MONITOR vom 08.08.2019

Freihandel gegen Klimaschutz: Das Mercosur-Handelsabkommen der EU

Bericht: Elke Brandstätter, Achim Pollmeier, Madé Mendonca

Freihandel gegen Klimaschutz: Das Mercosur-Handelsabkommen der EU Monitor 08.08.2019 10:06 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Elke Brandstätter, Achim Pollmeier, Madé Mendonca

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Georg Restle: „Für den globalen Klimaschutz spielen die Regenwälder Südamerikas eine zentrale Rolle. Sie speichern jede Menge Kohlendioxid und sorgen so dafür, dass sich das weltweite Klima nicht noch schneller aufheizt. Die Realität in den Wäldern des Amazonasgebiets sieht aber oft so aus: Abholzung, Brandrodung, und die Vernichtung riesiger Flächen mit einem einzigen Ziel: Mehr Platz für die Agrarindustrie. Das an sich ist schon schlimm genug. Aber jetzt könnte es noch viel schlimmer kommen, wenn nämlich ein Freihandelsabkommen in Kraft tritt, das von den Regierungschefs der EU mit den so genannten Mercosur-Staaten in Südamerika beschlossen wurde. Das bisher größte Freihandelsabkommen der Welt bedeutet vor allem eins: Schlechte Aussichten für den weltweiten Klimaschutz - und nicht nur das. Elke Brandstätter, Achim Pollmeier und Madé Mendonca.“

Glückliche Kühe in artgerechter Haltung. Seit 30 Jahren versucht Bauer Wilhelm Eckei, eine nachhaltige Landwirtschaft zu betreiben. Im Moment läuft es gut für ihn, Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Die Tiere stehen auf der Weide, im Moment bekommen sie zusätzlich Heu. Importiertes Futter wie Sojaschrot verwendet Eckei nicht. Doch jetzt sieht er sein ganzes Konzept in Frage gestellt.

Wilhelm Eckei, Landwirt: „Das ist offensichtlich, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Einerseits sollen wir umweltfreundlicher produzieren, das wird auch zum Teil dann gefördert. Auf der anderen Seite holen wir uns mit so einem Abkommen genau das Gegenteil ins Land. Produkte, die ganz anders produziert werden. Also da ist grundsätzlich eigentlich kein Sinn drin.“

Es geht um das so genannte Mercosur-Abkommen. Vor einigen Wochen beim G20-Gipfel in Osaka feierten die Staats- und Regierungschefs einen Durchbruch bei den Verhandlungen.

Angela Merkel, Bundeskanzlerin: „Das ist das Ende einer 20-jährigen Verhandlungsgeschichte.“

Peter Altmaier, Bundeswirtschaftsminister (CDU), 29.06.2019: „Deutschland wird von diesem Abkommen enorm profitieren, weil wir ja ein großes Exportland sind für Maschinen, für Chemie, für Autos.“

Wachstum und Arbeitsplätze durch das bisher größte Handelsabkommen weltweit. Bisher verlangen die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay für Produkte aus der EU hohe Einfuhrzölle. Bei Autos bis zu 35 Prozent, bei Maschinen bis zu 20 Prozent, bei Chemikalien bis zu 18 Prozent. Die Abschaffung dieser Zölle soll den Absatz der Produkte massiv steigern. Im Gegenzug aber will die EU zollfreie Importe für viele Agrarprodukte aus Südamerika zulassen. Rindfleisch, Geflügel, Zucker und Ethanol zum Beispiel. Und das könnte die Folge sein: Unaufhörlich fressen sich Brandrodungen in bisher unberührte Wälder der Länder des Mercosur. Der Erhalt der Wälder Südamerikas ist zentral für das Erreichen der globalen Klimaziele. Die Wälder speichern große Mengen CO2. Durch ihre Zerstörung wird das Klimagas freigesetzt. Wo früher Wald war, sieht man jetzt gigantische Monokulturen. Zuckerrohr für Ethanol, Soja vor allem als Futtermittel für die Rinderzucht - und das Meiste für den Export.

Anna Cavazzini, Europaabgeordnete (Die Grünen/EFA): „Das größte Problem am Handelsabkommen Mercosur ist für mich, dass es ein Wirtschaftsmodell fördert, was wir eigentlich gerade überwinden wollen, nämlich eine klimaintensive Landwirtschaft, ein Handel mit Produkten, die nicht nachhaltig sind. Wo wir eigentlich sagen, gerade brauchen wir Klimaschutz, gerade brauchen wir eine Nachhaltigkeitswende im Agrarsektor, im Autosektor. Und alles das konterkariert Mercosur.“

Die größten Klimaschäden hängen direkt und indirekt an der Fleischproduktion. Nicht nur in Südamerika nimmt der Viehbestand seit Jahren dramatisch zu. Hier und überall auf der Welt steigt so der Bedarf an Soja als Futtermittel. Die Anbaufläche wächst immer weiter in die ursprünglichen Waldgebiete hinein, überwiegend für den Export. Fabricio Rosa leitet den Verband der Sojafarmer - er rechnet fest mit einer Ausweitung der Flächen, auch wegen steigender Nachfrage durch das Mercosur-Abkommen.

