MONITOR vom 17.01.2019

Feinstaub durch Landwirtschaft: Seit Jahren verharmlost

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Bericht: Herbert Kordes, Monika Kovacsics, Jan Schmitt

Feinstaub durch Landwirtschaft: Seit Jahren verharmlost

Monitor 17.01.2019 07:30 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Herbert Kordes, Monika Kovacsics, Jan Schmitt

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Georg Restle: „Wenn von Feinstaub die Rede ist, denken die meisten an vielbefahrene Straßen, Dieselautos oder belastete Innenstädte. Weniger an ländliche Regionen, freie Felder oder Tierställe. Dabei ist die Landwirtschaft eine der größten Verursacher der mikroskopisch kleinen Teilchen, die Lungen, Herz und Kreislauf erheblich schädigen können. Fachleute kennen das Problem schon länger; von der Politik dagegen wird es seit Jahren weitgehend ignoriert. Jetzt gibt es eine neue Studie mit erschreckenden Zahlen, die deutlich macht, wie dringend hier Handlungsbedarf besteht. Monika Kovacsics, Jan Schmitt und Herbert Kordes.“

Grüne Wiesen, keine Industrieschlote, keine Autokolonnen. Und trotzdem registriert die Luftmessstation am Rande des Städtchens Bösel im Landkreis Cloppenburg zuweilen mehr Feinstaub als in Großstädten wie Hannover. Nur, wo kommt hier der Feinstaub her? Wissenschaftlern zufolge vor allem aus der Landwirtschaft. Die Messstation liegt im sogenannten „Schweinegürtel“ in Niedersachsen. Und Feinstaub entsteht unter anderem aus Gülle, die hier massenhaft anfällt. Aus ihr entweicht das stechend riechende Ammoniak, chemisch: NH3. Dieses Ammoniak breitet sich in der Atmosphäre aus und verbindet sich in der Luft mit Stickoxiden aus dem Straßenverkehr oder Industrieabgasen. Das Produkt aus dieser Verbindung ist Feinstaub, der mit dem Wind übers Land verteilt wird. Für rund 45 Prozent der Feinstaub-Emissionen ist die Landwirtschaft verantwortlich, sagen Wissenschaftler, deutlich mehr als der Verkehrs- oder Energiesektor. Feinstaub, das sind kleinste Partikel, die wir einatmen. Sie dringen unbemerkt bis ins Innerste unseres Körpers vor und können dort großen Schaden anrichten.

Prof. Thomas Münzel, Kardiologe, Universitätsmedizin Mainz: „Lungenerkrankungen, chronische Bronchitis und auch Lungentumore. Je kleiner der Feinstaub wird - also bis hin zum Ultrafeinstaub - gehen wir davon aus, dass mehr Gefäßverkalkungen entstehen, damit verbunden mehr koronare Herzerkrankungen, mehr Herzinfarkte, mehr Herzschwäche.“

Aus Gülle entsteht Feinstaub. Für diese Menschen ist das nichts Neues. Sie gehören zu einer Bürgerinitiative in Rheinland-Pfalz und leben in einer Region, wo sie regelmäßig dem Güllegestank ausgesetzt sind.

Klaus Stotzem, Bürgerinitiative „Gülle-Stopp“: „Ich kann zum Beispiel sagen, dass wir in dieser Woche die ganze Woche eine Emission hatten, die kaum auszuhalten war. Das Ammoniak konnte man ganz deutlich bei uns auf der Terrasse rund ums Haus riechen.“

Im Juni vergangenen Jahres gingen die Menschen hier sogar auf die Straße, protestierten gegen Gestank und die Feinstaubgefahr. Aber ernst genommen fühlen sie sich nicht.

Reinhold Hermann, Bürgerinitiative „Gülle-Stopp“: „Es wird von der Landwirtschaft völlig ignoriert. Es wird einfach gesagt, das ist Unsinn, was die Bürgerinitiative da an Panikmache verbreitet. Es wurde uns sogar reiner Populismus vorgeworfen.“

Populismus? Im Gegenteil, sagt Professor Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Der international anerkannte Wissenschaftler steht kurz vor der Veröffentlichung einer Untersuchung, deren Ergebnisse MONITOR exklusiv vorliegen. Sie stützt sich auf 40 Studien aus 16 Ländern. Ergebnis: Durch die Luftverschmutzung - weit überwiegend Feinstaub - sterben deutlich mehr Menschen vorzeitig als bislang gedacht, auch in Deutschland.

