MONITOR vom 30.11.2017
Krebsmedikamente ohne Nutzen: zweifelhafter Profit der Pharmaindustrie
Dialogbox
Kommentieren [29]Bericht: Lutz Polanz, Ursel Sieber
Krebsmedikamente ohne Nutzen: zweifelhafter Profit der Pharmaindustrie
Monitor. 30.11.2017. 07:31 Min.. Verfügbar bis 30.12.2099. Das Erste.
Achim Pollmeier: „Wenn man gegen eine Krebserkrankung kämpft, dann ist man für alles dankbar, was das Leben verlängert oder die Krankheit zumindest erträglicher macht. Und es gibt ja auch immer neue Medikamente, die genau das versprechen. Den Pharmaherstellern bringen sie Milliardenumsätze. Aber, nutzen sie wirklichen den Patienten? Eine Recherche von Lutz Polanz und Ursel Sieber.“
Christina Birkenfeld: „Ich bin letztes Jahr im Februar an Brustkrebs erkrankt. Dann bekam ich meine ersten OPs, es wurde der Tumor entfernt. Chemotherapie, unter der ich sehr gelitten habe, mit Übelkeit und alles, was dazugehört.“
Christina Birkenfeld, 35 Jahre alt. Der Krebs hat ihre Brust befallen und ihr Hüftgelenk zerstört. Sie ist unheilbar krank. Eine Situation, in der man sich an jeden Strohhalm klammert. Doch nach ihrer letzten Chemo landete Christina Birkenfeld in der Notaufnahme.
Christina Birkenfeld: „Den nächsten Tag, als ich aufgewacht bin, hatte ich das Gefühl, als wenn mein eigenes Körpergewicht mich erdrückt, also, als wenn so ein Bus über mich drüber gefahren wäre. Ich muss fast sagen, dass ich schon ein bisschen Todesangst hatte, weil die Chemos davor nicht so waren. Ich hatte noch nie so fürchterliche Schmerzen.“
Chemotherapien - kombiniert mit neuartigen Wirkstoffen. Oder oft eine Tortur für den Körper, die schwer kranke Patienten aber auf sich nehmen, weil sie sich zumindest ein längeres oder besseres Leben mit der Krankheit versprechen. Doch genau daran weckt jetzt eine Studie aus England massive Zweifel. Es geht um neue Zulassungen für Krebsmedikamente in der EU in den Jahren 2009 bis 2013. 48 Krebsmedikamente für 68 verschiedene Anwendungsgebiete. Courtney Davis vom King’s College London hat die Untersuchung federführend begleitet.
Courtney Davis, King’s College London: “We found that at the time the drugs were approved onto the market the majority had not shown any impact on the two outcomes that are most important for cancer patients. And that is whether the drug will extend the patient’s life or whether it will improve the patient’s quality of life. Either of their existing treatment opons or over placebo.“
„Wir fanden heraus, dass die meisten Wirkstoffe zum Zeitpunkt ihrer Zulassung keine Auswirkung darauf erkennen ließen, was den Krebspatienten am wichtigsten ist: Nämlich, dass das Medikament ihr Leben verlängert oder ihre Lebensqualität verbessert, weder verglichen mit bestehenden Therapien noch im Vergleich zu Plazebo.“
Und das ist auch Jahre später noch so, stellten die Forscher fest. Die gute Nachricht: bei rund der Hälfte der Zulassungen wirkten die Medikamente nachweislich. Die schlechte Nachricht aber: Bei der anderen Hälfte, 49%, konnte die Studie keinen relevanten Nutzen erkennen: keine Lebensverlängerung, keine Verbesserung der Lebensqualität.
Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: „Das ist eine erschreckende Zahl und ich finde es auch wichtig, dass sie erstmals in dieser Untersuchung für Europa so deutlich wurde. Und ich denke, jetzt ist sowohl natürlich die Zulassungsbehörde, aber auch die Gesundheitspolitik gefragt, um in diesem System mehr Klarheit zu schaffen.“
Das ist die Liste der Wirkstoffe und der Anwendungsgebiete, bei denen die britischen Forscher keinen relevanten Nutzen für die Patienten feststellen konnten. Darunter auch Wirkstoffe, die in Deutschland häufig verordnet werden.
Auf Anfrage von MONITOR widersprechen die Hersteller der Studie. Man habe Wirksamkeit und Nutzen der eigenen Medikamente nachgewiesen. Ein klinischer Nachweis für eine lebensverlängernde Wirkung sei aber schwierig.
