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MONITOR vom 11.08.2016

Fethullah Gülen - Drahtzieher des Putsches?

Georg Restle: „Besonders hart trifft es in der Türkei zurzeit diejenigen, die mit der sogenannten Gülen-Bewegung in Verbindung gebracht werden. Für den türkischen Präsidenten steht fest, niemand anders als sein alter Weggefährte steht hinter dem kläglich gescheiterten Putsch. Auch die meisten Türken glauben das. Aber was wissen wir eigentlich wirklich über die Drahtzieher des Putschversuchs? Und was taugen die Beweise, die uns von der türkischen Regierung bisher präsentiert wurden?“

Der Mann, der angeblich für den Putsch verantwortlich ist: Fethullah Gülen. Heute lebt er zurückgezogen in den USA. Jahrelang war er engster Wegbegleiter des türkischen Präsidenten Erdogan, der die Netzwerke Gülens nutzte, zum Aufstieg an die Spitze des türkischen Staates. Das Verhältnis der beiden hat Professorin Jenny White von der Universität Stockholm über Jahre beobachtet.

Jenny White, Universität Stockholm (Übersetzung Monitor): „Immer wenn Erdogan als Premierminister nach Afrika oder irgendwohin geflogen ist, war das Flugzeug voll mit Geschäftsleuten, die oft Gülen unterstützt haben und dort dann Schulen und Geschäfte eröffnet oder Verträge geschlossen haben. Das war eine sehr produktive Symbiose.“

2013 dann der Bruch. Richter und Staatsanwälte, die Gülen nahe standen, ermittelten gegen engste Verbündete Erdogans - wegen Korruption. Für den damaligen Regierungschef eine Verschwörung seines ehemaligen Mitstreiters Gülen.

Jenny White, Universität Stockholm (Übersetzung Monitor): „Justiz und die Polizei haben versucht, enge Verbündete Erdogans wegen Korruption zu verhaften. Sie haben das auch bei Leuten aus dem sehr nahen Erdogan-Kreis geschafft. Sie haben viele Schuhboxen voll mit Geld unter Betten gefunden. Erdogan hat das gestoppt, indem er die Justiz und die Polizei auseinandergenommen hat. Er hat die Polizisten gefeuert, er hat die Richter ins Niemandsland versetzt. Und er hat den Prozess gestartet, der jetzt gerade stattfindet und fast abgeschlossen ist.“

Die Putschnacht vom 15. Juli, für Erdogan ein „Geschenk Gottes“. Der letzte Schlag gegen den alten Verbündeten. Aber welche Beweise gibt es? In den regierungstreuen Medien werden vor allem zwei Zeugen benannt: Oberstleutnant Levent Türkkan. Er gilt als Kronzeuge des Präsidenten für die Gülen-Verschwörung. Seine Aussage, nur Stunden nach dem Putsch, möglicherweise unter Folter erpresst. Und: General Fatih Sagir, der angeblich eine Schlüsselrolle für das Militär übernommen hätte. Allerdings hat er sich nach eigener Aussage schon 2007 von Gülen losgesagt. Für unabhängige türkische Journalisten wie Yavuz Baydar sind diese Beweise höchst zweifelhaft. Und mehr noch, Journalisten in der Türkei haben weitere Quellen und Beweise gefunden, die dafür sprechen, dass es weit mehr Putschbeteiligte gibt.

Yavuz Baydar, Plattform für unabhängigen Journalismus P24 (Übersetzung Monitor): “Als meine Kollegen durch das Material gegangen sind, das es bisher gibt, haben sie gemerkt, dass es voller Widersprüche ist. Einige Offiziere, die von der regierungsnahen Zeitung Sabah genannt wurden haben gesagt, dass sie auf Anweisung von Gülen und seinen Anhängern gehandelt haben. Andere haben das ganz klar und eindeutig verneint, dass sie Teil dieser Bewegung sind und mit Gülen sympathisieren.“

Jenny White, Universität Stockholm (Übersetzung Monitor): „Ich bin sicher, dass Gülen-Anhänger irgendwie involviert waren, aber ich weiß seit einigen Jahren - sagen wir seit zehn Jahren - dass vor allem die unteren Offiziere, dass viele von ihnen mit Gülen sympathisieren. Aber ich bezweifle, dass sie es alleine waren. Also, wer sonst war beteiligt? Wir haben keine Ahnung. Es gibt viele weitere Verdächtige, aber niemand spricht darüber. Der Fokus ist nur auf Gülen, als ob es niemand anderen geben würde.“

Wer also steckt wirklich hinter dem Putsch? Die türkische Regierung und Präsident Erdogan haben sich festgelegt. Die Wirklichkeit allerdings dürfte weit komplizierter sein.

Kommentare zum Thema

  • Janssen 12.08.2016, 15:22 Uhr

    Man muss zwei Seiten sehen: Einmal die vollkommen überzogene Reaktion auf den Putschversuch, zum Zweiten die Angst vor einem weiteren Putschversuch. So wie es aussieht, macht Erdogan auch die USA für den Putsch verantwortlich, darum auch die neue „Sympathie“ für Russland. Die CIA wird sicherlich Bescheid gewusst haben. Angeblich (!) hat der russische Geheimdienst Erdogan gewarnt. Erdogan hat keinen „Verbündeten“ mehr, dem er vertrauen kann. Und das ist gut so. Bestenfalls sind es gute Kontakte zu Saudi-Arabien und den Golfstaaten, von denen er sich noch Rückhalt erhofft. Aber auch die können die Türkei nicht retten, wenn das Land wirtschaftlich vor die Hunde geht. Zurzeit kann man nur au f Russland hoffen, dass es Putin gelingt, die Kriege (gegen Kurden und Syrien) zu beenden.

  • Elfriede K. 11.08.2016, 22:43 Uhr

    Ich verstehe natürlich die Ängste und Sorgen der zurückgewiesenen und ausgegrenzten Gülenanhänger. Mehr noch sorgt mich aber die kindliche Unbefangenheit unserer Regierung in diesem Fall. Einerseits sollen wir die Leute von Gülen schützen und andrerseits versucht Frau Merkel dem Herrn Erdogan in fast jeder Beziehung zu Gefallen zu sein. Wenn sich zwei Gäste in meinem Zuhause streiten und wenn sie es so tun, dass ich und andere dabei in Mitleidenschaft gezogen werden, dann werfe ich beide kurzerhand raus. Ich lasse sie künftig auch nicht mehr rein - nur für den Fall, dass dieser Erdogan meint, er müsste mal wieder bei uns seinen Wahlkampftumult aufführen.

  • Matheus Perger 11.08.2016, 22:29 Uhr

    Was kann mir als Deutschem zu Erdogan versus Gülen einfallen? Vielleicht, dass nun das befremdliche Verhalten und Auftreten, das die Türken bereits seit Jahren gegenüber uns Deutschen, unserer Demokratie sowie unserem Rechtsstaat völlig freizügig und ungeniert hier ausleben dürfen, jetzt in ihren eigenen Reihen grassiert? Ich bin sehr für den Schutz von Minderheiten, sofern diese unsere Gesetze und unsere Kultur achten. Ich wüsste wirklich nicht für welche Seite ich bei diesem "Bruderzwist" Partei ergreifen sollte. Eines aber sollten wir uns nicht länger bieten lassen: Dass Deutschland als Arena für derartige Darbietungen herhält!