Export hochgiftiger Pestizide: Unwirksames Verbot?

Monitor 29.06.2023 07:56 Min. UT Verfügbar bis 30.12.2099 Das Erste Von Andreas Maus, Elke Brandstätter

MONITOR vom 29.06.2023

Export hochgiftiger Pestizide: Unwirksames Verbot?

Hochgiftige Pestizide, die in der EU und Deutschland verboten sind, werden in großen Mengen von hier in andere Länder exportiert – vielfach in ärmere Länder des Südens. Die Ampel-Koalition hatte versprochen, solche Exporte zu beschränken. Doch die nun geplante Regelung des Bundeslandwirtschaftsministeriums hat massive Schlupflöcher. Unternehmen werden demnach auch zukünftig tausende Tonnen der hochgefährlichen Wirkstoffe weltweit verkaufen können.

Von Andreas Maus, Elke Brandstätter

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Georg Restle: "Und genau das könnte auch für unseren nächsten Film gelten. Dabei geht es um giftige Pestizide, die für Natur und Mensch tödlich sein können. Die sind in Europa weitestgehend verboten – und das ist auch richtig so. Nicht verboten ist es allerdings, die gleichen giftigen Stoffe aus Deutschland zu exportieren – vor allem in Länder des globalen Südens, wo die Ärmsten der Welt unter den Folgen dieser giftigen Exporte leiden. Mehrfach haben wir bei MONITOR darüber in den letzten Jahren berichtet. Und die Bundesregierung wollte genau das jetzt eigentlich beenden. Geschehen ist bisher aber nichts. Jetzt liegt uns ein Referentenentwurf aus dem grünen Landwirtschaftsministerium vor. Was der an den giftigen Geschäften ändert – oder auch nicht – zeigen Ihnen Elke Brandstätter und Andreas Maus."

Pestizide – versprüht aus Flugzeugen, mit Traktoren, von Hand. Weltweit werden jährlich Tausende Tonnen eingesetzt – ein Milliardengeschäft. Die dunkle Seite davon, schwere Gesundheits- und Umweltschäden. Vor allem Menschen in ärmeren Ländern des Südens tragen die Folgen. MONITOR hat mehrfach darüber berichtet. Zum Beispiel aus Chile, dem Valle de Elqui. Natalie Castex erzählte uns vor drei Jahren, wie ihre Kinder plötzlich krank wurden.

Natalie Castex (Übersetzung Monitor): "Meine 10-jährige Tochter bekam sehr starke Kopfschmerzen, Erbrechen und Durchfall."

Man vermutete damals, dass es von dem Pestizid Dormex kam, das Traktoren neben ihrem Haus großflächig im Weinbau versprühten; eindeutig nachweisen ließ sich das nicht. Dormex, von der deutschen Firma AlzChem. Das Pestizid enthält den Wirkstoff Cyanamid, der unter anderem in Verdacht steht, Krebs zu verursachen und ungeborenes Leben zu schädigen. Die Anwendung ist in der EU verboten. In Indien begleiteten wir Bauern zu einem Pestizidhändler. Hochgefährliche Pestizide werden hier wie im Supermarkt verkauft, darunter auch Produkte von Bayer, die in Europa verboten sind. Deutsche Unternehmen wie Bayer, BASF und AlzChem betonen, man halte sich an alle Vorschriften. Die Stoffe seien in den Empfängerländern zugelassen, bei Einhaltung aller Sicherheitsstandards sei die Anwendung sicher. Doch laut Studien kommt es weltweit zu rund 385 Millionen Vergiftungen durch Pestizide und etwa 11.000 Toten – pro Jahr! Viele der Pestizide, die dafür verantwortlich gemacht werden, sind in der EU nicht zugelassen. Trotzdem dürfen sie aus der EU heraus weltweit exportiert werden. Marcos Orellana ist Sonderberichterstatter der UN für toxische Stoffe und kritisiert diese Exporte.

Marcos Orellana, UN-Sonderberichterstatter für toxische Stoffe und Menschenrechte (Übersetzung Monitor): "Jeder Export ist eine moderne Form der Ausbeutung. Er führt zu Umweltungerechtigkeiten, zur Diskriminierung und zu Verstößen gegen international geschützte Menschenrechte. Trotzdem erlauben sie den Unternehmen die hochgiftigen Mittel zu exportieren, oft in Länder, die kaum in der Lage sind, die Risiken der Pestizide zu beherrschen.

Und Deutschland? Gehört zu den wichtigsten Exportländern. Die Umweltorganisationen "PublicEye" und "Unearthed" haben jetzt untersucht, in welchem Umfang die verbotenen Pestizide aus Deutschland exportiert werden. Die Ergebnisse liegen MONITOR exklusiv vor. Im Jahr 2021 wurden 9.280 Tonnen zum Export angemeldet, ein Jahr später waren es 18.360 Tonnen.

Laurent Gaberell, PublicEye (Übersetzung Monitor): "Das ist nahezu eine Verdoppelung der Exporte, und das in nur einem Jahr. Damit ist Deutschland jetzt einer der führenden Exporteure von verbotenen Pestiziden aus Europa."

