MONITOR vom 25.02.2016

Grüne Träume: Auf CDU-Kurs zum Wahlsieg?

Bericht: Stephan Stuchlik, Peter Onneken, Kim Otto, Sascha Adamek

Grüne Träume: Auf CDU-Kurs zum Wahlsieg? Monitor 25.02.2016 06:05 Min. Verfügbar bis 25.02.2099 Das Erste

Georg Restle: „In gut drei Wochen könnte es in diesem Land ein politisches Erdbeben geben. Bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt drohen jedenfalls riesige Verluste, vor allem bei CDU und SPD. Aber es gibt da eine Partei, die träumt heute schon vom ganz großen Wahlsieg. Die Grünen in Baden-Württemberg könnten sogar stärkste Partei werden, dank ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Dafür hat die Partei allerdings dann noch so einiges über Bord geworfen, was früher mal zu ihrem Markenkern gehörte. Stephan Stuchlik und Kim Otto waren im Südwesten unterwegs und fragten sich, was eigentlich noch grün ist an den Grünen in Baden-Württemberg.“

Winfried Kretschmann, 1982: „Es gibt keine Politik, wo man nicht in Schwierigkeiten kommt, wo man sich nicht entfernt von dem, was man ursprünglich wollte. So eine Politik gibt es nicht.“

Winfried Kretschmann und die Entfernung von alten grünen Idealen. Wir sind mit dem Ministerpräsidenten auf Wahlkampftour. Der Mann sonnt sich im Umfragehoch, gibt den perfekten Landesvater. Die Krawatte ist grün, aber was er in der Flüchtlingspolitik vertritt, hätten seine Vorgänger aus der CDU kaum besser formulieren können.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Sie kennen alle das Hauptgebot des Christentums „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Aber dieses Gebot heißt, liebe deinen Nächsten wie dich selbst, darin steckt ja, wir müssen uns auch nicht überfordern.“

Nicht überfordern bei der Nächstenliebe, eine sehr originelle Formulierung für Kretschmanns Politik gegen mehr Flüchtlinge. Der Mann hat gerade Zustimmung dafür signalisiert, Marokko, Algerien und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären.

In Berlin stößt er damit fast die gesamte Bundestagsfraktion und ihren Vorsitzenden vor den Kopf, die vehement gegen diese Herkunftsland-Regelung kämpfen.

Anton Hofreiter (B‘90/Grüne), Fraktionsvorsitzender: „Ja glaubt denn irgendjemand, dadurch, dass wir in ein Gesetz reinschreiben „das ist ein sicheres Herkunftsland“, dass in diesen Ländern da was besser wird? Dass die Leute sagen: „Oh, ich bin zwar gefoltert worden, aber ich werde in einem sicheren Herkunftsland gefoltert. Ich glaube, jetzt fliehe ich nicht mehr.“

Kretschmann kennt die Sprengkraft seiner Flüchtlingspolitik, seine mögliche Zustimmung hat er bis nach der Wahl verschoben. Bis dahin prüfe man noch.

Reporter: „Warum ist zum Beispiel Algerien Ihrer Meinung nach ein sicheres Herkunftsland?“

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Das habe ich noch gar nicht geprüft.“

Reporter: „Aber Sie haben doch gesagt ...“

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Ich hab doch noch gar nicht zugestimmt.“

Reporter: „Sie haben doch selbst gesagt: „Maghreb, das sind die Länder, mit denen wir besondere Probleme haben, und wir sollten deren Asylverfahren zuvorderst prüfen“, ich zitiere Sie.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Aber das ist doch kein Kriterium, ob sie ein sicheres Herkunftsland sind, oder nicht. Ob wir damit Probleme haben, mit denen, die da kommen, das hat doch damit nichts zu tun.“

Reporter: „Sie würden also ausschließen, dass Sie dem zustimmen.“

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Nein.“

Natürlich nicht, denn längst wird schon über den angeblichen Kretschmann-Deal berichtet: Wenn 20.000 Altfälle ein Bleiberecht bekämen, wolle er der Herkunftsland-Regelung zustimmen. Kretschmanns Landesvertretung will von diesem Angebot nichts wissen. Monitor-Recherchen aber bestätigen: In der grünen Parteispitze wurde genau über dieses Angebot diskutiert.

