MONITOR vom 28.10.2021

Gefangen in Kabul: Das absurde Verhalten einer deutschen Ausländerbehörde

Bericht: Andreas Maus, Silke Diettrich

Gefangen in Kabul: Das absurde Verhalten einer deutschen Ausländerbehörde Monitor 28.10.2021 06:35 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Silke Diettrich

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Georg Restle: „Schutz der Außengrenze ist das eine, Abschiebungen sind das andere. Einige deutsche Ausländerbehörden scheinen da einen besonderen Eifer an den Tag zu legen; bis es dann so richtig absurd wird, wie in diesem Fall: Dieses strahlende junge Paar hier ist frisch verheiratet. Sie erwartet ein Kind von ihm. Schöne Wohnung, sicherer Arbeitsplatz, neues Glück. Alles schien perfekt, bis die zuständige Ausländerbehörde plötzlich sehr, sehr pingelig wurde. Und den jungen Ehemann in einen Alptraum beförderte, der vorerst hier endete. In Afghanistans Hauptstadt Kabul, wo die Taliban vor zwei Monaten die Macht übernommen haben. Andreas Maus erzählt ihnen die Geschichte eines jungen Paares, die nur schwer zu begreifen ist.“

Die Geschichte einer Odyssee. Sie beginnt im malerischen Allgäu. Bis vor einigen Monaten lebte Zeynep hier zusammen mit ihrem Mann Amir. Sie haben sich ein gemeinsames Leben aufgebaut. Zeynep ist im siebten Monat schwanger. Doch dann wurde Amir aus dem gemeinsamen Leben gerissen. Er sitzt seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan fest – weil er kurz vorher aus Deutschland ausreisen musste. So wollte es die zuständige Ausländerbehörde. Seitdem fürchtet Zeynep um das Leben ihres Mannes.

Zeynep: „Wenn ich so darüber nachdenke, dass er dort ist, dann kriege ich schon jedes Mal Angst. Man kann mir nicht garantieren, ob mein Mann wieder zurückkommen wird.“

Es sind Minuten voller Ungewissheit, wenn sie versucht, ihn zu erreichen. Amir ist nicht sein richtiger Name. Doch er soll nicht erkannt werden, aus Angst vor den Taliban.

Amir: „Kann man nicht den vertrauen den Taliban. Kann alles passieren. Und deswegen ich bin nicht sicher hier in Kabul und ich kann auch nicht sicher sagen: die neue Stadt oder Taliban sind OK. Nein.“

Die Bilder an der Wand erzählen vom Glück. Letztes Jahr im Juli haben Amir und Zeynep geheiratet. Damit hatte Amir einen Rechtsanspruch, in Deutschland zu bleiben. Eigentlich.

Zeynep: „Er hatte einen unbefristeten Arbeitsvertrag, er hat seinen Führerschein hier noch mal gemacht, er hat sich eben ein Auto gekauft, wir konnten diese Wohnung zusammen mieten, wir konnten heiraten. Es war ein Leben, wie jeder andere von uns auch führt.“

Zeynep ist Deutsche. Amir kam vor sechs Jahren als Flüchtling. Er lernte Deutsch, fand Arbeit, heiratete Zeynep. Ehepartner von Deutschen haben grundsätzlich ein Bleiberecht. Doch Amirs Fall ist komplizierter: Weil sein Asylantrag abgelehnt wurde, gilt er für die Behörde als illegal eingereist, trotz Hochzeit. Ihm droht die Abschiebung. Das könne man auch nicht ändern, sagt die Behörde. Und schlug deshalb vor, Amir solle erstmal „freiwillig“ aus Deutschland ausreisen, ein Visumverfahren durchlaufen – und dann wieder offiziell einreisen. Ausreisen und wieder einreisen? Nur damit dann alles wieder so ist wie vorher?

Stephan Dünnwald, Bayerischer Flüchtlingsrat: „Es ist völlig absurd, wenn jemand, der hier gut integriert ist, eine Arbeit hat, Familie hat, die Sprache kann, gezwungen wird, ins Herkunftsland oder in andere Staaten auszureisen, um dort ein Visumverfahren nachzuholen, was dazu führt, dass er in genau die gleiche Situation dann eben wieder herkommen darf. Das ist in meinen Augen nichts als Schikane, das ist eine Flüchtlingspolitik, die nicht auf Vernunft, sondern auf Abwehr setzt.“

Das findet auch Joachim Buk. Sechs Jahre hat Amir in dessen Unternehmen gearbeitet. Hier haben Zeynep und Amir sich auch kennengelernt.

Joachim Buk, Amirs Arbeitgeber: „Er hat einen sicheren Arbeitsplatz und wir sind auf ihn angewiesen. Ich sehe es halt mal so, er ist nur eine Nummer und da wurde entschieden an einem Schreibtisch und es heißt halt dann, ok, er muss raus.“

Raus. Für Amir wurde es zu einem Albtraum. Visumantrag in Pakistan, dann Warten bei Verwandten in Kabul. Monatelang. Wir machen uns in Afghanistan auf die Suche und treffen Amir in Kabul an einem sicheren Ort. Er ist verzweifelt. Vor allem, seit die Taliban die Macht im Land übernommen haben.