Prof. Jos Lelieveld, Max-Planck-Institut für Chemie: „Wir haben berechnet, dass über 120.000 Menschen pro Jahr frühzeitig sterben an Luftverschmutzung. Da kann man sich natürlich die Frage stellen, ja, verlieren die dann zwei Monate oder zwei Tage oder zwei Jahre? In Deutschland verliert dazu der Durchschnittsbürger etwa zweieinhalb Jahre mit den Folgen von Luftverschmutzung. Also wenn es möglich wäre, die Ammoniak-Emission aus der Landwirtschaft komplett abzuschalten, hätte man mehr als 50.000 pro Jahr weniger frühzeitige Sterbefälle als jetzt.“

50.000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub? Verursacht von der Landwirtschaft? Ein Befund, der für Landwirte schwer zu ertragen ist. Eberhard Hartelt ist Umweltbeauftragter des Deutschen Bauernverbandes - und widerspricht vehement.

Eberhard Hartelt, Bauernverband (Umweltbeauftragter): „Ich bestreite, und bestreite auch die Spekulation um die Anzahl der Toten. Also, hier die Landwirtschaft als … als sozusagen Mörder hinzustellen, halte ich für hochspekulativ und auch nicht für gerechtfertigt.“

Prof. Lelieveld stellt klar, dass es in solchen Studien immer statistische Unsicherheiten gebe. Das ändere aber nichts daran, dass das Problem deutlich größer sei als bisher gedacht.

Prof. Jos Lelieveld, Max-Planck-Institut für Chemie: „Es ist nicht so, dass wir hier irgendetwas Neues erfunden haben, das ist einfach ein … ein Wachsen von Erkenntnissen, woraus hervorgeht, dass die Gesundheitswirkung von Feinstaub eigentlich noch viel stärker ist, als wir gedacht haben.“

663.000 Tonnen Ammoniak wurden laut Umweltbundesamt 2016 in Deutschland freigesetzt. Etwa 95 Prozent davon aus der Landwirtschaft. Diese Emissionen müssen runter, fordern die Wissenschaftler. Der Bauernverband sagt, man bemühe sich intensiv darum - und zwar erfolgreich.

Eberhard Hartelt, Bauernverband (Umweltbeauftragter): „Die Ammoniak-Emissionen sind runtergegangen nach Berechnung des Thünen-Institutes in der Höhe von 100.000 Tonnen. Das sind die Berechnungen, die mir vorliegen.“

Zahlen des Thünen-Institutes? Wir fragen bei dem Bundesforschungsinstitut nach. Hier kann man die Aussage des Bauernverbands nicht nachvollziehen. Auch die Zahlen des Umweltbundesamtes sprechen dagegen. Deutschland hatte in einer internationalen Vereinbarung schon 2001 versprochen, ab 2010 nicht mehr als 550.000 Tonnen Ammoniak pro Jahr zu emittieren. Doch bis heute wird diese Grenze weit übertroffen. Jahr für Jahr überschreitet Deutschland die zugesagte Ammoniak-Minderung. Wie soll sich das ändern? Wir fragen die Bundeslandwirtschaftsministerin heute bei einem Pressetermin vor Eröffnung der Grünen Woche in Berlin.

Reporter: „Monitor, ARD. Was tun Sie, um diese Grenzwerte irgendwann auch einzuhalten, auch im Sinne der Gesundheit der Menschen?“

Julia Klöckner, Bundeslandwirtschaftsministerin: „Ich habe vor, dass wir sie einhalten. Das geht nicht von heute auf morgen - will ich ganz deutlich sagen - aber was uns dabei hilft, ist auch eine klare Datenanalyse. Wir haben sehr unterschiedliche, das haben Sie bei Ihrer Recherche sicherlich auch gesehen. Was uns dabei aber auch hilft, sind Techniken, ist die Digitalisierung.“

Wirksame Techniken sind eigentlich längst vorhanden: Geräte, die die Gülle direkt in die Erde bringen, Ammoniakfilter an den Ställen oder - statt solcher offenen Güllebehälter - Güllebehälter mit Abdeckungen, die das Entweichen von Ammoniak an die Luft verhindern. Konsequent eingesetzt könnten die Ammoniak-Emissionen damit massiv heruntergefahren werden, sagt das Umweltbundesamt. Fachpolitiker wie der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling glauben längst nicht mehr daran, dass die Bundesregierung das auch durchsetzt.