Die Ampel-Koalition hatte versprochen, solche Exporte künftig einzuschränken. So stand es auch im Koalitionsvertrag. Der grüne Landwirtschaftsminister Özdemir kündigte letzten September ein Verbot an.

Zitat: "Es geht nicht an, dass wir nach wie vor Pestizide produzieren und exportieren, die wir bei uns mit Blick auf die Gesundheit der Menschen zu Recht verboten haben."

MONITOR liegt jetzt ein Referentenentwurf für eine Rechtsverordnung vor. Und tatsächlich, Exportbeschränkungen für die Pflanzenschutzmittel sollen kommen. Das Problem: es soll nur der Export von Pestizidprodukten verboten werden, die gesundheitsschädlich sind. Nicht verboten wird dagegen – bis auf wenige Ausnahmen – der Export von umweltschädlichen Pestiziden.

Laurent Gaberell, PublicEye (Übersetzung Monitor): "Wir haben weltweit einen Rückgang der Artenvielfalt und der bestäubenden Insekten, und wir wissen, dass Pestizide einer der Schlüsselfaktoren dafür sind. Warum also ist es für die deutsche Regierung in Ordnung, weiterhin verbotene Pestizide zu exportieren, wenn diese nur der Umwelt und nicht der menschlichen Gesundheit schaden?"

Aber selbst bei den gesundheitsschädlichen Pestiziden gibt es viele, die nicht auf der Verbotsliste stehen. Für den Toxikologen Peter Clausing ist der Entwurf des Ministeriums zwar ein wichtiger Schritt, aber …

Peter Clausing, Toxikologe, Pestizid Aktions-Netzwerk: "Bei den 180 Wirkstoffen, die in der Liste enthalten sind, fehlen ungefähr ein Drittel der akut toxischen Stoffe, ein Drittel der Erbgut schädigenden Stoffe, ein Viertel der krebserregenden Stoffe und 20 Prozent der Fortpflanzung gefährdenden Stoffe. Und ich kann nicht verstehen, warum diese Stoffe in der Liste nicht enthalten sind."

Und dann gibt es noch einen großen Bereich, der von der geplanten Verordnung gar nicht erfasst wird – die Ausgangsstoffe der Pestizide. Sowohl die gesundheits- wie die umweltschädlichen Ausgangsstoffe der Pestizide können demnach weiter weltweit exportiert werden.

Laurent Gaberell, PublicEye (Übersetzung Monitor): "Das bedeutet, dass Unternehmen weiterhin in der Lage sein werden, diese Chemikalien in reiner Form aus Deutschland zu exportieren und sie außerhalb Deutschlands, außerhalb Europas als Produkt herzustellen. Durch dieses Schlupfloch werden wir in zwei oder drei Jahren nach Verabschiedung der Verordnung einen Anstieg dieser Exporte aus Deutschland sehen."

Aber wie begründet Landwirtschaftsminister Özdemir, dass die Ausgangsstoffe weiter exportiert werden dürfen? Im Referentenentwurf heißt es dazu, die Regelung könnte …

Zitat: "… zu einer Verlagerung von Produktionsprozessen in der oder außerhalb der EU führen."

Geht es also vor allem um Standortinteressen? Das Ministerium schreibt uns, per Rechtsverordnung hätte man nun mal nicht mehr regeln können. Warum aber ändert man nicht das Gesetz? Dann hätte man auch den Export der Ausgangsstoffe verbieten können – so wie viele Grüne es immer wollten. Das sei in der Koalition nicht durchsetzbar gewesen. Selbst der aktuelle Entwurf werde von der FDP noch in Frage gestellt, sagt Karl Bär, Pestizidexperte der Grünen Bundestags-Fraktion.

Karl Bär, (B'90/Grüne), Mitglied des Bundestages: "Ich erwarte mir jetzt auch von den Koalitionspartnern, die das nicht wollen – und das ist die FDP – dass wir da schnell zu einem Ergebnis kommen. So funktioniert Koalition."

Auf Anfrage erklärt die FDP-Fraktion, pauschale Exportverbote führten nur zu Produktionsverlagerungen. Menschen und Umwelt, vor allem in ärmeren Ländern, konsequent vor gefährlichen Pestiziden schützen? Mit der geplanten Verordnung wird das nur schwer gelingen.

Georg Restle: "Das Schlimme an diesen Exporten ist, dass viele Betroffene oft nicht dagegen klagen können. Weil sie bitterarm sind und sie es im Zweifelsfall mit Rechtsabteilungen großer Unternehmen zu tun haben, denen sie nur schwer das Wasser reichen können."

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Stand: 30.06.2023, 15:00 Uhr

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2 Kommentare

  • 2 Aga Bellwald 29.06.2023, 22:49 Uhr

    Kommt mir vor, als ob Menschen im globalen Süden offenbar weniger wert sind als die hier im reichen Norden. Gut, dass PublicEye das publiziert hat. Auch die Schweiz macht dasselbe. Zeit, dass das abgeklemmt wird.