Bericht: Nikolaus Steiner, Jana Heck, Kamilla Pfeffer
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Georg Restle: „Auch wenn in Deutschland zurzeit nur wenig darüber berichtet wird, in Libyen eskaliert seit Wochen der Bürgerkrieg. Und das hat eine Menge mit uns zu tun. Schließlich lässt Europa gerade Tausende Flüchtlinge aus dem Mittelmeer direkt dorthin zurückschicken. In Lager, in denen sie schlimmsten Menschenrechtsverletzungen ausgeliefert sind und die jetzt auch noch von immer näher rückenden Kampftruppen bedroht werden. Diese Aufnahmen erreichten uns letzte Woche. Sie zeigen, wie Flüchtlinge in einem dieser Lager beschossen werden. Ein Lager, das mitten im Kriegsgebiet liegt. Verzweiflung in den Lagern - und auf dem Mittelmeer. Die Seenotrettung von Flüchtlingen habe mittlerweile keine Priorität mehr, teilte die von der UN anerkannte Regierung in Tripolis letzte Woche mit. Das dürfte dramatische Folgen haben, zumal es keine zivilen Rettungsschiffe mehr gibt. Bisher sind in diesem Jahr schon rund 250 Flüchtlinge im zentralen Mittelmeer ertrunken. Und das sind nur die Fälle, von denen man sicher weiß. Nikolaus Steiner, Jana Heck und Kamilla Pfeffer.“
10. April. Bilder des Seenotrettungsflugzeugs von Sea-Watch. Etwa 20 Menschen befinden sich in Seenot. Die ehrenamtlichen Helfer von Sea-Watch wenden sich an Italien.
Mann: „Hello?“
Seenotretter (Übersetzung Monitor): „Hier ist noch einmal der Verbindungsoffizier des Flugzeugs “Moonbird”. Wir haben versucht, die Libysche Seenotleistelle zu erreichen, aber niemand ist an das Telefon gegangen. Wissen Sie ob die Lybische Küstenwache aktiv ist? Angesichts des Krieges in Tripolis?
Mann (Übersetzung Monitor): „Im Augenblick habe ich dazu keine Informationen. Wir warten immer noch auf einen weiteren Anruf von denen.“
Gedächtnisprotokoll nachgesprochen:
Mann: „Hier ist die Seenotleitung Bremen, ja.”
Sea-Watch:„Welche Behörde halten Sie aktuell für zuständig, den Seenotrettungsfall zu koordinieren?”
Mann: „Zuständig - rein rechtlich zuständig ist der Libysche Staat. Und wenn es den nicht gibt, dann haben wir eine Situation, da ist am Ende rein rechtlich niemand zuständig.”
Niemand zuständig? Bis zu acht Menschen sollen gestorben sein. Erst nach etwa 14 Stunden kommt Rettung, koordiniert von der Libyschen Küstenwache.
26. März. Es gab eine Meldung über 41 Menschen in Seenot. Der Kapitän der deutschen Rettungsorganisation Sea-Eye wendet sich an die Seenotleitstelle in Deutschland.
Audioaufnahme, Kapitän Sea-Eye: “Ich versuche hier, händeringend an Informationen zu kommen. In Libyen erreiche ich niemanden. Ich schreibe regelmäßig, ich telefoniere regelmäßig. Dieses Boot ist irgendwo, hier in der Gegend.”
Von den 41 vermissten Menschen fehlt bis heute jede Spur. Eine Libysche Küstenwache, die offenbar schlecht erreichbar ist - und die weiterhin von der EU und Deutschland trainiert und ausgerüstet wird. Wie kann das sein? Bis Sommer letzten Jahres war Italien für die Seenotrettung bis kurz vor der libyschen Küste verantwortlich. Gerettete Flüchtlinge wurden an einen sicheren Ort nach Europa gebracht. Seit letztem Jahr sind die Libyer für die Such- und Rettungseinsätze zuständig. Sie bringen Flüchtlinge zurück nach Libyen. Hilfsorganisationen berichten, dass die Küstenwache so gut wie nie erreichbar sei.