Martin Häusling, MdEP, B’90/Grüne: „Das erlebe ich ja quasi jeden Tag, dass Deutschland die selbst gesteckten und die verpflichtend europäischen Ziele überhaupt nicht einhält. Man schert sich einfach nicht drum. Und gerade im Agrarbereich schert man sich nicht drum, weil man sich ganz bewusst nicht mit der mächtigen Agrarlobby anlegen will.“

Für Kritiker ist der Fokus auf technische Lösungen ohnehin nicht ausreichend. Man müsse über die Massentierhaltung reden und sie reduzieren - nur so habe Deutschland eine Chance, seine internationalen Zusagen auch einzuhalten.

Stand: 18.01.2019, 16:00 Uhr

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80 Kommentare

  • 80 MarkusP 06.12.2019, 00:22 Uhr

    Ich kenne keine einzige Studie, die beweist, dass Ammoniak zu toxischem (!) Feinstaub führt. Die meisten Messungen werfen das mit krebserregendem Dieselruß und anderen Verbrennungsabgasen in einen Topf und korrelieren irgendwas. Meiner Ansicht absolut unzulässig. Dass wir Massentierhaltung einstellen sollten, steht auf einem ganz anderen Blatt. Aber bitte mit korrekten Argumenten.

  • 79 SchnitzlerA 12.02.2019, 14:24 Uhr

    Liebe Redaktion! FALLS – nach ernsthafter Prüfung der Sachlage – tatsächlich nicht zu widerlegen wäre, dass ihr hier einer "zumindest grob fahrlässigen Suggestion" (siehe "Unstatistik des Monats") aufgesessen seid, stelle ich höflichst und respektvoll die Erwägung anheim, den Beitrag bspw. zurückzuziehen. In wissenschaftlichen Kreisen ist dies – gegebenenfalls, im Einzelfall – durchaus guter Brauch, allein schon um die Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten. Wahrhaft "kritischer Journalismus" (der unverzichtbar ist!) darf wohl – im Einzelfall und aus genau diesem Grund – auch ohne jeden Gesichtsverlust (!) vergleichbare "Selbstkritik" üben. Mit freundlichen Grüßen, A. Schnitzler

  • 78 SchnitzlerA 11.02.2019, 20:36 Uhr

    Liebe ARD, GLÜCKWUNSCH zur "Unstatistik des Monats" (http://en.rwi-essen.de/unstatistik/87/) !!!!!!!!! NB: brauchen eure Beiträge eigentlich nicht autorisiert werden? Wie kann es angehen, dass Jos Lelieveld einmal von 120.000 NICHTRAUCHERN redet ("genau so viele wie am Rauchen"; SEINE Worte), HIER ABER vom "DURCHSCHNITTSBÜRGER" ??? Ist diese "maßlose Übertreibung" etwa ABSICHT? "Ein BISSCHEN MEHR GENAUIGKEIT" wäre hier von Journalisten wie "Wissenschaftlern" zu wünschen. Ist es eigentlich ABSICHT, die "frische Luft" auf ein und dieselbe Stufe mit dem "Rauchen" zu stellen ????? VIELEN DANK !!!

  • 77 René 06.02.2019, 21:58 Uhr

    Go Vegan!