Die Grüne Jugend in Baden-Württemberg ist über die „Flexibilität“ ihres Ministerpräsidenten bei der Flüchtlingspolitik regelrecht empört. Hier geht es um die Seele der Partei.

Mann: „Ich sehe eigentlich, dass wir den grünen Markenkern aufgeben, also, die Entscheidung wurde auch von der Partei sehr kritisch gesehen, mit den sicheren Herkunftsstaaten. Und es war eben eine Entscheidung des Ministerpräsidenten.“

2. Mann: „Also da wünsche ich mir schon im Prinzip diese menschlichen Grundlagen, wieder zu sagen, da machen wir nicht mit!“

So sah das 1980 aus, als sich die Partei „Die Grünen“ gründete, in Baden-Württemberg wohlgemerkt. Eine Ökopartei, eine Asylpartei, vor allem auch eine Friedenspartei, die auch vehement gegen die Rüstungsindustrie kämpfte.

Apropos Rüstungsindustrie: Jetzt regieren die Grünen das Land und auch bei diesem Thema schwinden die Unterschiede zu den Vorgängern von der CDU. Kretschmann steht eben für Kontinuität, auch wenn es sehr heikel wird. Spendengelder aus der Rüstungsindustrie wurden jahrzehntelang von den Grünen gebrandmarkt. Und jetzt?

An Spenden vom Industrieverband Südwestmetall bekamen die Grünen Baden-Württemberg 2012 und 2013 60.000,00 Euro, 2015 sind es schon 110.000,00 Euro. Zu diesem Verband gehören Rüstungskonzerne wie Heckler und Koch, ADS, Diehl und MTU.

Jürgen Grässlin gehörte zu den ersten Mitgliedern der Grünen, kämpft seit den 80er Jahren gegen die Rüstungsindustrie, vor allem gegen die in Baden-Württemberg.

Jürgen Grässlin, Ehem. Mitglied B‘90/Grüne: „Wir haben hier Heckler und Koch als tödlichstes Unternehmen in ganz Europa, von den Opferzahlen her, wir haben den Diehl-Konzern am Bodensee sitzen, der Lenkflugkörper über Großbritannien an Saudi-Arabien und die Tornados liefert. Wir haben viele andere Konzerne, die in alle Welt in Kriegsgebiete liefern und die Grünen schauen weg.“

Reporter: „Haben Sie irgendwelche Probleme, Spenden anzunehmen von Südwestmetall?

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Nein.“

Reporter: „Wo die ganzen großen Rüstungsexporteure drinsitzen, wo Diehl drinsitzt, wo Heckler und Koch drinsitzt, wo ADS drinsitzt, wo MTU drinsitzt?“

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident Baden-Württemberg, Die Grünen: „Ich habe keine Probleme, von Südwestmetall Spenden anzunehmen.“

Prof. Claus Leggewie, Direktor Kulturwissenschaftliches Institut Essen: „Für mich ist das inakzeptabel, das Geld ist besser angelegt, wenn man es ablehnt, als wenn man es annimmt.“

Reporter: „Wird der grüne Markenkern da beschädigt?“

Prof. Claus Leggewie, Direktor Kulturwissenschaftliches Institut Essen: „Erheblich.“