Ruben Neugebauer, Rettungsorganisation Sea-Watch: „Dadurch, dass wir unsere Aufklärungsflugzeuge dort jeden Tag in dem Seegebiet im Einsatz haben, rufen wir die prinzipiell täglich an. Fast täglich ist es so, dass wir auf mehreren Nummern niemanden erreichen und wenn man jemanden erreicht, dann eben niemanden Englischsprachigen. Das bedeutet, dass man sich eben unnötigerweise viele Stunden lang in Lebensgefahr befindet und in vielen Fällen kommt es dann eben auch zur Katastrophe, passiert es dann halt auch, dass Boote verloren gehen.”
Auch die Bundesregierung bestätigte jüngst, ihr seien:
Zitat: „(...) Berichte über Schwierigkeiten bei der elektronischen oder telefonischen Erreichbarkeit (...) der Libyschen Küstenwache bekannt.”
18. März: ca. 50 Menschen sind in Seenot. Sea-Watch kontaktiert die Libysche Küstenwache:
Mann: „Hello!“
Moonbird (Übersetzung Monitor): „Hier spricht der Verbindungsoffizier der Verbindungsoffizier der “Moonbird“…“
Mann (Übersetzung Monitor): „Nein, kein Englisch! Kein Englisch!“
Moonbird (Übersetzung Monitor): „Ja, ja… Wir haben einen Seenotfall…“
Mann (Übersetzung Monitor): „Kein Englisch, nur Arabisch!“
Moonbird (Übersetzung Monitor): „Ja, wir haben einen Seenotfall! Ein Schlauchboot…“
Mann (Übersetzung Monitor): „Kein Englisch, kein Englisch!“
Moonbird (Übersetzung Monitor): „Bitte Sir, Sie sind die Libysche Seenotleitstelle… Sie sind verantwortlich für Seenotfälle, und ich melde Ihnen einen!“
Mann (Übersetzung Monitor): „Bitte, nein, spreche kein Englisch!“
Kontaktversuch mit einem Land, in dem der Bürgerkrieg eskaliert. Vororte der Hauptstadt Tripolis in den vergangen Tagen. Milizen aus dem Osten des Landes kämpfen gegen Milizen aus dem Westen - ein offener Bürgerkrieg. Mindestens 42.000 Libyer sind mittlerweile vor den Kämpfen geflohen, berichten die Vereinten Nationen. Und so präsentiert sich die Libysche Küstenwache in diesen Tagen: Bereit für den Kampf um Tripolis. Seenotrettung sei keine Priorität mehr, verkündete der libysche Innenminister vergangene Woche via Facebook.
Fathi Bashagha, Innenminister Libysche Einheitsregierung, 26.04.2019 (Übersetzung Monitor): „Die Küstenwache war verantwortlich dafür, die Küsten vor illegaler Migration zu schützen. Nun mussten wir einen großen Teil abziehen, um die Küsten vor den angreifenden Gruppen von Warlord Haftar zu schützen.”
Trotzdem setzen die EU und Deutschland weiter auf die Libysche Küstenwache. Diese hat in diesem Jahr schon mehr als 1.000 Menschen vom Mittelmeer zurückgebracht, zurück in ein Kriegsgebiet. Flüchtlinge landen dann in solchen Internierungslagern, weit weg von Europa. Seit Wochen rücken angreifende Milizen von Süden immer weiter auf die Hauptstadt Tripolis vor. Unweit der Front gibt es sieben staatliche Flüchtlingsgefängnisse, in denen etwa 3.000 Gefangene - darunter auch Frauen und Kinder - interniert sind.
Philipp Frisch, Ärzte ohne Grenzen: „Die sind besonders gefährdet, weil sie eben keine Möglichkeit haben, sich zu schützen, weil sie gefangen sind in diesen Lagern, weil Kampfhandlungen direkt in unmittelbarer Nähe stattfinden, weil es Explosionen gibt, Schusswechsel. Und sie sind nicht nur gefährdet durch Querschläger oder durch, sozusagen durch diese Art von Beschuss, sondern sie werden auch direkt angegriffen. Das heißt, die geflüchteten Migrantinnen sind in direkter, akuter Lebensgefahr.”
