Grenzen dicht in Afrika: wie die EU Flüchtlinge vom Mittelmeer fernhalten will Monitor 24.08.2017 09:14 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

MONITOR vom 24.08.2017

Grenzen dicht in Afrika: wie die EU Flüchtlinge vom Mittelmeer fernhalten will

Bericht: Shafagh Laghai, Gitti Müller, Ralph Hötte

Georg Restle: „Die Mauer, die Sie da hinter mir sehen, könnte bald zu einer der wichtigsten Außengrenzen Europas werden. Sie liegt aber nicht in Spanien oder Griechenland, sondern mitten in Afrika; im Niger. Mit europäischer Hilfe soll diese Grenze jetzt zu einem mächtigen Schutzwall gegen afrikanische Flüchtlinge ausgebaut werden. Das Mittelmeer ist dank libyscher Milizen ja schon so gut wie dicht. Aber jetzt will die Bundesregierung den Abwehrriegel so weit wie möglich in den afrikanischen Kontinent treiben. Ein undurchdringlicher Grenzwall von Mauretanien im Westen bis nach Äthiopien im Osten. Dabei schreckt man jetzt nicht mal mehr davor zurück, mit einigen der schlimmsten Diktaturen Afrikas zusammenzuarbeiten. Shafagh Laghai und Gitti Müller zeigen Ihnen jetzt, was europäische und deutsche Flüchtlingspolitik überhaupt noch mit Rechtsstaatlichkeit, Völkerrecht und Humanität zu tun hat.“

15. August im Mittelmeer.

Mann von der Küstenwache (Übersetzung Monitor): „Wenn sie unsere Befehle nicht befolgen, dann greifen wir Sie an. Wir werden Sie angreifen.“

Die libysche Küstenwache macht Ernst. Und greift ein Boot der spanischen Hilfsorganisation Proactiva an. Auf internationalen Gewässern wohlgemerkt, wo Seenotrettung nicht behindert werden darf. Schließlich darf das Boot doch zurück, zu seiner Basis nach Malta. Sie werden nicht - wie angedroht - nach Libyen entführt. Erleichterung. Sie hätten um ihr Leben gebangt, erzählen Austin Wainwraight und Ricardo Gatti. Die neue Brutalität der libyschen Küstenwache macht sie fassungslos.

Ricardo Gatti, Seenotretter proavtica Open Arms (Übersetzung Monitor): „Die libysche Küstenwache hat uns minütlich angefunkt: folgt uns, fahrt langsamer, ändert die Richtung! Und die ganze Zeit haben sie gesagt: wenn ihr unsere Anweisungen nicht befolgt, töten wir euch.“

Vergangene Woche hatte die umstrittene libysche Einheitsregierung angekündigt, ihre „search-and-rescue-zone“, ihre Such- und Rettungszone“ auszuweiten. Von 12 auf 70 Seemeilen vor ihrer Küste, also tief in internationale Gewässer hinein. Dass sie dieses Gebiet gleichzeitig zur „Sperrzone“ für Hilfsorganisationen erklären, ist ein klarer Bruch des Völkerrechts.

Prof. Alexander Proelß, Völkerrechtler Universität Trier: „Search-and-rescue-Zonen dienen der Rettung Schiffbrüchiger. Das ist der eigentliche Sinn. Das Drohen mit Gewalt oder dem gewaltsamen Ausschluss aus einer von Libyen definierten Zone ist völkerrechtlich nicht zulässig.“

Aber ganz im Interesse der EU und der Bundesregierung. Denn die libysche Küstenwache soll die Flüchtlinge zurück nach Libyen bringen. Der Deal scheint zu funktionieren. Im Juni sind 23.534 Flüchtlinge aus Libyen in Italien angekommen, im Juli waren es nur noch halb so viele.

Michael Obert hat gesehen, was es bedeutet, wenn Flüchtlinge zurück nach Libyen gebracht werden. Kaum ein Journalist kommt noch nach Libyen rein. Er war einer der Letzten.

Michael Obert, Journalist: „ In einem Frauencamp, da hab ich 200 Frauen und Mädchen angetroffen. Als der Wächter dann mal kurz raus ist, hat sich eine junge Nigerianerin getraut, hat gesagt, helft, helft uns, helft uns, helft uns. Und dann machte sie ihr Gewand auf die Seite und ihre Trainingshose im Schritt war verblutet bis an die Knie. Und ich hab gesagt, was ist da passiert? Und sie hat gesagt, sie vergewaltigen uns, sie vergewaltigen uns. Tausend Menschen zusammengepfercht, dicht an dicht. Die Menschen können in eine kleine Wasserflasche pinkeln, das ist ihre Toilette. Und sie bekommen eine kleine Tüte, in die sie ihren Stuhlgang entrichten können. Und ein, zweimal am Tag wird ein großes Stahltor aufgemacht, ein erbärmlicher Gestank, der daraus entweicht.“

Diese Zustände sind auch der Bundesregierung bekannt. Auf Monitor-Anfrage erklärt das Außenministerium:

Zitat: „Wir wissen, dass es dort unhaltbare, unmenschliche und entsetzliche Zustände in einigen Einrichtungen gibt.“

Und trotzdem lässt die Bundesregierung Flüchtlinge zurück nach Libyen führen.