  • 76 Heidrun A. 04.02.2019, 13:46 Uhr

    Hauptsache wir können weiterhin unbegrenzt tote Tiere fressen. wir nennen dies dann Hot wings, Putenstreifen oder Hamburger, damit es uns nicht wirklich auffällt was wir tun. Damit ist allen geholfen, die Faulen und Gierigen bekommen ihre Nahrung, die Fleischindustrie weiterhin große Absatzmärkte und nicht zuletzt Ärzteschaft und Pharmaindustrie darf auch noch abkassieren, wenn wir durch diesen Lebensstil des Leichenfressens krank werden. Eigentlich alles in Butter für das HERRschende, menschen-und naturverachtende System, bei dem alle so gerne mitdienen, ODER? Im Umkehrschluß ist es dann eigentlich ganz einfach etwas zu tun, statt nur zu lamentieren oder dahinzusiechen. MIt dem Leichenfressen aufhören, Verantwortung für sich selbst übernehmen, statt nur auf sogenannte "Experten", bezahlt von der Industrie, zu hören. Dies ist sehr leicht und witzigerweise auch die einzige Möglichkeit zur Veränderung, denn auf Politiker, Gesetzte oder Selbstregulierung zu bauen wird nichts verändern.

  • 75 Angelika Kaltofen 04.02.2019, 08:15 Uhr

    Ist doch ganz einfach, wenn wir als Verbraucher keine Produkte aus diesen grausamen Tierfabriken kaufen! Kein Mensch braucht Fleisch, denn wir haben ein ausreichendes Angebot an gesunden Lebensmitteln, die keine Gülle verursachen!

  • 74 Tamara 04.02.2019, 00:18 Uhr

    Eine Geschichte: Agrarfabrik A befindet sich in Deutschland und produziert mit vielen Kühen eine große Menge Milch. Die Kühe leben in Anbindehaltung. Nur einige wenige dürfen im Sommer kurzzeitig ins Freie. Dafür wird Agrarkonzern A von der Politik mit einem Label belohnt. In Deutschland geht der Verbrauch zurück. Die Milch von A wird also in Land B exportiert. Dort lebt Kleinbauer C. Durch die Billigmilch von A verliert C seine Existenz. Er weiß nicht mehr, wie er sich und seine Familie ernähren soll und glaubt in Deutschland mit der Milchproduktion neu anfangen zu können. C war sein Leben lang Bauer und kann nichts anderes. In Deutschland wird er als Wirtschaftsflüchtling beschimpft. Da er kein Christ ist, wird er auch noch bedroht. Schließlich wird er von der Politik in eine ungewisse Zukunft abgeschoben. Agrarkonzern A erweitert seinen Betrieb, bindet noch mehr Kühe an und exportiert Milch nun auch nach Land D. Dort lebt KLeinbauer E. Nachhaltige Landwirtschaft JA. Tierfabriken NO.

  • 73 Der Landmichel 03.02.2019, 23:55 Uhr

    Hallo liebes Landvolk und Unterstützer unsinniger Massentierhaltung. Meine Erfahrungen in Niedersachsen sind ruecksichtslose Überdüngung, das bedeutet loswerden der Guelle um jeden Preis, akute Trinkwassergefaehrdung, das Risiko von Krankheiten unterschätzen, , totspritzen der Zwischenfrucht auf den Feldern, Glyphosat bis an die Wohnbebauung, lächerliche Erfolgsbilanz bei Biogas und nach wie vor ruecksichtloses Fahren durch Ortschaften mit dem Argument Ernte für unsere Bevölkerung einzufahren. Ich glaube, wenn nur ein Beispiel bewiesen werden müsste, wären Unterstützer gegen meine Ausführungen zur Stelle. Also fasst euch ein ?? und geht in euch.

  • 72 Eva Fack 03.02.2019, 20:27 Uhr

    Es ist immer wieder ein Skandal wie die Politik sich über die berechtigten Anliegen der Bevölkerung hinwegsetzt, um der allgegenwärtigen Lobby zu genügen.

  • 71 Karin Müller 03.02.2019, 12:52 Uhr

    Frau Klöckner interessiert sich nur für Lobbyisten, Biobauern und Naturschutz interessieren sie nicht wirklich.

  • 70 Fruchtikus 03.02.2019, 12:08 Uhr

    Leider will die verbohrte und konservative deutsche Politik jedoch keinen Millimeter vom derzeitigen kranken System abweichen, ganz im Gegenteil. Umso erfreulicher ist es, dass es Magazine wie MONITOR gibt, die Missstände aufdecken, ansprechen und sich auch von haltloser Kritik nicht unterkriegen lassen. Abermals vielen Dank!