalitäre Verfassungsfeinde das Sagen haben. Dass ihm das jetzt so urplötzlich aufgefallen sein will, mag glauben wer will. Fakt ist jedenfalls, die AfD hat mit ihm auch ihr allerletztes Feigenblatt verloren. Von wegen gemäßigt, der rechtsextreme Parteiflügel jubelt und scheint am Ziel. Die Partei steht jetzt ganz unverblümt da, wo ihr heimlicher Parteichef Björn Höcke sie schon immer haben wollte. Julia Regis und Jan Schmitt."
Jörg Meuthen – fast sieben Jahre lang hat er als Parteichef die AfD geführt. Jetzt war es das. Meuthen tritt als Vorsitzender zurück und gleich auch aus der AfD aus. Mit klaren Worten urteilt er über die dominierenden Ost-Landesverbände.
Jörg Meuthen (28.01.2022): "Dass die eine andere Form von Staat im Sinn haben. Das darf man haben, aber das ist nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Ich sehe da ganz klar totalitäre Anklänge."
Totalitär? Die AfD also verfassungsfeindlich? So das Fazit des Gerade-Noch-Vorsitzenden. Vergangenes Wochenende dann der Landesparteitag der AfD in Nordrhein-Westfalen. Viele hier galten als eher gemäßigt, als Meuthen-Anhänger. Was sagen sie zu seinem Abgang? Erstaunlich, plötzlich gehen auch bisherige Vertraute deutlich auf Distanz zu Meuthen.
Rüdiger Lucassen, MdL, Ex-Landesvorsitzender AfD NRW: "Er ist aus der Partei ausgetreten und er hat auch noch zugetreten. Und das ist verwerflich und schändlich."
Und ein Meuthen-Lager? Davon will hier niemand mehr was wissen.
Markus Wagner: "Ich zähle mich grundsätzlich nicht zu Personenlagern."
Sven Tritschler (MdL): "Also ich hab das nie als Meuthen-Lager betrachtet, diese Lagerbildung, das hat sich auch ein bisschen überlebt, glaube ich, in der Partei."
Roger Beckamp (MdB): "Ich denke, es gab nie ein Meuthen-Lager nach dem Motto, Leute, die unbedingt – komme was wolle – zu ihm gehalten haben."
Wen immer wir auch fragen: Niemand hier will sich jetzt noch vor unseren Kameras zu Meuthen bekennen.
Johannes Hillje, Experte für Rechtsextremismus: "Das sogenannte Meuthen-Lager verhält sich jetzt höchst opportunistisch gegenüber den Radikalen in der Partei. Keiner lehnt sich auf. Es wird davon gesprochen, dass jetzt die Reihen in der Partei geschlossen werden sollen und die Reihen zu schließen heißt im Grunde, sich vor die Rechtsextremisten in der Partei zu stellen, sie zu schützen."
Björn Höcke hat sich durchgesetzt und wird nun umworben. Höcke steht für den rechtsextremen Flügel in der AfD. Dass er schon seit einiger Zeit immer stärker den Ton angibt, beobachtet auch der Bundesverfassungsschutz. Deswegen will er die Gesamtpartei mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten als rechtsextremen Verdachtsfall. Jörg Meuthen wollte das verhindern, die Partei weiter als bürgerlich verkaufen, ihren Extremismus verschleiern.
Johannes Hillje, Experte für Rechtsextremismus: "Im Grunde war Meuthen der bürgerliche Märchenerzähler, weil er bürgerliche Wählerinnen und Wähler an die Partei angezogen hat, aber letztendlich einer radikalen Partei damit nur Wählerstimmen zugeschanzt hat."
Und die Partei radikalisiert sich weiter. In jüngster Zeit häufen sich wieder offen extremistische Äußerungen von AfD-Vertretern. Eine Auswahl: Peter A. Gebhardt, AfD Landshut, schreibt bei Facebook: Merkel mit Hitler zu vergleichen sei
Zitat: "...eine Verharmlosung Merkels. Nicht umgekehrt."