Prof. Alexander Proelß, Völkerrechtler Universität Trier: „Es gibt eindeutige Anhaltspunkte dafür, dass sie in sehr vielen Situationen nicht im Einklang mit den internationalen Menschenrechten behandelt werden, an die Libyen gebunden ist. Wenn das so ist, ist dieses Rückverbringen und das Aussetzen der Geflüchteten in dieser Situation völkerrechtswidrig.“

Und das ist noch nicht alles. Im Juni trifft sich EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini mit den Außenministern von Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad. Ziel: die Unterstützung einer neuen Eingreiftruppe, die G5-Sahel-Task-Force. Sie soll gegen den Terror in ihren Ländern kämpfen. Doch es geht nicht nur um Terror. Monitor liegt ein Dokument vor, das belegt: die Task Force soll auch gegen Menschenhandel vorgehen - und Grenzen kontrollieren.

Omid Nouripour (B‘90/Grüne), Auswärtiger Ausschuss des Deutschen Bundestages: „Es wird zwar von Menschenhandel gesprochen. Aber es ist offenkundig, dass es um Flüchtlinge geht. Und das sieht man nicht nur an der allgemeinen Afrika-Politik der Bundesregierung und auch Frankreichs. Sondern das wird mittlerweile auch von offiziellen Stellen hinter vorgehaltener Hand tatsächlich auch zugegeben.“

Also niemanden mehr durchlassen, eine Strategie, die die EU schon seit 2014 in Ostafrika verfolgt. In Zusammenarbeit mit höchst umstrittenen Regierungen wie Eritrea oder dem Sudan wurde die Fluchtroute zum Mittelmeer blockiert. Das Gleiche soll jetzt in Westafrika passieren. Europas neue Außengrenze liegt in Afrika.

Omid Nouripour (B‘90/Grüne), Auswärtiger Ausschuss des Deutschen Bundestages:„Es ist offensichtlich, dass die Europäer ihren Grenzschutz immer weiter nach vorne verlagern. Und andere Staaten mittlerweile immer stärker die Drecksarbeit  machen lassen.“

Was das für die Flüchtlinge bedeutet, sieht man im Niger. Diese Wüstengrenze soll bald zum Schutzwall gegen Flüchtlinge ausgebaut werden. Niger ist das am wenigsten entwickelte Land der Welt. Die Stadt Agadez ist zum Dreh- und Angelpunkt für Migranten aus ganz Westafrika geworden. Jede Nacht die gleichen Bilder: Trucks voll mit Migranten machen sich hier durch die Wüste. Ihr Ziel, Libyen und später Europa. Das wollen sie verhindern: Vor ein paar Wochen reisten Verteidigungsministerin von der Leyen und ihre französische Amtskollegin in den Niger und sicherten dem Land ihre „volle Unterstützung“ zu. In dem Dokument, das Monitor vorliegt, heißt es:

Zitat: „Frankreich und Deutschland legen ihren Fokus der Unterstützung auf Militarisierung. Sie wollen die Armeen der Länder aufrüsten - mit Waffen und Munition.“

Was das für die Flüchtlinge bedeutet, kann man jetzt schon in Agadez sehen. Seit die Kontrollen verstärkt wurden, werden sie in sogenannten Ghettos versteckt - ausgeliefert an die Schlepper. Dieser Schlepper erzählt, dass sie die Migranten trotz schärferer Kontrollen weiter durch die Wüste bringen - auf anderen Routen. Routen, die noch gefährlicher sind. Wo Islamisten kämpfen und Banditen regieren. Wie viele Menschen dort sterben, weiß niemand. Es müssen Tausende sein. Das neue „Grenzmanagement“ der EU verschlimmere die Situation der Flüchtlinge, sagt der Vertreter der Internationalen Organisation für Migration im Niger.