Fabrício Rosa, Verband der Sojaanbauer Aprobrasil (Übersetzung Monitor):„Wir haben in Brasilien noch 50 Millionen Hektar Land, die wir für die Landwirtschaft nutzen wollen. Wir können es für verschiedene Kulturen verwenden. Wenn wir es für Soja nutzen, können wir unsere Anbaufläche verdoppeln - von heute 120 Millionen Tonnen auf bald schon 240 Millionen.“

Doch es geht nicht nur um den Flächenverbrauch. Bei der Produktion in den riesigen Monokulturen werden immer mehr Pestizide eingesetzt. Der Pestizideinsatz pro Hektar ist in Brasilien achtmal größer als in Europa. Hunderte hochgiftiger Stoffe, die hier gar nicht zugelassen sind. Viele davon produzieren die deutschen Hersteller Bayer und BASF. Sie werden vom Mercosur-Handelsabkommen profitieren, durch sinkende Zölle und steigende Nachfrage. Die Geographin Larissa Bombardi erforscht seit Jahren die Folgen dieser intensiven Landwirtschaft in Brasilien.

Prof. Larissa Mies Bombardi, Geografin, Universität Sao Paolo (Übersetzung Monitor): „Soja nimmt in Brasilien inzwischen ein Gebiet ein, das der Fläche Deutschlands entspricht. In Brasilien haben wir ein ganzes Deutschland aus Soja - 98 Prozent davon ist genverändert. Dieses transgene Soja ist eine der wichtigsten Ursachen für die enorme Menge an Agrochemikalien. Es ist aber nicht nur Soja, sondern auch Mais, Baumwolle und Zuckerrohr. In den vergangenen fünf Jahren ist der Verbrauch an Agrochemikalien um 25 Prozent gestiegen.“

Bilder aus einem argentinischen Dokumentarfilm über die Folgen des Pestizideinsatzes. Die Zahlen von Missbildungen und schweren Krankheiten sind in den Landwirtschaftszentren Brasiliens und Argentiniens stark erhöht, sagen Studien. Und, alle zweieinhalb Tage sterbe schon jetzt in Brasilien ein Mensch an den Folgen des Pestizideinsatzes.

Prof. Larissa Mies Bombardi, Geografin, Universität Sao Paolo (Übersetzung Monitor): „Und dieses Abkommen wird nochmal eine Ausweitung der Produktion von Soja, Zuckerrohr und Mais bedeuten - auch in Ökosysteme wie dem Amazonas, die bisher noch einen gewissen Schutz genießen. Das alles geht zulasten der Menschen und der Umwelt.“

Die EU-Kommission weist diese Kritik zurück. Beide Seiten hätten sich im Abkommen zu strengen Umwelt- und Klimaschutzzielen verpflichtet. Deren Einhaltung werde man überwachen und einfordern. Das betont auch die deutsche Bundesregierung:

Peter Altmaier, Bundeswirtschaftsminister (CDU), 29.06.2019: „Die Erfahrung zeigt, dass von diesem Abkommen alle Seiten profitieren. Im Übrigen haben wir uns auf weitgehende und moderne Bestimmung zur Nachhaltigkeit zum Schutz von Menschenrechten verständigt. Das bedeutet, es wird kein Dumping nach unten geben.“

Tatsächlich enthält das Abkommen ein eigenes Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung. Ausdrücklich wird auf die Gefahr des Klimawandels hingewiesen, man verspricht die Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens, den Erhalt der biologischen Vielfalt und eine Verringerung der Entwaldung.

Anna Cavazzini, Europaabgeordnete (Die Grünen/EFA): „All diese Dinge werden aufgezählt, und das ist auch gut so; aber das Problem ist einfach wirklich, dass wenn es mal zu Verstößen kommt, seitens Brasiliens oder seitens Argentiniens, dann kann die EU eigentlich nicht wirklich irgendwas unternehmen, denn all diese schönen Worte sind nicht einklagbar.“

Nachhaltigkeitsklauseln in Freihandelsabkommen nutzen der Umwelt wenig, sagen Experten. Studien zeigen, dass der sogenannte „ökologische Fußabdruck“ nur verlagert wird, sagt der Politikwissenschaftler Thomas Bernauer.

