MONITOR vom 12.05.2016

Flüchtlingsdramen: Wie Europas Flüchtlingspolitik Familien auseinander reißt

Bericht: Stephan Stuchlik, Naima El Moussaoui

Flüchtlingsdramen: Wie Europas Flüchtlingspolitik Familien auseinander reißt Monitor 12.05.2016 08:54 Min. Verfügbar bis 12.05.2099 Das Erste

Georg Restle: „Und jetzt zur Geschichte der afghanischen Flüchtlingsfamilie. Noch vor wenigen Monaten warnte der deutsche Innenminister ja eindringlich davor, dass Millionen Flüchtlinge über den sogenannten Familiennachzug nach Deutschland strömen könnten.“

Thomas de Maizière: „Wir können unsere hohen Flüchtlingszahlen nicht mit Familiennachzug verdoppeln oder gar verdreifachen. Das ist der Kern des Themas.“

Georg Restle: „Und das ist die Realität: In den ersten Monaten dieses Jahres kamen über das sogenannte Visumverfahren insgesamt 7.500 Syrer per Familiennachzug nach Deutschland. Nach dem sogenannten Dublin-Verfahren waren es gerade mal 211 Flüchtlinge auch aus anderen Staaten. Der eigentliche Skandal hinter diesen Zahlen aber ist, dass viele Familien überhaupt  keine Chance haben zusammenzukommen. Und das, obwohl sie darauf einen glasklaren Rechtsanspruch haben. Stattdessen lässt man sie irgendwo im europäischen Niemandsland ausharren. Mütter ohne ihre Kinder, Brüder ohne ihre Geschwister. Welche Dramen sich dahinter verbergen, dass wollen wir Ihnen jetzt zeigen. Stephan Stuchlik und Naima El Moussaoui haben eine afghanische Familie getroffen, die sich nach nichts mehr sehnt, als endlich wieder zusammenzuleben - und die mit allen Mitteln daran gehindert wird.“

Vahid: „Ohne Familie zu leben ist schwierig, mit meiner Familie bin ich glücklich und auch meine Familie ist dann glücklich. Gemeinsam fühlt man sich nicht so allein, so allein wie ich mich jetzt fühle.“

Vahid ist einsam, obwohl sein Bruder bei ihm ist. Gemeinsam sind sie aus Afghanistan geflohen, sie leben jetzt im badischen Waldkirch bei Pflegeeltern. Es geht ihnen hier gut, sagen sie. Aber, bei der Fahrt über das Meer ging das Boot ihrer Eltern und ihrer zwei Brüder unter.

Bruder von Vahid (Übersetzung Monitor): „Als wir aufgebrochen sind, war es dunkel, wir haben gar nicht gemerkt, dass die Eltern nicht auf unserem Boot waren. Wir waren froh, dass wir überhaupt einen Platz bekommen haben, dann sind wir losgefahren. Erst unterwegs haben wir gemerkt, dass meine Eltern gar nicht mehr da sind.

Vahid (Übersetzung Monitor): „Ich war sehr traurig, ich habe gedacht, dass meine Eltern tot sind, bestimmt ertrunken, alle. Wir wussten ein paar Tage lang nicht, was passiert ist. Erst später konnten wir telefonieren und haben dann erfahren, dass alle überlebt haben.“

Seit sieben Monaten warten sie jetzt auf ihre Eltern, die laut Gesetz eigentlich nachkommen dürften, denn Vahid und sein Bruder haben in Deutschland einen Asylantrag gestellt.

Das sind die Aufnahmen vor der Überfahrt, gefilmt von einem der Söhne. Mit diesem Schlauchboot haben sich die Eltern im Herbst 2015 auf den Weg nach Griechenland gemacht, der Schlepper hier bekam 6.000 Dollar, für ein Boot, das nicht seefest war. Die Kinder stiegen in ein anderes Schiff, sie schafften es. Das Boot der Eltern kenterte, sie wurden zwar gerettet, aber sie hängen jetzt in Griechenland fest - 2.000 Kilometer von ihren Kindern entfernt.