Christina Birkenfeld hat erst vor wenigen Tagen eines der Medikamente von der Liste bekommen. Bevacizumab, Handelsname: Avastin. Erst danach hat sie erfahren, dass sie die schlimmen Nebenwirkungen möglicherweise umsonst ertragen hat.
Christina Birkenfeld: „Mir wurde mal gesagt, ohne Nebenwirkung keine Wirkung. So habe ich das auch immer gedacht bei der Chemo, und wenn ein Medikament so starke Nebenwirkungen macht, dann will ich auch viel Wirkung davon haben.“
Inzwischen hat Christina Birkenfeld die Behandlung mit Avastin abgebrochen. Der Hersteller des Medikamentes, die Firma Roche, teilt uns auf Anfrage mit: Die Wirksamkeit und Sicherheit von Avastin sei in mehr als 500 Studien nachgewiesen. Avastin verlängere bei Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs die Zeit, in der die Krankheit nicht fortschreitet und der Tumor nicht wächst. Ähnlich argumentieren auch andere Hersteller und sogar die Zulassungsbehörde. Kritiker wollen das nicht gelten lassen: Denn es bedeutet nicht, dass Patienten dadurch auch länger oder besser leben.
Zuständig für die Zulassungen der Krebsmedikamente in der EU und damit auch in Deutschland ist die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in London. Die hat die Verfahren für neue Krebsmedikamente in den letzten Jahren deutlich beschleunigt. Das Ziel der EMA: krebskranke Patienten sollten so schnell wie möglich die neuen Medikamente erhalten. Für erfahrene Krebsmediziner wie Wolf-Dieter Ludwig ist das in den meisten Fällen aber gar nicht nötig.
Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: „Die meisten dieser beschleunigten Zulassungen beziehen sich auf Indikationen, wo wir durchaus Alternativen haben und wo die neuen Medikamente eigentlich nachweisen müssen, dass sie den bereits verfügbaren deutlich überlegen sind.“
Die schnelle Zulassung wird so immer mehr zum Problem. Denn schnelle Zulassung heißt auch: kürzere Studien - weniger untersuchte Patienten - unsicherere Daten.
Prof. Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom, Universität Bremen: „Für den Hersteller ist eine beschleunigte Zulassung Geld wert, das heißt, man hat die Chance, dieses Arzneimittel rasch auf den Markt zu bringen, man hat die Chance, hohe Preise zu verlangen. Wir sprechen auch tatsächlich von Mondpreisen, die von den Herstellern festgelegt werden und der Hersteller hat die Chance, ein patentgeschütztes Arzneimittel gegenüber möglichen Konkurrenten frühzeitig im Markt zu positionieren.“
Eine Folge: Immer höhere Behandlungskosten von bis zu 100.000 Euro pro Patient und Jahr. Und so steigen die Ausgaben für Krebsmedikamente seit Jahren dramatisch. Von 3,8 Milliarden Euro im Jahr 2012 auf 5,77 Milliarden in 2016, allein in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Eine Zunahme um 52 Prozent. Fakt ist: Einmal zugelassen, bleiben die allermeisten Krebsmedikamente auf dem Markt. Und müssen meist nicht mehr nachweisen, ob sie das Leben verlängern oder die Lebensqualität verbessern. Es fehlt eine „späte Nutzenbewertung“. Das bedeutet: Krebsmedikamente sollten auch einige Jahre nach der Zulassung auf ihren wahren Nutzen überprüft werden. Die Forderung ist nicht neu. Schon 2010 haben Experten wie Professor Glaeske sie in einem Gutachten für das Bundesgesundheitsministerium formuliert.
Prof. Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom Universität Bremen: „Im Prinzip muss aus solchen Untersuchungen, dass ich in der beschleunigten Zulassung viele Defizite in der Information habe, die Konsequenzen erfolgen, dass ich im Markt, d.h. in der Versorgung eine späte Nutzenbewertung anschließe. Das heißt, ich brauche Studien in der Situation, wenn Patientinnen und Patienten versorgt werden und mit diesen Mitteln behandelt werden. Das passiert bisher nicht. Insofern hat die Politik verfehlt diese Aspekte eben umzusetzen.“
Das Bundesgesundheitsministerium teilt auf MONITOR-Anfrage mit, man halte die bestehenden gesetzlichen Regelungen für ausreichend.
Heißt: alles soll bleiben, wie es ist. Dabei bräuchten Menschen wie Christina Birkenfeld dringend Orientierung, ob und welche Therapien ihnen wirklich helfen. Und ob sie die Tortur einer Chemo überhaupt noch auf sich nehmen sollen.