Wie gefährlich die Lage ist, zeigen Aufnahmen aus dem Flüchtlingsgefängnis Kasr Bin Gaschir aus der vergangenen Woche. Bewaffnete hätten das Feuer auf Gefangene eröffnet, berichtet die Organisation „Ärzte ohne Grenzen”. Es soll mehrere Tote und mindestens zwölf Verletzte gegeben haben. In solch eine Kriegssituation dürfe man keine Flüchtlinge zurückbringen, fordern nun die Vereinten Nationen.
Georgette Gagnon, UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (Übersetzung Monitor): „Libyen ist kein sicherer Ort, an den Flüchtlinge oder Migranten zurückgebracht werden können. Und die Kämpfe, die wir gerade erleben, verstärken unsere Sorgen zusätzlich.”
Philipp Frisch, Ärzte ohne Grenzen: „Und die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung müssen jetzt, spätestens jetzt, reagieren und ihre Unterstützung beispielsweise für die Libysche Küstenwache einstellen, die ja die Menschen genau wieder zurückbringt in diese Gefahr, in diesen Kreislauf aus Ausbeutung, Gewalt. Und das kann so nicht weitergehen.“
Es geht aber weiter: Die EU und die Bundesregierung teilen uns mit, man wolle die Libysche Küstenwache auch zukünftig ausbilden und ausrüsten, damit mehr Menschen aus Seenot gerettet werden. Durch eine Küstenwache, die offenbar kaum erreichbar ist - und Menschen zurück in ein Land bringt, in dem der Krieg eskaliert.
Georg Restle: „Wir haben die Bundesregierung gefragt, ob sie Libyen angesichts der jüngsten Entwicklungen nach wie vor für einen sicheren Staat hält, in den man Flüchtlinge zurückbringen kann. Dazu gabs keine Antwort. Nur so viel, man begrüße es, wenn die Flüchtlinge aus der Kampfzone evakuiert werden. Die Frage ist nur, wohin?“
Kommentare zum Thema
Unglaublich, wie lange will die Politik noch bei diesem Sterben zusehen bzw die Augen davor verschließen? Es muss gehandelt werden: JETZT! Wir müssen die Menschen aus den libyschen Lägern sofort evakuieren!
Tja ... wenn es zum Thema "Menschenrechte" deutscher Bürger sich um den Einsatz von Polizei-Tasern handelt, ist der deutsche Bürger entsetzt. Handelt es sich zum Thema "Menschenrechte um Flüchtlinge aus Libyen" ... tja ... dann ... ___ Übrigens Ingrid ... "Leier". Und wenn "Menschenlieferungen" zu Güterware werden ... Nelson Mandela lässt grüßen.
Immer wieder die selbe Layer......wer sitzt denn in den Booten, etwa Libyer ??? Ich habe noch von keinem einzigen gelesen, die kommen aus allen Ecken Afrikas, selbst Syrer nehmen diesen gewaltigen Umweg in Kauf nur um in ein Paddelboot zu gelangen. Hunderttausende, man schätzt sogar 1 Million hocken im Umland und warten nur auf ihre Chance um irgendwie nach Europa zu gelangen. Da von diesen "Menschenlieferungen" nur 2-3 % hier Asyl erhalten, kann sich jeder ausrechnen wie viele dabei auf der Strecke bleiben. Den Familien geht es noch schlechter, weil sie den letzten Cent zusammen gekratzt haben um die Schlepper zu bezahlen. Natürlich erwarten die Geld, denn das hat man ihnen in den Märchenstunden ja versprochen....Europa ist das Paradies....besonders Deutschland, aber auch das Paradies hat Grenzen und die Träume zerplatzen wie Seifenblasen. DAS muss in Afrika verbreitet werden, damit die erst gar nicht nach Libyen pilgern und der ganze Spuk hätte schnellstens ein Ende.