Wir machen uns auf die Suche nach den Eltern Jamshidi in Griechenland. Im Lager Giannitsá sollen sie sein, im Niemandsland, irgendwo in der Nähe der mazedonischen Grenze. Wir finden das Lager, hier leben hinter Zäunen etwa 600 Menschen. Wir werden sofort kontrolliert, es sind sieben Beamte, Polizei, Geheimdienst Militär. Zutritt zum Lager streng verboten. Dann verhandeln wir mit den Sicherheitskräften, ja es gibt hier eine Familie Jamshidi, aber eigentlich darf sie das Lager nicht verlassen.

Am Ende gelingt es doch. Vater Seifudin, Mutter Sarah, Shakib und Sajjád leben seit Wochen im Militärlager. Sie erzählen uns, sie würden alles tun, um zu ihren Kindern zu kommen, aber die griechischen Behörden würden sie ignorieren.

Sarah Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Wir führen hier ein unglückliches Leben, wir können mit niemandem sprechen, wir haben keinen Übersetzer, wir sind noch nicht einmal registriert. Keiner hilft uns dabei, unsere Kinder wiederzusehen. Wir wissen nicht, was wir hier tun.“

Dabei hatte man den Jamshidis gesagt, nur hier, nur in diesem Lager könnten sie einen Asylantrag stellen, nur so könnten sie ihre Kinder wiedersehen. In Wirklichkeit landeten sie im Militärcamp, wo sie eigentlich nur verwahrt werden. Um mit uns ungestört zu sprechen, müssen sie auf einen Acker nebenan gehen. Die Familie hatte schon eine Odyssee hinter sich, bis sie von ihren zwei Kindern getrennt wurde. Sie mussten ihr Zuhause aufgeben, flohen über den Iran in die Türkei. In ihrer Heimat in Afghanistan sei ihr Leben einfach nicht mehr sicher gewesen.

Seifudin Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Wir konnten nicht mehr länger in Afghanistan bleiben, dort wo wir wohnen, konnte man nicht mehr leben, nicht mehr arbeiten, dort ist Bürgerkrieg. Die Kinder konnten einmal zur Schule gehen und einmal nicht, wir wollten, dass unsere Kinder leben und studieren können, deswegen haben wir Afghanistan verlassen.“

Jetzt aber sind sie hier in Griechenland in einer Sackgasse gelandet, seit sieben Monaten warten sie darauf, ihre Kinder wiederzusehen. Aber dafür bräuchten sie einen Termin bei der Behörde. Nachfrage beim Asylanwalt Alexander Kardasiadis. Die Familie hat den Rechtsanspruch, sofort in Deutschland vereint zu werden, so steht das in der EU-Richtlinie. Das Problem: Den Termin für einen Antrag bekommt man hier nur über ein absurdes System.

Alexander Kardasiadis, Asylanwalt (Übersetzung Monitor): „Flüchtlinge haben jede Woche donnerstags ein Zeitfenster, um über eine Skype-Videokonferenz in Athen anzurufen. Farsi von 1:00 bis 2:00 Uhr, arabisch von 9:00 bis 10:00 Uhr und so weiter. Denken Sie mal daran, wie viele Tausend Flüchtlinge es hier gibt, und jede Sprachgruppe hat dann per Skype eine Stunde per Woche.“

Seifudin Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Das funktioniert doch überhaupt nicht! Erzähl das mal!“

Sohn: „Wir sollen laut Vorschrift zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Woche vom Telefon über das Skype-Programm anrufen, dort soll man uns dann einen Termin für eine Anhörung geben.“

Und Shakib zeigt uns die vergeblichen Anrufe der Familie, Hunderte Versuche vom Handy aus, immer in der Hoffnung, am anderen Ende könnte doch einmal jemand abnehmen.

Sarah Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Es ist sehr schwer für mich, hier nur zu sitzen und zu warten. Jeder kann sich vorstellen, wie es uns Eltern geht. Ich habe meine Kinder seit sieben Monaten nicht mehr gesehen.“

Aber muss das so sein? Wir fahren nach Idomeni, hier lebten auch die Jamshidis, bevor man sie ins Militärlager brachte. Auch hier ist griechische Polizei wegen der Sicherheit. Behörden, um Flüchtlinge zu registrieren, sehen wir auch hier nicht. Aber wir treffen Salam, einen freiwilligen Helfer mit irakischen Wurzeln. Jeder kennt ihn, er macht mit seinem gelben Block die Arbeit, die eigentlich die Regierung machen sollte, läuft von Zelt zu Zelt und notiert gewissenhaft, wer hier lebt, er ist eine Art Ein-Mann-Registrierungsbehörde. Er erfasst die Neuankömmlinge, und nach seinen Daten bestellen NGOs etwa Essen und Medizin. Die griechische Regierung wolle die Menschen gar nicht registrieren, sagt er.