Christina Birkenfeld: „Ich denke einfach, wenn man wirklich nur noch eine gewisse Zeit hat zu leben, dann soll man es auch leben und nicht sich noch weiter quälen. Also, wenn jetzt zu mir einer sagen würde, mit Chemo leben Sie zwei Jahre, ohne vielleicht nur eins, dann würde ich mir ein schönes Jahr machen.“
Achim Pollmeier: „Ja, selbst die Europäische Arzneimittelbehörde teilte uns übrigens mit, die Ergebnisse der Studie seien wohl korrekt.“
Stand: 28.11.2017, 13:38 Uhr
29 Kommentare
Kommentar 29: Erich f . schreibt am 26.09.2019, 08:51 Uhr :
Was IST mit der Liste DER unwirksamen Medikamente!!!
Kommentar 28: dr walter schreibt am 18.01.2019, 00:29 Uhr :
Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er gegen unsere Netiquette verstößt. (die Redaktion)
Kommentar 27: Holger Sauer schreibt am 03.12.2017, 17:34 Uhr :
Gute Argmente für die Anwälte der Verteidigung beim sogenannten Apotheker Prozess um den Bottroper Peter S.
Kommentar 26: Anonym schreibt am 03.12.2017, 17:32 Uhr :
Gute Argmente für die Anwälte der Verteidigung beim sogenannten Apotheker Prozess um den Bottroper Peter S.
Kommentar 25: Hans Kersten schreibt am 03.12.2017, 17:21 Uhr :
Wo ist die Liste, die im Video angedeutet wird???
Kommentar 24: Max Paul Beyer schreibt am 02.12.2017, 11:54 Uhr :
Wenn Sie schon einen solchen bekanntermaßen nur schöner ScheinBericht senden, so veröffentlichen Sie doch bitte eine Liste der als unwirksam bekannten Wirkstoffe! Oder ist die Pharmaindustrie so mächtig dass sie eine Veröffentlichung unterdrücken kann? Die sog. "Pressefreiheit" in diesem Land Absurdistan ist ja
Kommentar 23: Doris schreibt am 01.12.2017, 20:09 Uhr :
Gibt es eine Liste der fragwürdigeren Medikamente? Habe Mamma CA und würde das gerne erfahren
Kommentar 22: Karola schreibt am 01.12.2017, 16:41 Uhr :
Der Bericht liest sich an wie eine Glosse:" Wie verdient ein (DAX ?)Unternehmen ganz schnell viel Geld ?" "So. Man erzähle schöne Geschichten über ein verlängertes Leben. Wie das Leben dann wirklich ist spielt keine Rolle. Hauptsache die Betroffenen schlucken brav und mit ganz viel Angst im Nacken die Medikamente, die ihnen nicht gut tun." Dass das Bundesgesundheitsministerium keinen Handlungsbedarf in Sachen Nachsorge sieht kann man nur kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen. Dummheit tut leider nicht weh. Bleibt zu hoffen, dass die deutsche Ärzteschaft, die sich mit diesem Thema befasst, Widerstand leistet und ihre Patientinnen und Patienten durch eine gute Information schützt und diese "Neuen" nicht verordnet. Zusätzlich können Betroffene im Internet suchen, welche seriösen Behandlungsmethoden alternativ möglich sind; auch im Buchhandel gibt es sehr viele Bücher von Ärzten viele aus den USA und Betroffenen, wie sie die jeweilige Krebserkrankung geheilt haben. Sehr zu empfehlen!!!
Kommentar 21: Tejo schreibt am 01.12.2017, 16:13 Uhr :
Auch Ich haette gerne diese Liste wonach Herbert heutemorgen gefragt hat ("Bitte geben Sie die Bezeichnungen der krebsmedikamente bekannt, bei denen eine Verbesserung eingetreten ist.") . . . Gibt es die? Ich hoffe das Sie die zu diesem Beitrag auf die Website veroeffentlichen koennen!
Kommentar 20: Daniela schreibt am 01.12.2017, 16:03 Uhr :
Ich war auch hier auf der Suche nach einer Auflistung der Medikamente...
Kommentar 19: Herbert dürdodt schreibt am 01.12.2017, 08:45 Uhr :
Ich leide an Prostatakrebs mit Metastasen. Derzeit erhalte ich eine Chemo. Bitte geben Sie die Bezeichnungen der krebsmedikamente bekannt, bei denen eine Verbesserung eingetreten ist. Ohne eine solche Info haben die betroffenen keinen Nutzen.