Reporter: „Warum?“

Prof. Claus Leggewie, Direktor Kulturwissenschaftliches Institut Essen: „Er wird beschädigt, weil die Grünen als eine antimilitaristische Partei angetreten sind, sie können sich nicht aus allen Kriegen der Welt heraushalten, (es gibt den schönen Spruch von Leo Trotzki „Du interessierst dich nicht für den Krieg, aber der Krieg gelegentlich für dich.“), dann müssen die Grünen pragmatisch antworten. Aber sie müssen nicht in einer Weise die Rüstungsindustrie noch ankurbeln, die in vieler Hinsicht Auslöser des Problems ist, mit dem wir es jetzt zum Beispiel im Mittleren Osten zu tun haben.“

Abgang Winfried Kretschmann. Jeder, der sich über den „Wertewandel“ der Grünen in Baden-Württemberg wundert, sollte sich noch einmal Kretschmann 1982 anhören.

Winfried Kretschmann 1982: „Es gibt keine Politik, wo man nicht in Schwierigkeiten kommt, wo man sich nicht entfernt, von dem, was man ursprünglich wollte, eine solche Politik gibt es nicht.“

Kommentare zum Thema

  • Paul Pesel 17.03.2016, 16:36 Uhr

    Tatsächlich ein Armutszeugnis für den Interviewer. Zunächst hatte ich den Eindruck, man schickt einen Anfänger vor, da 'die Grünen' bzw. Herr Kretschmann nicht solche medialen Zugpferde sind wie zu Straußens und Wehners Glanzzeiten der Streit'kultur'. Doch es ist mehr als peinlich, einem solch dilettantisch geführten Verhör zu folgen - auch stiehlt es meine Zeit. Von öffentlich-rechtlichen erwarte ich mir höchste Qualität an Information, schon wegen der Zwangsgebühr, die ich zahlen muss. Zwar ist Herr Kretschmann nicht der schnellste Redner, aber was er sagt, hat Hand und Fuß. Eine Interview-Konstellation Wilfried Kretschmann und Michel Friedman wäre sicher kein Gewinn - jedoch einen Versuch wert. Ich denke genüsslich an ein Interview Merkel-Friedman, als die Kanzlerin politisch-üblich einleitete: "Um ehrlich zu sein ..." und ihr Parteikollege ihr das Wort abschnitt: "Sie sind wohl sonst nicht ehrlich?" ARD und ZDF können nur eines tun: diesbezüglich besser werden. Ich wundere mic ...

  • Presserat 05.03.2016, 15:12 Uhr

    Welch ein Armutszeugnis für den Journalisten von Monitor... Rechthaberisch, dümmlich und nur darum bemüht seine bereits vorgefasste Meinung mit einer weiteren reißerischen Headline zu versehen. Warum nur zahlen wir für diesen Käse auch noch aktuell ca. 9 Mrd. Rundfunksteuer p.a. an Ard und ZDF, um diese Dilettanten zu erleben.

  • Majo 03.03.2016, 20:18 Uhr

    Als ich den Bericht zuerst gelesen, dann die "gekürzte" und dann die Langversion des Interviews gesehen habe, war ich erst mal baff. Der Reporter sollte besser das Lehrgeld zurückzahlen, umschulen und wirklich interessierten so eine Arbeit überlassen. Ich habe schon "Reporter" von Schülerzeiten intelligentere Fragen stellen hören und die trotzdem hart am Thema geblieben sind. Dieser hartnäckige Versuch Herrn Kretschmann zu einer ausschlachtbaren Aussage zu verleiten um ihn vorzuführen ging mal ... richtig in die Hose. Der Reporter hat sich auch im Vorfeld zu wenig informiert, denn dann wüsste er, dass man zu einem Mann wie Kretschmann nicht unvorbereitet geht. Wie klar zu sehen war (Langversion), hat er offenbar von der Gewaltenteilung und den Aufgaben der Organe keine Ahnung. Denn jedesmal wenn Kretschmann konterte, kam der Reporter ins schwimmen und sogar manchmal ins stammeln. Allein das Kretschmann von sich aus mehrmals sagte er soll fragen (wenn man genau hinhört war es ihm eg ...