Salam Aldeen, Team Humanity (Übersetzung Monitor): „Jeder hier im Lager weiß doch, das das Skype-System verlogen ist, jeder erzählt mir das. Und deswegen ist es schwierig, die Leute zu überzeugen, hier von Idomeni weg in die Militärcamps zu gehen. Was passiert da? Nichts. Die stranden da einfach.“

Das einzige aber, was dort mit etwas Glück funktioniert, ist eine Telefonverbindung zu den Kindern im fernen Deutschland.

Sarah Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Salam, Moslem, mein Schatz, wie geht es dir?

Bruder von Vahid (Übersetzung Monitor): „Salam, wie geht es euch, bei uns alles okay. Ja, Vahid steht neben mir, es geht ihm auch gut. Wie ist es bei euch?“

Sarah Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Du sollst auch was sagen!“

Seifudin Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Salam, mein Sohn, seid ihr gesund?“

Vahid (Übersetzung Monitor): „Ich hoffe, ihr könnt bald kommen!

Bruder von Vahid (Übersetzung Monitor): „Hier gibt es nix Neues, hier passiert überhaupt nichts.“

Und die Aussichten darauf, dass sich in Griechenland etwas an diesem absurden Asylverfahren ändert, stehen nicht gut.

Sarah Jamshidi (Übersetzung Monitor): „Ich wende mich an die Behörden. Sie haben doch sicher auch Kinder, Sie können sich doch vorstellen, wie es ist, getrennt von ihnen zu sein. Haben Sie bitte ein Einsehen, damit wir unsere Kinder wiedersehen können.“

Georg Restle: „Die griechischen Behörden haben heute auf unsere Nachfragen reagiert. Die afghanische Familie soll nun doch einen Termin bekommen, frühestens jedoch in zwei Monaten.“

Asylantrag abgelehnt: Junger Mann könne ja in Afghanistan „untertauchen“ Monitor 25.04.2018 03:32 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste

Kommentare zum Thema

  • heinzb aus nrw 08.12.2016, 00:38 Uhr

    Wohl ein schädliches Verhalten, bei den sogenannten Fluchten die Familie im Elend zu lassen, danach zu jammern, dass sie getrennt sich, es hält doch keinen auf, zurück zu fahren in die alte Heimat, denke ich. Nun weiterhin die "unfreiwillige Gastgeber" unter Druck zu setzen wollen, tätig zu werden für eine Familienzusammenführung. Bestimmt kommen wieder danach Hungerstreik, Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland.

  • Toll 26.05.2016, 20:08 Uhr

    Dieses Refugee-Werbefernsehen hat sich auch bald erledigt.Es wird jetzt schon von der Realität auf den Straßen eingeholt.

  • Dorothee Vakalis 19.05.2016, 08:30 Uhr

    Viele Kommentare erschrecken mich, weil sie absehen von der elenden Realität der meisten Flüchtlinge. Kein Mensch verlässt auf Lebensgefahr sein Land, wenn nicht eine große Not und Lebensbedrohung besteht. Wir hören von Flüchtlingen, von ihrem Leben mit Tod und Verfolgung. Immer wieder treffen wir auf Menschen, die Angehörige und ihren ganzen Besitz im Krieg verloren haben....Würde ich nicht auch die Flucht ergreifen und die Zukunft meiner Kinder sichern wollen??? Solange dort Krieg geführt wird mit deutschen Waffen und deutschen Wirtschaftsinteressen (uns geht es deshalb ja immer noch gut, jedenfalls einem großen Teil in Deutschland ) werden sie kommen, ob wegen Krieg oder Hunger, denn beides tötet. Liebe Mitmenschen, habt nicht so viel Angst vor Flüchtlingen, es kommen tolle lebenstüchtige und viele warmherzige Menschen, die langfristig ein großer Gewinn für die Kultur, die Wirtschaft und das Miteinander in Europa werden können, wenn wir sie denn als Menschen sehen und aufnehmen. ...