Die Bundestagsabgeordnete Christina Baum meint zu Lesben- und Schwulenveranstaltungen, dass damit
Zitat: "Perversion auf die Straße getragen"
werde. Und Falko Keller, in 2020 AfD-Oberbürgermeister-Kandidat für Aschaffenburg, findet, ganz offen antisemitisch:
Zitat: "dass die jüdische und muslimische Religion voller Hass ist, und hier nichts verloren hat."
Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Die Sprache der AfD der vergangenen Monate zeigt, dass es hier noch weniger Mäßigung gibt als vorher. Das hängt damit zusammen, dass man die sich ohnehin schon in großen Teilen mit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz arrangiert hat, auch weil man sieht, dass das große Teile der Wählerschaft nicht tangiert, dass es sie schlicht nicht davon abhält, die Partei zu unterstützen und zu wählen. Das hängt aber auch damit zusammen, dass es immer weniger öffentliche Aufschreie gibt, dass es keinen Einspruch mehr gibt, dass man sich daran gewöhnt hat, nicht nur die Wähler*innenschaft der AfD, sondern auch in der Gesellschaft hat eine Normalisierung dieses Menschenhasses stattgefunden."
Zurück zum AfD-Parteitag in NRW. Gewählt wurde am Wochenende auch ein neuer Landeschef.
Martin Vincentz, hier präsentiert er sich als bürgerlich, gemäßigt. Aber: Bei einer Corona-Demo trat er mit der sogenannten Gadsden-Flag auf. Ursprünglich ein Freiheitssymbol, aber längst schon ein Banner von Rechtsextremen und Verschwörungsideologen in den USA, als Zeichen des Widerstands gegen das verhasste demokratische System, zu sehen auch beim "Sturm auf das Capitol". Auch in Deutschland ist das Symbol angekommen, auf Corona-Demos in der rechten Szene. Und Vincentz hat offensichtlich keinerlei Probleme, damit zu posieren.
Martin Vincentz, Landesvorsitzender AfD NRW: "Sie haben auch Regenbogen- und Friedensfahnen, die mittlerweile auf den Corona-Demos mitmarschieren. Da kann man die genauso fragen, das wird jetzt auch instrumentalisiert, warum zeigt man sich mit einer Friedensfahne."
Johannes Hillje, Experte für Rechtsextremismus: "Wie gemäßigt ein sogenannter Gemäßigter bei der AfD tatsächlich ist, sieht man in der Figur des neuen NRW-Landeschef Vincentz, der dann ja mit demokratiefeindlichen Symboliken sich in der Öffentlichkeit zeigt, sich mit einer demokratiefeindlichen Bewegung solidarisiert. Und da kann man nicht von einem moderaten Politiker mehr sprechen."
Welche Rolle extrem Rechte im AfD-Landesverband zukünftig spielen sollen, zeigt der Fall Matthias Helferich. Gegen ihn soll eine Ämtersperre verhängt werden, auch weil er sich selbst in einem Chat als das "freundliche Gesicht des Nationalsozialismus" bezeichnet hatte. Nun wurde Helferich vom Landesverband ins Landes-Schiedsgericht gewählt und könnte so zukünftig selbst über Ämtersperren und Parteiausschlüsse mitentscheiden. Ein weiteres Zeichen dafür, dass der Flügel und seine rechtsextreme Ausrichtung den Kurs der AfD bestimmt – auch im Westen.
Prof. Matthias Quent, Soziologe, Hochschule Magdeburg-Stendal: "Klar ist, dass alle, die nach dem Austritt Meuthens noch in der AfD sind, den Kurs des Flügel nun mittragen müssen."
Mit Meuthens Austritt sieht sich der Verfassungsschutz in seiner Einschätzung bestätigt: Die gesamte AfD muss beobachtet werden. Über eine Klage der AfD gegen diese Beobachtung entscheidet im März das Kölner Verwaltungsgericht. Dann wird auch gerichtlich festgestellt, wie rechtsextrem die AfD tatsächlich ist.
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