Prof. Thomas Bernauer, Politikwissenschaftler, ETH Zürich: „Eine Untersuchung, die wir gemacht haben weltweit zeigt, Freihandelsabkommen führen zu einer etwas … zu einer noch etwas stärkeren Verlagerung des ökologischen Fußabdrucks aus unseren reichen Industrieländern hinaus in Entwicklungsländer.“

Und auch beim Mercosur-Abkommen sind Zweifel angebracht - vor allem beim brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Er ist der Wunschpräsident der Agrarlobby. Schon im Wahlkampf versprach er, mehr Regenwald zur Abholzung freizugeben - zu Gunsten der Landwirtschaft. Klimaschutz hält er für Geldverschwendung.

Jair Bolsonaro, Präsident Brasilien (Übersetzung Monitor): „Im Moment läuft unsere Wirtschaft fast nur durch das Agrobusiness. Aber das wird gehemmt, erstickt von diesen Umweltthemen.“

Bolsonaro ist erst seit Januar im Amt - doch mit seinen Ankündigungen macht er offenbar ernst. Unter ihm wurden schon rund 250 Pestizidprodukte zugelassen - darunter etliche gefährliche, die in Europa nicht verwendet werden dürfen. Und dann der Wald. Die Regenwälder Brasiliens gelten als Lunge der Erde, der wohl wichtigste Baustein im Klimaschutz. Satellitenauswertungen der brasilianischen Weltraumbehörde besagen, dass seit Bolsonaros Amtsantritt die Vernichtung deutlich zugenommen hat. Das Gegenteil wäre nötig, um die weltweiten Klimaziele zu erreichen. Das alles könnte der Preis dafür sein, dass bald noch mehr billiges Fleisch und Soja nach Europa importiert werden - obwohl es dafür eigentlich keinen Bedarf gibt. Denn in Europa wird schon jetzt mehr Fleisch produziert als gegessen wird.

Wilhelm Eckei, Landwirt: „So wie ich das sehe, wird durch dieses Abkommen eher großen Fleischkonzernen geholfen, die große Mengen billiges Fleisch hier importieren wollen, wo vielleicht noch mehr Urwälder gerodet werden, wo auf jeden Fall Kleinbauern von ihren Flächen vertrieben werden. Sowas brauchen wir alles nicht.“

Ob es so kommt, hängt vom Europäischen Parlament und den einzelnen EU-Staaten ab - sie müssen dem Abkommen noch zustimmen. Doch die Kritik daran, sie nimmt zu.

Georg Restle: „Der Weltklimarat hat heute ein radikales Umsteuern bei der Landnutzung gefordert, um die CO2 Belastung zu reduzieren. Die heute veröffentlichten Zahlen klingen dramatisch. Demnach beträgt der weltweite Temperaturanstieg über den Landmassen bereits 1,53 Grad.“

Kommentare zum Thema

  • Harry 29.08.2019, 15:51 Uhr

    Die größten Umweltverbrechen sitzen in den Regierungen der Staaten - das ist in der Bananen Republik Deutschland nicht anders. Da nützt es nichts, wenn der naive Deutsche seinen Hausmüll sortiert. Der wird sowieso nach Afrika oder Asien exportiert. Unsere Regierung ist wie die in Brasilien. Es wird alles getan um die Profite weniger zu steigern auf Kosten der übrigen Bevölkerung und des Weltklimas.

  • Ralph 25.08.2019, 10:23 Uhr

    Alleine die letzten paar Sekunden des Artikels "Anstieg der Temperatur über den Landmassen" reicht schon aus, um überhaupt nicht diesen Artikel zeigen zu müssen. Es wurde einfach noch nicht verstanden, wie labil diese Umwelt ist, in der wir leben. Wir, die davon geschädigt werden, können denen, die diese Entscheidungen treffen, dennoch beeinflussen: * Wählt die richtige Partei * Kauf das richtige Essen * Unterstützt beim Konsum die richtige Seite * Setzt euch bei den richtigen Themen ein

  • Fritz Zimmermann 24.08.2019, 18:02 Uhr

    .... endlich können wir wieder mal ablenken vom eigenen Versagen in der Klimafrage. Ich finde es bedenklich, dass der deutsche Zeigefinger erhoben wird. Damit will ich die Brände in Brasilien nicht entschuldigen. Die Politik dort ist genau so SCHULDIG wie das Verhalten der Europäer. Nur haben wir keinen Urwald, sondern nur eine verfehlte Agrarpolitik, Verkehrspolitik, Energiepolitik, etc. Nix Exotisches, das mit Hilfe der Armee beendet werden könnte.  Der Griff an die eigene Nase ist mühsam.