Amir: „Jeder hat Angst. Die haben Maschinengewehre. Wenn was kommt, wenn was passiert, z.B. Es könnte alles passieren. Das kann alles passieren. Vielleicht erschießen sie mich. Oder gehe ich im Knast? Das weiß ich nicht.“

Mehrmals habe er schon versucht, aus dem Land zu kommen, erzählt Amir. Vergeblich. Er sitzt fest. Dass er nicht bei seiner schwangeren Frau sein kann, macht ihm jeden Tag zu schaffen.

Amir: „Sie trägt mein Kind. Und sie ist allein. Sie braucht viel meine Hilfe und ich wünsche mir gerne, dass ich schnell Sie erreichen kann wieder in eine Familie. Dass wir zusammenwohnen.“

Zeynep: „Ich sitz oft genug hier und weine einfach, weil ich es nicht verstehen kann. So. Es hätte einen anderen Weg gegeben, ich bin mir sicher. Und ich bin mir sicher, dass das für viele, die in der Behörde sitzen, einfach auch gar nicht nachvollziehbar ist, weil die das nicht durchmachen müssen.“

Eine andere Lösung? Die habe es nicht gegeben, erklärt die zuständige Ausländerbehörde auf MONITOR-Nachfrage. Der Betroffene sei ja schließlich “freiwillig” ausgereist. Die dramatische Entwicklung in Afghanistan sei da “noch gar nicht absehbar gewesen“. Der Vorwurf einer Mitverantwortung am Schicksal von Amir sei “unbegründet“.

Familien, die so auseinandergerissen werden – Rechtsanwältin Bettina Feix kennt etliche solcher Fälle. Die Behörde hätte in Amirs Fall anders entscheiden können, sagt sie.

Bettina Feix, Fachanwältin für Migrationsrecht: „Die Ausländerbehörde hätte berücksichtigen müssen, dass mein Mandant fest in den Arbeitsprozess integriert ist. Sie hätte berücksichtigen müssen, dass er verheiratet ist und seine Frau wirtschaftlich von ihm abhängig ist. Sie hätte berücksichtigen müssen, dass das Visumverfahren sehr, sehr lange dauert. Sie hätte berücksichtigen müssen, dass er sich hier sehr gut integriert hat, deutsch spricht, nie irgendwie negativ aufgefallen ist, dass also ganz viele positive Integrationskriterien bei ihm vorlagen. Das hat sie aber nicht gemacht, sondern hat auf die Ausreise bestanden und deshalb ist mein Mandant jetzt in Kabul und kommt da nicht raus.“

Zeynep hofft jeden Tag, dass es Amir irgendwie doch raus schafft, dass sie endlich wieder zusammen sein könnten. Aber diese Hoffnung zu bewahren, fällt immer schwerer.

Georg Restle: „Mittlerweile hat Amir alle seine Papiere zusammen. Ob er jetzt auch ausreisen kann, kann ihm zurzeit allerdings keiner sagen.“

Kommentare zum Thema

  • Dr. med Klein,Psychiater 14.11.2021, 18:17 Uhr

    Dieser Kommentar wurde gesperrt, weil er beleidigend ist. (die Redaktion)

  • Exakt 04.11.2021, 23:04 Uhr

    Effektive Grenzsicherung-Aufreger gutgläubiger BR-Scheindemokraten.Staat bewahrt Zusammenhalt,Kultur,Sprache,nötige Sicherheitvorkehrungen.(Fast) jedes Haus hat Türen und Fenster,bei Bedarf geschlossen-für ungebetene Gäste Ende Gelände!Nichtsdestrotrotz bestehen und bestanden immer Mittel und Wege,um Handelsbeziehungen/Zu-und Abwanderung zu regeln,Besuche und Reisen zu ermöglichen,sowie Fortschritt und Technik auszutauschen.Immer waren Grenzen notwendig und von Vorteil,um Verwässerung,Unterwanderung,Ausnutzung zu vermeiden.Gewaltsame und unbefugte Verletzung solch geordneter Staatsreglements ziehen dann mitunter auch radikalere Gegenmaßnahmen nach sich.Unzufriedenheit mit eigenen Verhältnissen?Dann entledigt man sich im eigenen Land dieser und schleppt sie nicht noch tausende Km in fremde Gefilde!Z.B. BR:Hiesige Erdoganfraktion wählt sogar noch den Typen vor dem sie angeblich ausrücken „mussten“,fordert,motzt und droht-als "Unzufriedene",als"Flüchtlinge“???Und die anderen Fremdlinge m

  • Fred M. 02.11.2021, 22:26 Uhr

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