Alberto Preato, UN-Flüchtlingsagentur (Übersetzung Monitor): „Sie versuchen es an anderen Grenzen, probieren neue Wege. Und wenn wir nicht gleichzeitig unsere Bemühungen erhöhen, um ihnen zu helfen, dann werden noch mehr Menschen sterben. Manche Migranten sagen, die Wüste sei ein viel größerer Friedhof als das Mittelmeer.“

Militärische Unterstützung aus Deutschland und Frankreich, das gilt auch für den Tschad, eine der berüchtigtsten Diktaturen Afrikas. Und eines der korruptesten Länder der Welt. Die Bevölkerung bitterarm. Präsident Idriss Deby regiert seit 27 Jahren - eine Opposition, Presse- oder Meinungsfreiheit erlaubt er nicht. Dafür sorgt auch sein brutales Militär, dem Organisationen wie amnesty international schwere Menschrechtsverletzungen vorwerfen.

Martin Lemberg-Pedersen, Migrationsforscher Universität Aalborg (Übersetzung Monitor): „Die EU verbündet sich mit ganz speziellen Regimen. Länder, die demokratische und transparente Regierungen aufbauen wollen, würden diese Art von Politik nicht mittragen. Daraus entsteht ein Teufelskreis. Die EU unterstützt Akteure, die schuld daran sind, dass Menschen aus diesen Ländern flüchten wollen.“

Die Festung Europa, geschützt von Diktaturen und Despoten in Afrika. Hauptsache die Flüchtlinge bleiben draußen.

Georg Restle: „Grenzen dicht für Flüchtlinge. Nicht nur in Afrika, sondern auch mitten in Europa.“

Kommentare zum Thema

  • Marina Heckmann 08.09.2017, 12:47 Uhr

    "Gehirnwäsche" betreiben ein Herr Gauland, ein Herr Höcke, ein Herr Poggenburg, ein Herr Meuthen (Frau Weidel war nur Mittel zum Zweck) etc. etc. ----- Ferner finde ich es beschämend, das AfD-Anhänger mit zweierlei Maß messen. Engagieren sich ehrenamtliche EU/Bürger in Hospizen, Krankenhäusern, Altersheimen, Schulen, Volkshochschulen etc. etc. für deutsche Bürger sind sie "positive Gutmenschen"; engagieren sich ehrenamtliche Bürger/Seenotretter/Ärzte für Flüchtlinge und Integration sind sie "negative Gutmenschen".......... Übrigens, großen Respekt vor Herrn Lammert mit seiner bewegenden Abschiedsrede. Für ein starkes demokratisches Deutschland/EU ohne Hass, ohne Rassismus mit Religionsfreiheit. "Und das ist auch gut so (Wowereit)".

  • Harry Heine 06.09.2017, 14:42 Uhr

    Ja, wie erbärmlich das deutsche "Staatsfernsehen" sich präsentiert, konnte man gerstern wieder sehen, als Slomka - wie kommt so eine überhaupt ins TV? - Weidel von der AfD hinauskomplimentiert hat. Ja, das ist Demokratie pur im Merkel-Land .... warum regen wir uns da noch über Nordkorea auf? Wir haben Nordkorea im eigenen Land, nur dass wir keine Atombomben bauen .... aber Saudi-Arabien freut sich auch so über unsere Waffenlieferungen! Wer nicht linientreu ist, wird hier abgefrühstückt .... Meinungsvielfalt? Wo denn .... jämmerliche Journalisten, die mitsingen, wenn unsere Vorsängerin ihre unerträglichen Worthülsen über uns ausschüttet .... aber die Gehirnwäsche scheint ja zu funktionieren ....

  • abcd 04.09.2017, 11:14 Uhr

    Bildung bildet, wenn man sie hat. Und wenn nicht, sollte man lieber den Mund halten. ja,ja dann soll man sich das Duell der beiden Kampfhähne reinziehen...das gar kein Duell war: es war ein Duett der Nichtigkeiten, die Sie sich von den ÖR vorsetzen lassen und kritiklos als ein Kanzlerduell stehen lassen, während im Nahen und ferneren Osten Bomben auf Bevölkerungen geschüttet werden oder die Erde erbeben lassen....und in Europa die Hetzerei gegen Russland droht einen weiteren Krisenherd zu eröffnen, der uns dann sicher ins Nirwana führen kann das ist nämlich aus meiner Sicht das brisanteste Thema und Problem um das wir uns bemühen sollten, das dabei "so ganz nebenbei" auch die Sprache auf Flüchtlingsströme kommt ist nur konsequent und unsre "ist alles egal " - Stimmung, mit der wir in Muttis Armen ruhen ist auch Konsequenz aus unsrer Egomanie, zu der uns so manches "BILDUNGSANGEBOT" zu führen versucht. Santé Ihr Lieben , habt Ihr gut geschlafen nach diesem Kommödienstadel?